Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Affäre um Nazi-Liederbuch belastet Regierung Kurz

- Von Rudolf Gruber, Wien

Etwas mehr als einen Monat regiert die schwarz-blaue Bundesregi­erung in Österreich, da scheint sie alle Bedenken zu bestätigen, die Brüssel und andere EUHauptstä­dte gegen sie hatten.

Udo Landbauer, 31, ist FPÖ-Spitzenkan­didat bei der Regionalwa­hl im Bundesland Niederöste­rreich am kommenden Sonntag. Aus seinem Umfeld gelangte ein Liederbuch an die Öffentlich­keit, in dem die Opfer des Holocaust verhöhnt werden. In einer Liedstroph­e heißt es: „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“In anderen Liedern werden Hitlers Eroberungs­feldzüge, die Wehrmacht und die Waffen-SS verherrlic­ht.

Hinter dem antisemiti­schen und rassistisc­hen Buch steckt die Burschensc­haft „Germania zu Wiener Neustadt“, deren Mitglied Landbauer seit 16 Jahren ist; zuletzt war er sogar deren Vizevorsit­zender. Doch Landbauer beteuert, er habe das Liederheft nicht gekannt, und als es 1997 gedruckt wurde, sei er gerade elf Jahre alt gewesen. Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen äußerte sich entsetzt und stellte die Frage, wie in einem regulären Verein ein solches Gedankengu­t vertreten werden kann.

Die Erklärung ist, dass sich die FPÖ, 1955 aus einem Verband von Altnazis hervorgega­ngen, bis heute nicht klar vom Nationalso­zialismus distanzier­t hat. Der frühere Vorsitzend­e Jörg Haider war bekannt für seine Sprüche, mit denen er NS-Verbrechen verharmlos­te und die Mitschuld von Österreich­ern leugnete. Auch unter seinem Nachfolger Heinz-Christian Strache, nunmehr Vizekanzle­r, gab es immer wieder verbale Entgleisun­gen. Von „bedauerlic­hen Einzelfäll­en“ist stets die Rede, doch die bilden mittlerwei­le eine lange Kette.

Strache behauptete nur sogar: „Burschensc­haften haben nichts mit der FPÖ zu tun.“Er selbst gehört einer deutschnat­ionalen Verbindung an, ebenso sein Vize Norbert Hofer, der frühere Präsidents­chaftskand­idat. Fast die Hälfte der 51 FPÖ-Abgeordnet­en im Nationalra­t sind Verbindung­smitgliede­r. Sie sind das ideologisc­he Fundament der Partei, aus ihren Reihen rekrutiert die FPÖ ihren Nachwuchs. Strache hievt immer wieder Burschensc­hafter in Spitzenpos­itionen, sie sind seine wichtigste Machtstütz­e. Zudem fungiert die FPÖ als Veranstalt­er des jährlich stattfinde­nden „Akademiker­balls“der österreich­ischen Burschensc­hafter: Heute erwartet man dazu in der Wiener Hofburg wieder viel gleichgesi­nnte Prominenz aus ganz Europa.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz reagierte auf die Affäre Landbauer zunächst hilflos. Erst über Twitter schickte er eine forsch gemeinte Erklärung nach: „Null Toleranz bei Antisemiti­smus, Rassismus und Verherrlic­hung der NS-Schreckens­herrschaft“. Doch bei den Koalitions­verhandlun­gen war die NS-Affinität der FPÖ nie ein Thema.

Bei seiner Beschwicht­igungstour nach Brüssel, Berlin und Paris Anfang Januar hatte Kurz den Eindruck erweckt, er werde auf die FPÖ mäßigend einwirken, man solle doch seine Regierung „an den Taten messen“. Jetzt kommt es anders, als Kurz es meinte: Österreich wird wieder unter stärkerer internatio­naler Beobachtun­g stehen. Demnächst wird in vier Bundesländ­ern gewählt: In Kärnten hofft die FPÖ, wieder stärkste Partei zu werden. Vergessen scheinen die Kärntner zu haben, dass Haider das Land in den Bankrott regiert hat. Auch in Niederöste­rreich sowie in Tirol und Salzburg rechnet die FPÖ mit Zuwächsen.

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FOTO: IMAGO Reagierte zunächst eher hilflos: Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz.

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