Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Stell dir vor, es ist Schule und nicht alle gehen hin
Schulschwänzer haben oft ernstzunehmende Probleme – Pädiatrische Psychosomatik bietet Behandlungsformen an
FRIEDRICHSHAFEN - Fünf bis zehn Prozent der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen haben Schulangst, Schulphobie oder verweigern sich der Schule und dem System der Erwachsenenwelt komplett. Es gibt eine ganze Reihe von Einrichtungen, die helfen können. Eine davon ist die Pädiatrische Psychosomatik im Klinikum Friedrichshafen, die an das Mutter-Kind-Zentrum angeschlossen ist.
Dr. Christian Höhne ist Leiter der Einrichtung, die seit sieben Jahren zum Klinikum Friedrichshafen gehört und eng mit Kinderarztpraxen, den Kinder- und Jugendpsychologischen Einrichtungen, Schulsozialarbeit oder Schulpsychologischen Beratungsstellen sowie anderen Kliniken zusammenarbeitet. Einfach ist es nicht und genug Kapazitäten gibt es in dem Gesamtgefüge dieses Themenbereiches auch nicht, sagt Christian Höhne.
Die Pädiatrische Psychosomatik in Friedrichshafen hat viel zu tun. Oftmals fallen die jungen Menschen durch zunehmende Fehlstunden in den Schulen, durch Fehlverhalten oder geistige Abwesenheit in der Schule auf. Jeder Fall ist einzigartig und kann nicht verallgemeinert werden. Die Probleme, die damit jedoch entstehen, werden von den Schulen und der medizinischen Versorgung ernst genommen.
Schulangst oder Schulphobie
Höhne teilt die „Typen“der „Schulschwänzer“, wie sie umgangssprachlich bezeichnet werden, in drei Kategorien ein. Zum einen gebe es die Totalverweigerer, unter denen vor allem ältere, die sogenannten unbeschulbaren, Jugendliche zu finden sind. Um mit ihnen arbeiten zu können, brauche es Projekte wie das von Josef Brugger gegründete „Kopf, Herz, Hand“und Fachleute, die mit viel Frustrationstoleranz die Jugendlichen wieder in Tages- und Lebensstrukturen zurückholen.
Dann gibt es junge Menschen, die unter Schulangst leiden. Die kann durch Versagensängste, Überforderung, Erwartungsdruck aus dem Elternhaus oder Verhalten innerhalb der Schule entstehen. Eine weitere Form ist laut Christian Höhne die Schulphobie. Hier seien meist andere Ursachen für die Angst und die Abneigung gegenüber der Schule verantwortlich, als sie in der Schule selbst zu suchen wären.
„Es gibt Fälle in denen Eltern sich getrennt haben und eigene Wege gehen. Sobald das Kind nicht mehr zur Schule geht, kümmern sie sich aber beide darum und sind in den Augen des Kindes „zusammen“. Daher führen Kinder diese Situation durch das Fernbleiben von der Schule unbewusst herbei“, sagt Christian Höhne.
Generell aber müsse gesagt werden, dass die Ursachen für die Verweigerung von Schule, den sogenannten Schulabsentismus, so vielfältig seien, wie die Individuen selbst. Umso wichtiger sei es, früh genug Ursachen zu finden, zu erkennen und zu behandeln. „Eine Gefahr ist, dass das Problem in allen Bereichen verharmlost und dadurch verschleppt wird“, sagt Höhne und erzählt von vielen Fällen, in denen Kinder mit Bauchschmerzen zu den Ärzten und in die Kinderklinik gebracht werden, ohne dass die Mediziner eine Ursache finden würden. Statt immer weiter zu untersuchen, sei oftmals der Weg zu Beratungsstellen, Schulsozialarbeit, der schulpsychologischen Beratungsstelle wichtig.
Um die Probleme, die die Kinder haben, behandeln und lösen zu können, ist Zeit erforderlich. Und Gespräche. Sobald Eltern mit ihren Kindern oder Jugendlichen in der Pädiatrischen Psychosomatik ankommen oder Ärzte sie darauf hinweisen, gibt es eine ganze Reihe von Gesprächen, bis die Kinder behandelt werden. Die stationären Behandlungsmöglichkeiten, die die Pädiatrische Psychosomatik im MUKIZ am Klinikum Friedrichshafen bietet, reichen für Kinder im Altersbereich von drei bis 18 Jahren. Zehn bis zwölf Plätze gibt es hier, drei davon dienen der Diagnose.
Christian Höhne hat die Erfahrung immer wieder gemacht, dass gerade in den Fällen, in denen das Diagnosdizieren über vermeintliche Krankheiten sehr lange dauert und auf körperlicher Ebene bleibt, die eigentliche Problemlösung sehr schwierig wird. Viele Kinderärzte melden sich im Klinikum, aber eben nicht immer. Computerspielsucht und Formen der AufmerksamkeitsDefizit-Hyperaktivitäts-Störung, die biologisch, psychisch oder sozial bedingt sein können, können unter Umständen sowohl als Ursache wie auch als Folge auf Schulabsentismus hinweisen. Wichtig, sagt Höhne, seien immer offene und klärende Gespräche. Diese finden in der Klinik ambulant statt. Als Lösungswege gebe es ebenfalls stets unterschiedliche Wege. Es ist möglich, dass ein Kind oder Jugendlicher an eine Praxis verwiesen wird, von der aus therapeutische Begleitung stattfindet. Weiter gibt es den Weg zum Kinder- und Jugendpsychiater, Jugendamt, zu externen Therapeuten, zur Schulsozialarbeit oder der Schulpsychologischen Beratungsstelle, um die Probleme zu lösen.
Eine weitere Möglichkeit ist die stationäre Behandlung, bei der ein acht- bis zwölfwöchiger Aufenthalt in Zweier-Zimmern im Klinikum ansteht. Dort werden in erster Linie Strukturen im Alltag wieder gegeben. Die Kinder und Jugendlichen haben einen Stundenplan, der von morgens bis zur Bettruhe um spätestens 22 Uhr geregelt ist. Wichtig dabei sei die Interaktion in der Gruppe und mit Gleichaltrigen, sagt Christian Höhne. Auch der Alltag dürfe nicht ausgeblendet werden, sondern gehöre zur Therapie dazu. Am Wochenende sind die Kinder daher immer zuhause und kommen montags wieder zurück. „Soviel Alltag wie möglich ist nötig, damit die Kinder nicht nach der Behandlung plötzlich mit ganz neuen Bedingungen konfrontiert werden“, sagt Christian Höhne.
Verantwortung für Gesellschaft
Die Arbeit in der Pädiatrischen Psychosomatik ist enorm wichtig, Christian Höhne betont die Bedeutung der Prävention. In vielen Fällen enden Schicksale von jungen Menschen Christian Höhne leitet die Psychosomatische Abteilung.
mit Schulabsentismus ohne Behandlung und Betreuung in der Drogenszene, der Kriminalität oder zumindest auf tiefstem sozialen Niveau ohne sonderliche Chancen für das spätere Leben. Insofern hätten Einrichtungen wie die Pädiatrische Psychosomatik eine sehr hohe Bedeutung für die Prävention, das spare eine Menge Geld, das ansonsten später aufgebracht werden müsste.
„Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung“, sagt Höhne. Er würde sich noch weitere Behandlungsoptionen wünschen. „Mehr geht immer“, und das beziehe sich auf das gesamte Netzwerk, das sich mit Themen wie dem Schulabsentismus befasst.