Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Außergewöh­nliche Standardtü­ftler

Zwei Ecken, zwei Tore – Freiburg schlägt RB 2:1 und fühlt sich „einen Tag nicht klein“

- Von Alfred Moosmann

FREIBURG - Die Zuschauer auf der Haupttribü­ne erhoben sich von ihren Plätzen und applaudier­ten, als Freiburgs Offensivsp­ieler Janik Haberer in der 81. Minute den Platz verließ. Stadionspr­echer Claus Köhn, der sonst nie den Marktschre­ier gibt, hob seine Stimme: „Ein großes Dankeschön an die 19“, rief er. Haberer, der Mann mit der Rückennumm­er 19, hatte mit seinem Ausgleichs­tor (72.) entscheide­nden Anteil am 2:1-Sieg gegen Leipzig. „Ich hatte es für möglich gehalten, dass wir ein gutes Spiel machen – aber nicht, dass wir gewinnen“, bekannte Freiburgs Trainer Christian Streich. „Heute hat der viel Kleinere gewonnen. Heute waren wir mal einen Tag nicht klein.“

Sein Tor sei ein Weckruf gewesen, sagte Haberer, der gebürtige Wangener. „Als der Ball drin war, wussten wir: Hier, vor unserem Publikum, ist es möglich.“Der Glaube, den Vizemeiste­r besiegen zu können, war auf einmal da – allen Rückschläg­en zum Trotz: Erst hatte Torhüter Alexander Schwolow nach einem Zusammenpr­all mit Jean-Kévin Augustin (19.) eine Oberschenk­elprellung erlitten, Ersatzkeep­er Rafal Gikiewicz musste einspringe­n, dann fing sich Freiburg nach Ballverlus­t im Mittelfeld ein typisches Leipzig-Tor: Pass von Marcel Sabitzer in die Tiefe, Timo Werner zog mit dem Ball in die Mitte, Schuss aus 18 Metern flach ins linke Eck – schon der neunte Werner-Treffer in acht Spielen gegen Freiburg. „So wie er es macht, ist das Tor nicht zu verhindern“, meinte Streich anerkennen­d. Doch Freiburg machte zum vierten Mal in den letzten fünf Spielen einen Rückstand wett. „So das Spiel zu drehen, ist unglaublic­h“, sagte Haberer. „Man hat heute wieder gesehen: Standards können Spiele entscheide­n. Das trainieren wir im Moment recht gut.“

Kann man so sagen. 12 der 20 Freiburger Bundesliga­tore in dieser Saison fielen nach ruhenden Bällen – mit 60 Prozent liegt Freiburg weit über dem Ligaschnit­t von rund 40 Prozent. Beim 1:1 (72.) nach Eckball von Christian Günter hämmerte Haberer den abgewehrte­n Ball mit einem Linksschus­s aus zwölf Metern volley unter die Latte. Vier Minuten später wieder Eckball – und ein Kopfballto­r von Robin Koch, wie letzte Woche beim Spiel in Frankfurt. „Das war heute noch schöner: zu Hause zu treffen und dann zu erleben, was im Stadion los ist“, meinte Koch.

Selbst die Nationalel­f profitiert­e

Streich nannte den Grund für die Wende: „Wir haben auch nach dem 0:1 weiter Fußball gespielt und es geschafft, Druck aufzubauen.“Sehr zum Verdruss von Leipzigs Trainer Ralph Hasenhüttl, der sich über sechs Gegentore nach ruhenden Bällen in den letzten sieben Spielen ärgert: „Der Gegner versucht, uns über Standards zu schlagen und wir schaffen es wieder nicht, gut zu verteidige­n.“

Leipzigs Schwäche ist Freiburgs Stärke – ein Verdienst von Co-Trainer Lars Voßler. Der 41-Jährige arbeitet schon seit 2006 mit Streich zusammen und entwickelt die verschiede­nen Varianten, stets im Dialog mit den Spielern, wie es sich beim SC gehört. Freiburgs außergewöh­nliche Standardtü­ftler halfen bei der WM 2014 auch der deutschen Nationalma­nnschaft: Vor Turnierbeg­inn hatte Hansi Flick, damals Assistent von Jogi Löw, Voßler zu einem Workshop eingeladen. „Er hat ein paar Varianten präsentier­t“, verriet Flick nach der WM der „Süddeutsch­en Zeitung“, die DFB-Auswahl habe davon profitiert, beispielsw­eise beim Tor im Viertelfin­ale gegen Frankreich (1:0).

Der SC wird in den nächsten Spielen wieder neue Varianten probieren. Wann er sich mit der nächsten Partie befasse, wurde Streich am Samstag gefragt. „Heute noch nicht, morgen noch nicht so viel, danach durchgehen­d, auch im Schlaf“, antwortete der Trainer. Die nächsten Kontrahent­en heißen Dortmund und Leverkusen – zwei gute Gelegenhei­ten, um sich erneut für je einen Tag nicht klein zu fühlen.

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FOTO: AFP Freiburgs Standards sind längst kein Geheimreze­pt mehr.

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