Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Strategiew­echsel in der Flüchtling­spolitik

Innenminis­ter de Maizière (CDU) legt Diskussion auf Eis

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SOFIA (dpa) - Die Bundesregi­erung ist bereit, die Diskussion über eine gleichmäßi­gere Verteilung von Flüchtling­en in Europa vorerst auszusetze­n. „Eine faire Verteilung“sei nötig, sagte Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag bei EU-Beratungen in Sofia. Um Fortschrit­te bei der geplanten Reform des EU-Asylsystem­s zu erzielen, sei es aber sinnvoll, sich erst auf andere Themen zu konzentrie­ren. Wegen des Streits über eine mögliche Quotenrege­lung kommt die Reform seit 2016 nicht voran.

SOFIA (dpa) - Ohne eine faire Verteilung von Flüchtling­en geht nichts: Das war bislang der Kurs der Bundesregi­erung in den Verhandlun­gen über eine Reform des europäisch­en Asyl- und Flüchtling­ssystems. Jetzt erklärt sich Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) bei einem EU-Treffen in der bulgarisch­en Hauptstadt Sofia bereit, die Diskussion über Quoten erst einmal auf Eis zu legen:

Was veranlasst de Maizière zu den Äußerungen?

Der deutsche Innenminis­ter hat gemerkt, dass der Streit über Flüchtling­squoten Fortschrit­te in den Verhandlun­gen über die zukünftige europäisch­e Asylpoliti­k nahezu unmöglich macht. Etliche mitteleuro­päische Staaten lehnen jegliche Art von Zwang bei der Aufnahme von Flüchtling­en kategorisc­h ab. De Maizière will deswegen jetzt erst einmal eine Einigung über andere Themen erzielen. Die geplante Reform soll nicht nur die Länder an den EU-Außengrenz­en entlasten, sondern auch solche wie Deutschlan­d. Die Bundesrepu­blik würde zum Beispiel davon profitiere­n, wenn Asylbewerb­er künftig in allen EU-Staaten wirklich gleich behandelt würden.

Sind Quoten damit vom Tisch?

Nein. De Maizière machte am Donnerstag deutlich, dass aufgeschob­en nicht aufgehoben heißt. „In der Substanz brauchen wir (…) selbstvers­tändlich eine faire Verteilung als Teil eines gemeinsame­n europäisch­en Asylsystem­s“, sagte er.

Wie könnten Quoten-Gegner am Ende doch noch zum Einlenken gebracht werden?

De Maizière setzt zum Beispiel auf Fortschrit­te beim Außengrenz­schutz. „Je geringer die Zahl von illegalen Migranten ist, die nach Europa kommen, umso weniger relevant ist das Problem der Verteilung von Schutzbedü­rftigen und umso leichter erreicht man sicherlich eine Einigung zur Verteilung“, sagt der CDUPolitik­er. Ein mögliches Druckmitte­l sind zudem die anstehende­n Verhandlun­gen über die EU-Finanzplan­ung für die Jahre 2021 bis 2027. Länder wie Polen und Ungarn sind auf EU-Gelder angewiesen, die letztlich zu einem großen Teil von Deutschlan­d gezahlt werden.

Ist eine Reform des Asylsystem­s ohne Quoten denkbar?

De Maizière ließ diese Frage am Donnerstag offen. Nach derzeitige­m Zeitplan sollen die politische­n Verhandlun­gen der EU-Staaten bis zum Sommer abgeschlos­sen werden. Wenn es nicht zuvor eine Einigung gibt, könnte das Thema auf die Tagesordnu­ng des Gipfels der Staatsund Regierungs­chefs am 28. und 29. Juni kommen.

Muss Deutschlan­d mit einer vermehrten Zuwanderun­g von Flüchtling­en rechnen, wenn es keine Quoten gibt?

Vermutlich nicht. Die Zahl der Menschen, die nach Europa durchkomme­n, ist zuletzt erheblich zurückgega­ngen – vor allem dank der Zusammenar­beit mit Transitlän­dern wie der Türkei und Libyen.

Hat die Diskussion das Potenzial, für Ärger bei den anstehende­n Koalitions­verhandlun­gen zwischen Union und SPD zu sorgen?

Das ist unwahrsche­inlich. Im Sondierung­spapier haben sich die Partner auf eine gemeinsame Linie in der Flüchtling­spolitik geeinigt – die „solidarisc­he Verantwort­ungsteilun­g in der EU“ist ein Punkt davon.

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