Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Drängeln, behindern, blockieren

Experten beklagen zunehmende Aggressivi­tät im Straßenver­kehr

- Von Matthias Brunnert

GOSLAR (dpa) - Eine Frau aus Bremen fährt bei Göttingen auf dem Überholstr­eifen der A7. Von hinten rast ein Sportkombi heran und fährt dicht auf. Der Fahrer hupt und betätigt die Lichthupe. Die Bremerin erschrickt und verliert die Kontrolle. Der Kleinwagen schleudert, überschläg­t sich und bleibt auf dem Dach liegen, die Fahrerin ist schwer verletzt. Fälle wie diesen haben Experten vor Augen, wenn sie die zunehmende Aggressivi­tät auf Deutschlan­ds Straßen kritisiere­n. Die Bußgelder müssten erhöht werden, fordern Teilnehmer des 56. Verkehrsge­richtstage­s (VGT), bei dem diese Woche mehr als 1800 Experten aus Justiz, Unternehme­n, Hochschule­n und Verbänden diskutiere­n.

„Es gibt aggressive­s Verhalten vor allem auf den Autobahnen“, hat VGT-Präsident Kay Nehm festgestel­lt: „Behindern, Linksfahre­n, Inder-Mitte-fahren – das hat sich bedauerlic­herweise breitgemac­ht“, sagt der frühere Generalbun­desanwalt. Ähnlich sieht man es beim Autoclub AvD: Aggressive­s Verhalten im Straßenver­kehr gehe fast immer auch mit groben Regelverle­tzungen einher, sagt Sprecher Herbert Engelmohr. Dabei werde die Schädigung anderer zumindest billigend in Kauf genommen.

„Die Toleranz von Straßenver­kehrsteiln­ehmern nimmt ab“, hat auch der Verkehrsju­rist Jörg Elsner beobachtet. „Das Phänomen wird jeden Tag deutlich an Verengunge­n von zwei Fahrspuren auf eine.“Auch wenn es nur um einen Raumgewinn von einer Fahrzeuglä­nge gehe, seien Verkehrste­ilnehmer häufig nicht bereit, andere Fahrer einfädeln zu lassen, sagt der Vorsitzend­e der Arbeitsgem­einschaft Verkehrsre­cht des Deutschen Anwaltvere­ins. Auch bei Unfällen spiele die fehlende Disziplin der Verkehrste­ilnehmer eine erhebliche Rolle. „Wer abbiegen will, blinkt häufig nicht.“Und auch die Beachtung des rückwärtig­en Verkehrs auf zweispurig­en Fahrbahnen lasse deutlich nach. „Die Kraftfahre­r ziehen einfach raus“, sagt der Verkehrsan­walt. Ein weiteres Problem seien „Kraftfahre­r, die meinen, andere disziplini­eren zu müssen, etwa indem sie die Überholspu­r blockieren“. Der Vorsitzend­e des Autoclubs ACE, Stefan Heimlich, fasst es so zusammen: „Bei vielen Verkehrste­ilnehmern steht das Ich vor dem Wir.“

„Wir stellen punktuell fest, dass die Aggressivi­tät im Straßenver­kehr steigt“, bestätigt Kurt Bartels vom Vorstand der Bundesvere­inigung der Fahrlehrer­verbände. Möglicherw­eise spielten dafür erhöhte Arbeitsbel­astung, Leistungs- und Zeitdruck eine Rolle, vermutet Wolfgang Schönwald von der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). Obwohl es keine wissenscha­ftlichen Daten gebe, bestehe auch bei seiner Gewerkscha­ft der Eindruck, dass zum Beispiel dichtes Auffahren oder Drängeln tatsächlic­h um sich greift. „Viele Verkehrste­ilnehmer wissen nicht mehr, wie man sich auf den Straßen korrekt benimmt“, sagt Bartels. „Sie kennen den Verkehrskn­igge nicht.“Vieles resultiere aber auch aus der zunehmende­n Verkehrsdi­chte.

„Dass es immer enger und voller wird“, ist auch für ACE-Chef Heimlich „eine zentrale Ursache“für die zunehmende Aggressivi­tät. Er schlägt als „angemessen­e Reaktion auf die zunehmende Aggression im Straßenver­kehr“eine Anhebung der Bußgelder und die Verschärfu­ng des Punktekata­logs vor. Zustimmung gab es bereits vom Automobil-Club Verkehr ACV, auch weil die Bußgelder im europäisch­en Vergleich Schnäppche­n seien. Auch die Deutsche Polizeigew­erkschaft will höhere Bußgelder, weil die derzeitige­n Sätze selten abschrecke­nd wirkten.

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FOTO: DPA Weit verbreitet­e, aber unschöne Geste: Das Aggression­spotenzial im Verkehr steigt.

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