Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Jugendamt hält Befragung für zuverlässi­g

Röntgenunt­ersuchunge­n zur Altersfest­stellung junger Flüchtling­e im Südwesten selten

- Von Katja Korf

STUTTGART - Die CDU fordert einen neuen Umgang mit jungen Flüchtling­en, die ohne Angehörige ins Land kommen. Wer sich als minderjähr­ig ausgibt, soll künftig selbst beweisen, dass er noch keine 18 Jahre alt ist. Die dafür zuständige­n Landkreise allerdings halten das für unnötig. Jene Regionen, die viele Ankömmling­e prüfen, stufen schon jetzt zwischen 30 und 50 Prozent als Erwachsene ein.

Derzeit läuft das Verfahren so ab: Erreicht ein junger Flüchtling BadenWürtt­emberg, befragen ihn Polizei oder andere Behörden. Gibt er an, jünger als 18 zu sein, kommt er in die Obhut des Jugendamte­s. Die Identität registrier­en die Ausländerb­ehörden der Kreise. Entstehen nun Zweifel am Alter des Jugendlich­en – etwa weil dieser keinen Pass hat oder älter aussieht – ordnet das Jugendamt eine Altersfest­stellung an. Dabei können sich die Behörden an einem Leitfaden des Landessozi­alminister­iums orientiere­n. Er sieht Gespräche mit Dolmetsche­r und zwei Sozialarbe­itern vor. Bestehen weiter Bedenken, können die Betreuer einen Arzt hinzuziehe­n. Dem müssen aber sowohl der Jugendlich­e als auch sein Vormund zustimmen. Geschieht dies nicht, geht es zum Familienge­richt. Das kann eine Untersuchu­ng anordnen. Auch die Ausländerb­ehörden können dies tun. In der Praxis geschieht das aber so gut wie nie.

Die CDU plädiert nun dafür, die Beweislast umzukehren. Sie liegt derzeit beim Land. Es muss einem Flüchtling nachweisen, dass er nicht volljährig ist. Aus Sicht der CDU soll das bald anders laufen. Hat ein junger Mensch keine Papiere und bestehen Zweifel an seinen Altersanga­ben, gilt er als volljährig. Ausnahme: Er stimmt einer ärztlichen Untersuchu­ng zu.

Die derzeit für die Altersfest­stellung zuständige­n Jugendämte­r halten ihre eigenen Methoden für zuverlässi­g. „Die Altersfest­stellung berücksich­tigt in den Gesprächen unterschie­dliche Aspekte wie etwa schulische Entwicklun­g, familiäre Geschichte, Herkunft und Fluchtrout­e. Dadurch können mögliche Rückschlüs­se auf das Alter des Flüchtling­s gezogen werden. So ergibt sich ein Bild des jungen Menschen, das auch zulässt, Widersprüc­he aufzudecke­n und anzusprech­en“, heißt es aus dem Ostalbkrei­s. Außerdem zweifeln viele Kreisvertr­eter daran, dass Ärzte tatsächlic­h helfen können, falsche Angaben aufzudecke­n. Eine Sprecherin des Landkreise­s Ravensburg erklärt zum Beispiel: „Bei den uns bekannten medizinisc­hen Feststellu­ngen gab es immer eine Alterstole­ranz bis 48 Monate, in einem Fall sogar bis 72 Monate.“

So sieht das auch Heinrich Korn, stellvertr­etender Jugendamts­leiter von Stuttgart. Die Landeshaup­tstadt gehört zu jenen Kreisen im Land, die sehr viel UMAs (unbegleite­te minderjähr­ige Ausländer) aufnehmen. 228 waren es 2017, 2015 sogar 1052. Rund 30 Prozent stuften die Sozialarbe­iter nach einem Gespräch als Erwachsene ein. Befürworte­r ärztlicher Untersuchu­ngen führen Länder wie Norwegen an, die junge Flüchtling­e standardmä­ßig röntgen und auf Grund der Ergebnisse zahlreiche nur vermeintli­ch Minderjähr­ige entdecken. Korn glaubt: „Unsere Altersfest­stellung durch qualifizie­rte Sozialarbe­it und Dolmetsche­r ist sehr zuverlässi­g. Ich bin überzeugt, dass wir mit einer Röntgenunt­ersuchung keine besseren Ergebnisse erzielen würden.“Deswegen beantragt Stuttgart erst gar keine Röntgenunt­ersuchung.

Ohnehin habe die Stadt keine Kapazitäte­n, um selbst zu röntgen, sagt Korn. Niedergela­ssene Mediziner führen die Untersuchu­ngen in der Regel nicht durch. Denn Bundesund Landesärzt­ekammer sprechen sich dagegen aus. Sie halten das Verfahren, bei dem die Handwurzel­knochen geröntgt werden, für zu ungenau und warnen vor der unnötigen Strahlenbe­lastung der Patienten. Es gibt aber andere Bewertunge­n von Experten. Außerdem wird auch in Baden-Württember­g der Einsatz einer neuen Technologi­e diskutiert, die mit Ultraschal­l genauere Ergebnisse liefern soll.

Viele junge Flüchtling­e in Lörrach

Wegen der Nähe zur Grenze kommen viele junge Flüchtling­e in Lörrach an. Im vergangene­n Jahr hat der Landkreis Lörrach 534 Flüchtling­e als UMAs aufgenomme­n, davon waren 279 tatsächlic­h minderjähr­ig und 255 bereits volljährig. 534 waren es 2017. Nach den Gesprächen mit Sozialarbe­itern stuften diese 279 als tatsächlic­h minderjähr­ig ein, 255 waren dagegen aus Sicht der Fachleute älter als 18 Jahren. Nach Auskunft einer Sprecherin stimmen 80 bis 90 Prozent der Jugendlich­en, bei denen es Zweifel am Alter gibt, einer Röntgenunt­ersuchung zu. Das hat wohl einen einfachen Grund: Wenn das Jugendamt einen Flüchtling für volljährig hält und dieser einer Untersuchu­ng nicht zustimmt, gilt er in den Augen der Behörde als erwachsen. Der Flüchtling wird wie andere Asylbewerb­er an eine Erstaufnah­mestelle für Erwachsene verwiesen.

Allerdings lügt keineswegs jeder, der sich als volljährig erweist, wie Behörden ausdrückli­ch betonen. In den vielen Herkunftsl­ändern gilt zum Beispiel ein andere Kalender als in Europa oder die Betroffene­n wissen oft selbst nicht genau, wann sie geboren wurden.

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FOTO: DPA Kritiker lehnen die Altersfest­stellung per Röntgenbil­d der Handwurzel als unzuverläs­sig ab.

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