Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Das Herz auf dem Platz gelassen
Angelique Kerber fordert der Nr. 1, Simona Halep, beim 3:6, 6:4, 7:9 im Halbfinale der Australian Open alles ab
MELBOURNE (SID/dpa) - Angelique Kerber waren die Strapazen ihres aufopferungsvollen Kampfes deutlich anzusehen. Ihre Augen spiegelten die Erschöpfung und Enttäuschung wider, die schmalen Lippen presste sie fest aufeinander. Für einen Moment erinnerte sie an die blasse, verzweifelte und traurige Gestalt aus dem vergangenen Jahr. Doch dann fing Angelique Kerber an zu reden. Sie sprach von „Stolz“, von einem „positiven Gefühl“, das sie mit nach Hause nehme. Und trotz der Anstrengungen dieses wahnwitzigen Halbfinales von Melbourne blitzte noch einmal die große Kämpferin auf, die Angelique Kerber ohne Zweifel an diesem denkwürdigen Donnerstag in Down Under abgegeben hatte. „Ich habe mein Herz auf dem Platz gelassen“, sagte sie. „Das zeichnet mich aus, das hat mich auch im Jahr 2016 ausgezeichnet.“
Damals hatte Angelique Kerber die Australian Open gewonnen, diesmal ging ihr kurz vor dem Ziel gegen die Weltranglistenerste Simona Halep die Kraft aus. In einem Duell, das keine Verliererin verdient hatte, unterlag Kerber 3:6, 6:4, 7:9. Es war mehr als nur Trotz, als sie sagte: „Wenn mir jemand vor vier, fünf Wochen gesagt hätte, dass ich so einen Saisonstart haben werde, ich hätte es ihm wahrscheinlich nicht geglaubt.“19 Matches in 25 Tagen hat Kerber 2018 gespielt. Beim Hopman Cup in Perth gewann sie all ihre Einzel, beim Turnier in Sydney holte sie den Titel, und beim Grand Slam in Melbourne wurde sie erst gestoppt, als nur noch vier Spielerinnen im Tableau waren.
Ihre zwei Chancen zum Finaleinzug bei 6:5 und 40:15 im dritten Satz hatte Angelique Kerber da schon längst abgehakt. „Ich habe das Match nicht verloren, sie hat es gewonnen. Ich habe alles versucht, aber bei den Matchbällen konnte ich nichts machen“, sagte die 30-Jährige. 2:20 Stunden hatte sie zuvor nicht nur gegen Halep, sondern auch gegen die bleierne Schwere in ihren Beinen gekämpft. 19 Matches in 25 Tagen!
Auch ein 0:5 weggesteckt
„Schon beim Aufwärmen habe ich mich ein bisschen müde gefühlt“, berichtete die Kielerin. Ein katastrophaler Start, bei dem 20 von 25 Punkten an Halep gingen (es folglich 0:5 hieß), ließ den Weg ins Finale noch weiter werden. Doch anders als oft im vergangenen Jahr, in dem Angelique Kerber auf Rang 21 in der Weltrangliste abgestürzt war, gab sie nicht auf.
Sie habe sich auch gefragt: „Wo nehme ich das eigentlich her? Ich hole alles aus mir raus, auch wenn gar nichts mehr drin ist. Keine Ahnung, wie ich das mache.“Doch auch Simona Halep ließ nie locker, die Rumänin, die schon in der dritten Runde gegen Lauren Davis aus den USA Matchbälle abgewehrt hatte, wollte das Finale gegen die Dänin Caroline Wozniacki unbedingt. Für beide geht es am Samstag (9.30 Uhr MEZ/Eurosport) um ihren ersten Grand-Slam-Titel und die Führung in der Weltrangliste.
Angelique Kerber dagegen tritt die Rückreise mit der Erkenntnis an, sich mit 30 Jahren noch einmal neu erfunden und die Wende geschafft zu haben. Sie ist als Neunte zurück in den Top 10, zurück im Kreis der Großen. Die Erschöpfung wird weichen, die Enttäuschung ebenso. Es bleiben der Stolz und das positive Gefühl, wieder um die wichtigen Titel mitspielen zu können.
Nach einer kurzen Pause allerdings; sie wolle jetzt „einfach mal den Schläger in die Ecke legen“und entspannen. Angelique Kerber sprach’s, dann verriet sie noch: „Die Wende war nicht heute, die habe ich schon in Perth und in Sydney gespürt. Ich werde die positiven Dinge aus den letzten Wochen mitnehmen. Ich freue mich auf die nächsten Turniere.“
Der Kroate Marin Cilic hat bei den Australian Open das dritte GrandSlam-Finale seiner Karriere erreicht. Der US-Open-Champion von 2014 setzte sich gegen den 23 Jahre alten Briten Kyle Edmund souverän mit 6:2, 7:6 (7:4), 6:2 durch. Nach 2:18 Stunden verwandelte Cilic seinen ersten Matchball und bekommt nach dem Wimbledonfinale 2017 die nächste Chance auf einen großen Titel. Am Sonntag (9.30 Uhr MEZ) trifft der 29-Jährige auf Roger Federer (Schweiz) oder den Südkoreaner Chung Hyeon. Der 36 Jahre alte Titelverteidiger und sein 15 Jahre jüngerer Herausforderer spielen am Freitag (9.30 Uhr MEZ/ebenfalls Eurosport) das zweite Halbfinale. Im vergangenen Jahr war Cilic in Wimbledon an Federer gescheitert. „Ich würde gerne gegen den Spieler antreten, den ich schlagen kann“, scherzte Cilic, der als erster Kroate überhaupt um den Titel bei den Australian Open spielt. Der künftige Weltranglistendritte wird mit großem Selbstbewusstsein ins Endspiel gehen: „Ich fühle mich körperlich sehr gut. Bis jetzt ist es ein großartiges Turnier für mich. Ich spiele noch aggressiver als im vergangenen Jahr.“(SID)