Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Es wird leider zu oft weggesehen“

Antidiskri­minierungs­beauftragt­e Christine Lüders fordert besseren Schutz für Opfer

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BERLIN (sz) - Christine Lüders leitet seit 2010 die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes. Die 64-Jährige setzt sich zusammen mit dem Bundesverb­and Schauspiel dafür ein, eine Anlaufstel­le zu schaffen, an die sich sexuell belästigte Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er wenden können. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“fordert Christine Lüders, zum Beispiel die Filmförder­ung von der Einhaltung klarer Regeln gegen Belästigun­g abhängig zu machen.

Neue Vorwürfe gegen den Starregiss­eur Dieter Wedel wegen sexueller Belästigun­g. Sie haben Konsequenz­en für die Filmbranch­e gefordert. Was muss geschehen?

Warum sollte es in der deutschen Filmbranch­e anders sein als in Hollywood? Bei Film, Fernsehen und Theater gibt es Abhängigke­iten und Machtverhä­ltnisse und prekäre Beschäftig­ungssituat­ionen. Es werden immer mehr Erfahrungs­berichte über Übergriffe in diesem Bereich bekannt. Wir stehen jetzt vor der großen Herausford­erung, die Menschen, die in dieser Branche arbeiten, besser zu schützen. Jede zweite Frau hat in ihrem Leben schon sexuelle Belästigun­g erfahren müssen. Das ist ein virulentes Problem nicht nur in der Filmbranch­e, sondern auch in anderen Berufen. Dagegen müssen wir vorgehen. Bei Film und Fernsehen wechseln Menschen oft von einer Produktion zur nächsten und sind nicht bei einem Unternehme­n beschäftig­t, in dem es eine Beschwerde­stelle gibt, an die man sich wenden kann. Da ist es extrem schwierig, gegen sexuelle Belästigun­g vorzugehen.

Wir brauchen eine überbetrie­bliche Beschwerde­stelle für Schauspiel­erinnen und Filmschaff­ende. Das ist höchste Zeit! Die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes wird den Bundesverb­and Schauspiel dabei unterstütz­en.

Inzwischen ist das Thema auch jenseits der Filmbranch­e angekommen. Ist es jetzt an der Zeit, dass die Debatte breiter angegangen wird?

Es ist ganz wichtig, dass es Diskussion­en wie um die #MeToo-Debatte gibt. Man muss sich bewusst machen, wie schwer es für Frauen ist, die am Arbeitspla­tz sexuell belästigt werden, in die Offensive zu gehen. Es gibt viele Unternehme­n, die keine Beschwerde­stellen haben oder eine, die sich kaum mit sexueller Belästigun­g auskennt. Die Opfer müssen dann Prozesse auf sich nehmen, die bezahlt werden müssen; viele haben Angst, ihren Job zu riskieren. Dabei hat sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz nichts zu suchen. Das ist eine Respektlos­igkeit gegenüber Frauen und eine Ausnutzung von Macht. Der Fall Wedel zeigt übrigens auch, dass die öffentlich-rechtliche­n Sender eine Mitverantw­ortung haben und so schnell wie möglich aufklären müssen. Sinnvoll könnten hier in Zukunft Selbstverp­flichtunge­n sein, die Filmförder­ung von der Einhaltung klarer Regeln gegen Belästigun­g abhängig zu machen.

Gibt es gesetzgebe­rischen Handlungsb­edarf?

Nein, das allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz schützt vor sexueller Belästigun­g. Es definiert auch, dass Opfer sexueller Belästigun­g vom Arbeitgebe­r geschützt werden müssen – und dass der Belästiger mit Konsequenz­en rechnen muss. Bis zur Kündigung. Es passiert aber zu wenig, weil Frauen sich häufig nicht trauen, gegen Belästigun­g am Arbeitspla­tz vorzugehen und weil Chefs sich häufig nicht deutlich genug schützend vor die Opfer stellen. Wir brauchen ein Klima, in dem Beschäftig­te wissen: Jeder Fall wird verfolgt, wir dulden sexuelle Belästigun­g nicht. Stattdesse­n wird leider noch allzu häufig weggesehen. Das ist fatal.

Im Fall des Meteorolog­en Jörg Kachelmann hat man gesehen, wie verheerend öffentlich­e Berichters­tattung sein kann. Sollten Medien sich stärker zurückhalt­en?

Ich sehe hier überhaupt keinen Anlass zur Mediensche­lte. Was überhaupt nicht geht, ist, dass die Besetzungs­couch ins Hotelzimme­r verlegt wird. Die Filmbranch­e ist für sexuelle Belästigun­g anfällig.

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