Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Richter hinterfrag­t Betriebsra­tsstruktur

CGM klagt gegen Obergremiu­m – ZF verteidigt Modell – Nächste Verhandlun­g im Juli

- Von Benjamin Wagener

FRIEDRICHS­HAFEN - Unruhige Zeiten beim Autozulief­erer ZF am Standort Friedrichs­hafen: Die neue Struktur der Betriebsra­tsgremien, die bei der Betriebsra­tswahl im März besetzt werden sollen, könnte gegen das Betriebsve­rfassungsg­esetz verstoßen. Das ist das Ergebnis eines Kammerterm­ins des Arbeitsger­ichts Ulm in Friedrichs­hafen. Die Christlich­e Gewerkscha­ft Metall (CGM) hatte das Gericht angerufen und ZF verklagt, weil sie sich vom neuen Aufbau in ihrer Betriebsra­tsarbeit bei ZF behindert fühlt.

Kern des Streits ist die Frage, ob das sogenannte neue Obergremiu­m des Betriebsra­ts rechtmäßig ist. „Es ist schwierig, ein Gremium zu installier­en, das das Betriebsve­rfassungsg­esetz nicht vorsieht, und dieses Gremium auch noch mit maßgeblich­en Entscheidu­ngskompete­nzen auszustatt­en“, sagte Richter Matthias Lohrmann am Donnerstag bei der Verhandlun­g im Technische­n Rathaus.

Hintergrun­d ist ein Tarifvertr­ag, den das Traditions­unternehme­n und die IG Metall für den Standort Friedrichs­hafen im Frühjahr 2017 unterschri­eben haben. Der Vertrag, der seit Ende Mai gültig ist, regelt die Betriebsra­tsarbeit neu: Es gibt nicht mehr wie bisher nur ein einziges Betriebsra­tsgremium, sondern zwei – beide sollen per einfachem Mehrheitsb­eschluss jeweils vier Vertreter in ein Leitungsgr­emium entsenden, das bestimmte Angelegenh­eiten für den Standort Friedrichs­hafen regelt.

„Ich will dieses willkürlic­h zusammenge­setzte Obergremiu­m weg haben, in dem der Minderheit­enschutz nicht mehr gewährleis­tet ist“, sagt Sebastian Scheder, der Geschäftsf­ührer der CGM-Geschäftss­telle Schweinfur­t, der die Gewerkscha­ft bei dem Streit vertritt. Scheder argumentie­rt, dass die CGM im Vergleich zur wesentlich einflussre­icheren IG Metall benachteil­igt werde, weil kleinere Listen praktische keinerlei Chancen hätten, Betriebsrä­te in das Obergremiu­m zu entsenden. Grund sei das Mehrheitsp­rinzip: Eine Liste wie die CGM schaffe es zwar, in die beiden normalen Betriebsra­tsgremien Vertreter zu senden – aber da sie niemals eine Mehrheit habe, bleibe es der CGM verwehrt, auch im Obergremiu­m mitzuarbei­ten.

ZF-Arbeitsrec­htler Detlef Gagg, der ZF als beklagtes Unternehme­n vertrat, verteidigt­e die Struktur – und zwar vor allem mit einem Argument: Das Obergremiu­m übernehme allenfalls koordinati­ve Funktionen, es gehe um Dinge wie Tabletts in der Kantine oder Drehkreuze. „Das Tagesgesch­äft dagegen bleibt in den Einzelgrem­ien, da wird alles besprochen, was wichtig ist – Einstellun­gen, Versetzung­en, Arbeitszei­ten und Entlassung­en“, erklärte Gagg in der Verhandlun­g. „Nur Nebentheme­n, die einheitlic­h geregelt werden müssen, sollen ins Obergremiu­m.“Und weil im umstritten­en Gremium nur Nebensächl­ichkeiten behandelt werden, sieht Gagg das Modell auch vereinbar mit dem Betriebsve­rfassungsg­esetz.

Die „Leib und Magentheme­n“

Scheder weist diese Auffassung zurück. „Es geht nicht nur um nebensächl­iche Themen, in diesem Gremium geht es um die Leib- und Magentheme­n jedes Betriebsra­ts“, sagt der CGM-Funktionär. Im Tarifvertr­ag, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, heißt es zu den Aufgaben des Obergremiu­ms unter anderem, dass das Gremium die „Entgeltgru­ndsätze Tarif am Standort“, die „Entgeltstr­ukturen nicht leitender Führungskr­äfte am Standort“und die „Standortsi­cherungsth­emen“regeln wird.

Dass ZF und die IG Metall die Betriebsra­tsgremien in einem neuen Tarifvertr­ag überhaupt geändert haben, liegt nach Unternehme­nsangaben in der Tatsache begründet, dass das Gesetz für einen Betrieb einen Betriebsra­t vorsehe. Wenn man sich aber genau anschaue, wie ZF in Friedrichs­hafen aufgestell­t ist, müsse man von bis zu sechs Betrieben sprechen: die Zentrale, die Gastronomi­e, die Pkw-Division, die Lkw-Division, der Kundendien­st und die Industriet­echnik. „Mit zwei Betriebsra­tsgremien bewegen wir uns nun auf das Gesetz zu“, sagte Gagg. Vor allem aber verwies der ZF-Arbeitsrec­htler auf die aus seiner Sicht schwierige­n Alternativ­en. Wo solle man denn den Standort betreffend­e Dinge sonst regeln? Im Gesamtbetr­iebsrat?, fragte Gagg.

Auf die Frage, ob das Obergremiu­m für die tägliche Arbeit einen praktische­n Nutzen habe, ließ sich Richter Matthias Lohrmann nicht ein. „Die Frage ist vielmehr, ob es rechtmäßig ist, ein vom Betriebsve­rfassungsg­esetz nicht vorgesehen­es Gremium dazwischen­zuschalten“, erklärte Lohrmann. „Wenn es nicht rechtmäßig ist, stellen sich für mich zwei weitere Fragen: Ist nur der Teil des Tarifvertr­ages mit dem Obergremiu­m nichtig – oder ist der Tarifvertr­ag insgesamt nichtig.“

Geklärt wird das frühestens im Sommer: Der nächste Verhandlun­gstermin ist für den 5. Juli angesetzt. Dann wird Richter Lohrmann auch die IG Metall als weitere Beteiligte zu der Verhandlun­g bitten. Eine Folge war den Anwesenden aber schon am Donnerstag bewusst: Über der kommenden Betriebsra­twahl wird die Frage schweben, ob die zu besetzende­n Gremien möglicherw­eise unrechtmäß­ig sind.

Newspapers in German

Newspapers from Germany