Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Richter hinterfragt Betriebsratsstruktur
CGM klagt gegen Obergremium – ZF verteidigt Modell – Nächste Verhandlung im Juli
FRIEDRICHSHAFEN - Unruhige Zeiten beim Autozulieferer ZF am Standort Friedrichshafen: Die neue Struktur der Betriebsratsgremien, die bei der Betriebsratswahl im März besetzt werden sollen, könnte gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoßen. Das ist das Ergebnis eines Kammertermins des Arbeitsgerichts Ulm in Friedrichshafen. Die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) hatte das Gericht angerufen und ZF verklagt, weil sie sich vom neuen Aufbau in ihrer Betriebsratsarbeit bei ZF behindert fühlt.
Kern des Streits ist die Frage, ob das sogenannte neue Obergremium des Betriebsrats rechtmäßig ist. „Es ist schwierig, ein Gremium zu installieren, das das Betriebsverfassungsgesetz nicht vorsieht, und dieses Gremium auch noch mit maßgeblichen Entscheidungskompetenzen auszustatten“, sagte Richter Matthias Lohrmann am Donnerstag bei der Verhandlung im Technischen Rathaus.
Hintergrund ist ein Tarifvertrag, den das Traditionsunternehmen und die IG Metall für den Standort Friedrichshafen im Frühjahr 2017 unterschrieben haben. Der Vertrag, der seit Ende Mai gültig ist, regelt die Betriebsratsarbeit neu: Es gibt nicht mehr wie bisher nur ein einziges Betriebsratsgremium, sondern zwei – beide sollen per einfachem Mehrheitsbeschluss jeweils vier Vertreter in ein Leitungsgremium entsenden, das bestimmte Angelegenheiten für den Standort Friedrichshafen regelt.
„Ich will dieses willkürlich zusammengesetzte Obergremium weg haben, in dem der Minderheitenschutz nicht mehr gewährleistet ist“, sagt Sebastian Scheder, der Geschäftsführer der CGM-Geschäftsstelle Schweinfurt, der die Gewerkschaft bei dem Streit vertritt. Scheder argumentiert, dass die CGM im Vergleich zur wesentlich einflussreicheren IG Metall benachteiligt werde, weil kleinere Listen praktische keinerlei Chancen hätten, Betriebsräte in das Obergremium zu entsenden. Grund sei das Mehrheitsprinzip: Eine Liste wie die CGM schaffe es zwar, in die beiden normalen Betriebsratsgremien Vertreter zu senden – aber da sie niemals eine Mehrheit habe, bleibe es der CGM verwehrt, auch im Obergremium mitzuarbeiten.
ZF-Arbeitsrechtler Detlef Gagg, der ZF als beklagtes Unternehmen vertrat, verteidigte die Struktur – und zwar vor allem mit einem Argument: Das Obergremium übernehme allenfalls koordinative Funktionen, es gehe um Dinge wie Tabletts in der Kantine oder Drehkreuze. „Das Tagesgeschäft dagegen bleibt in den Einzelgremien, da wird alles besprochen, was wichtig ist – Einstellungen, Versetzungen, Arbeitszeiten und Entlassungen“, erklärte Gagg in der Verhandlung. „Nur Nebenthemen, die einheitlich geregelt werden müssen, sollen ins Obergremium.“Und weil im umstrittenen Gremium nur Nebensächlichkeiten behandelt werden, sieht Gagg das Modell auch vereinbar mit dem Betriebsverfassungsgesetz.
Die „Leib und Magenthemen“
Scheder weist diese Auffassung zurück. „Es geht nicht nur um nebensächliche Themen, in diesem Gremium geht es um die Leib- und Magenthemen jedes Betriebsrats“, sagt der CGM-Funktionär. Im Tarifvertrag, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, heißt es zu den Aufgaben des Obergremiums unter anderem, dass das Gremium die „Entgeltgrundsätze Tarif am Standort“, die „Entgeltstrukturen nicht leitender Führungskräfte am Standort“und die „Standortsicherungsthemen“regeln wird.
Dass ZF und die IG Metall die Betriebsratsgremien in einem neuen Tarifvertrag überhaupt geändert haben, liegt nach Unternehmensangaben in der Tatsache begründet, dass das Gesetz für einen Betrieb einen Betriebsrat vorsehe. Wenn man sich aber genau anschaue, wie ZF in Friedrichshafen aufgestellt ist, müsse man von bis zu sechs Betrieben sprechen: die Zentrale, die Gastronomie, die Pkw-Division, die Lkw-Division, der Kundendienst und die Industrietechnik. „Mit zwei Betriebsratsgremien bewegen wir uns nun auf das Gesetz zu“, sagte Gagg. Vor allem aber verwies der ZF-Arbeitsrechtler auf die aus seiner Sicht schwierigen Alternativen. Wo solle man denn den Standort betreffende Dinge sonst regeln? Im Gesamtbetriebsrat?, fragte Gagg.
Auf die Frage, ob das Obergremium für die tägliche Arbeit einen praktischen Nutzen habe, ließ sich Richter Matthias Lohrmann nicht ein. „Die Frage ist vielmehr, ob es rechtmäßig ist, ein vom Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehenes Gremium dazwischenzuschalten“, erklärte Lohrmann. „Wenn es nicht rechtmäßig ist, stellen sich für mich zwei weitere Fragen: Ist nur der Teil des Tarifvertrages mit dem Obergremium nichtig – oder ist der Tarifvertrag insgesamt nichtig.“
Geklärt wird das frühestens im Sommer: Der nächste Verhandlungstermin ist für den 5. Juli angesetzt. Dann wird Richter Lohrmann auch die IG Metall als weitere Beteiligte zu der Verhandlung bitten. Eine Folge war den Anwesenden aber schon am Donnerstag bewusst: Über der kommenden Betriebsratwahl wird die Frage schweben, ob die zu besetzenden Gremien möglicherweise unrechtmäßig sind.