Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Anklage: Mord aus Langeweile
Ein 17-Jähriger soll vor einer Shisha-Bar in Konstanz einen jungen Mann erstochen haben – Öffentlichkeit von Prozess ausgeschlossen
KONSTANZ - So oder so ähnlich muss sich der tödliche Streit im Frühjahr 2017 zugetragen haben: Zwei Gruppen geraten vor dem Parkplatz einer Shisha-Bar in einem Konstanzer Industriegebiet aneinander. Vermutlich geht es um Nichtigkeiten, um verletzte Eitelkeiten. Und nicht zuletzt um Drohgebärden Heranwachsender, die nicht wissen, was sie tun. Im Mittelpunkt steht ein 19-jähriger Schweizer, der sich an jenem Abend gegen Vorwürfe und Attacken eines 21-jährigen Syrers wehren muss. Schließlich eskaliert der Konflikt, es kommt zu einer Schlägerei zwischen den Gruppen. Ein damals 17-jähriger Deutscher, ein Freund des 21-Jährigen, mischt sich in den Streit ein, zückt ein Messer und sticht auf den Schweizer ein. Einmal. Der junge Mann, schwer verletzt, schafft es noch in die Bar, bricht dort aber zusammen und stirbt später im Krankenhaus. Schwere Verletzungen an einem Lungenflügel und an Blutgefäßen sowie eine innere Schockblutung, die schließlich zum Tod führt, lautet später das Ergebnis der Obduktion. Der Tatverdächtige und der 21-Jährige flüchten in die Dunkelheit, sie werden wenige Tage später verhaftet.
Ob es sich exakt so zugetragen hat oder andere Umstände hinzukamen, wird nun das Landgericht Konstanz klären müssen, 25 Zeugen sind geladen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem heute 18-Jährigen vor, er habe aus Langeweile und aus reiner Machtdemonstration getötet. Die Beweggründe seien niederer Natur gewesen, daher lautet die Anklage: Mord. Der 21-Jährige hingegen wurde im August aus der Untersuchungshaft entlassen, die Staatsanwaltschaft, so ein Sprecher, erhebt keinen Tötungsvorwurf, die Anklage geht von gefährlicher Körperverletzung und Nötigung aus. Offenbar, heißt es, war er selber überrascht von der plötzlichen Messerattacke seines Kumpels.
Die Tat wühlt noch immer auf, hierzulande und über der Grenze, auf der Opfer-, aber auch auf Täterseite. Entsprechend groß ist am Dienstagmorgen der Andrang vor dem Landgericht Konstanz, es bildet sich eine lange Schlange, und es geht nur schleppend voran, der Sicherheitsmaßnahmen wegen. Auf dem Gerichtsflur geht das Gerücht um, in sozialen Netzwerken in der Schweiz sei zur Rache aufgerufen worden. Nun wird jedes Handy, jede Tasche eingezogen, auch ältere Damen und Herren werden akribisch gefilzt.
Dennoch kommen die Besucher umsonst. Mehr als zwei Stunden nach dem eigentlich vorgesehenen Verhandlungsbeginn schließt Richter Joachim Dospil auf Antrag der Anwälte die Öffentlichkeit von der Verhandlung aus. Der Schutz des Jugendlichen, zur Tatzeit 17, habe Vorrang, dieser solle während des Verfahrens Schüchternheit und Hemmungen möglichst ablegen können.
Weder Fisch noch Fleisch
Möglicherweise eine richtige Entscheidung, wirkt der Angeklagte vor dem Landgericht mit seiner massigen Statur doch etwas ungewandt. Er trägt ein bis zum Kragen zugeknöpftes Hemd und einen Kurzhaarschnitt, dunkler Flaum bedeckt die Backen: Er wirkt weder wie Fisch noch wie Fleisch, also typisch für jemanden in seinem Alter, der heranreift. Der 18-Jährige kommt aus einer bürgerlichen Familie ohne Migrationshintergrund, die sich vielfach in Konstanz engagiert, etwa in Vereinen. Der irgendwann jedoch eine innere Heimat suchte bei einer lose miteinander verbundenen Gruppe von jungen Straftätern, die in der Öffentlichkeit zeitweise als Berchenbande tituliert wurde (nach dem Konstanzer Berchengebiet). „Dabei hat es sich jedoch nicht um organisierte Kriminalität gehandelt, sondern eher um eine Szene, in der man sich mehr oder weniger kannte“, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Aus der schließlich Diebstähle verübt wurden, Erpressungen und Gewalttaten. Auch von dem jetzt des Mordes Angeklagten, der bereits 2016 vor dem Jugendschöffengericht stand und der gefährlichen Körperverletzung für schuldig gesprochen wurde. Das Gericht ging jedoch von einer günstigen Sozialprognose aus und setzte eine verhängte Freiheitsstrafe von zehn Monaten zur Bewährung aus.
Das Gericht wird nun klären müssen, weshalb die Prognose nicht zutraf. Warum der Jugendliche erneut Gewalt als das Mittel seiner Wahl sah. Und ob er möglicherweise psychisch belastet und in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt war.
All dies wird die Nebenklage mit den Eltern des Opfers und der Schwester genau beobachten, sie haben einen albanischen Hintergrund. „Ihnen ist es wichtig, dass das Gericht angemessen umgeht mit dem Tod des 19-Jährigen“, sagt deren Anwalt Ingo Lenßen. „Das ermöglicht auch einen Weg der Akzeptanz.“Seine Funktion bei diesem Verfahren sei daher betreuender Natur. Das Urteil soll Ende Februar fallen.