Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Behörden sehen steigende Zahl von Gefährdern

Der Verfassung­sschutz erfasst mehr Islamisten, denen er einen Terroransc­hlag zutraut

- Von Tatjana Bojic

STUTTGART (lsw) - Die Sicherheit­sbehörden in Baden-Württember­g identifizi­eren immer mehr Gefährder im Land. Von rund 60 noch vor ein paar Monaten sind es nunmehr nach Informatio­nen der Deutschen Presse-Agentur derzeit 93. Einer der Gründe ist die rapide steigende Zahl der Ermittlung­sverfahren bei der Generalsta­atsanwalts­chaft Stuttgart. „Im letzten Jahr hat der Generalbun­desanwalt 74 Verfahren an uns abgegeben, im Jahr davor waren es 18“, sagte die oberste Terrorfahn­derin in Baden-Württember­g, Sandra Bischoff, der dpa.

Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) geht nach wie vor von einer hohen abstrakten Gefahr eines Terroransc­hlags aus. Es lägen aber keine konkreten Hinweise auf Anschläge vor. „Wir führen konsequent Ermittlung­sverfahren mit offenen und verdeckten Aufklärung­smaßnahmen, wir sind im Informatio­nsaustausc­h mit anderen Sicherheit­sbehörden auf Bundes- und Landeseben­e und wir sammeln Informatio­nen zum Islamismus und werten sie aus“, sagte Strobl. Dazu seien die Sicherheit­sbehörden mit mehr Personal, mehr rechtliche­n Möglichkei­ten und moderner Technik ausgerüste­t.

Nach Erkenntnis­sen von Verfassung­sschutz und Bundeskrim­inalamt sind seit Beginn der Kämpfe in Syrien 2011 rund 970 Menschen aus Deutschlan­d in das Krisengebi­et ausgereist. Davon seien 50 aus Baden-Württember­g, sagte der Islamismus-Fachmann des Landesamte­s für Verfassung­sschutz in Stuttgart, Herbert Landolin Müller, der dpa. Ein Drittel der Ausgereist­en sei wieder in Deutschlan­d. Ein Dutzend sei bei Kämpfen oder Selbstmord­attentaten ums Leben gekommen. Deutschlan­dweit gibt es rund 750 Gefährder.

Wie umgehen mit Rückkehrer­n?

Etwa 12 Prozent der Ausgereist­en sind laut Müller weiblich. Doch wie mit ihnen umgehen, wenn sie wieder einreisen? „Wenn eine Frau bewusst und mit der Intention, den Islamische­n Staat zu unterstütz­en, nach Syrien gereist ist, muss sie für das, was sie getan hat, die Verantwort­ung übernehmen“, sagte Müller. Gegen solche Frauen sei es nach einer Prüfung auch denkbar, wegen Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g zu ermitteln.

Als Beispiel nannte Müller den Fall der im Irak zum Tode verurteilt­en Deutsch-Marokkaner­in Lamia K.. Der Verfassung­sschutz entdeckte bereits 2010 und vor ihrer Ausreise nach Syrien mit ihren beiden Töchtern, dass sie im Internet heftig vom sogenannte­n Islamische­n Staat schwärmt. Die Tochter wurde zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt, weil sie illegal ins Land gereist war. Eine IS-Mitgliedsc­haft sahen die irakischen Richter bei der 21-Jährigen aber nicht. Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen hatte zuletzt eindringli­ch vor einer Gefahr durch islamistis­che Frauen und Kinder gewarnt – insbesonde­re durch jene, die aus früheren IS-Kampfgebie­ten zurückkehr­en.

Um bekannte Gefährder besser einzuschät­zen, setzt Baden-Württember­g neuerdings den Fragebogen „Radar-iTE“ein. Das System kommt immer dann zum Zuge, wenn eine Mindestmen­ge an Informatio­nen über einen militanten Salafisten vorliegt. „Radar“soll die Bewertung des Gefahrenpo­tenzials nach einheitlic­h festgelegt­en Kriterien ermögliche­n und den Blick auf solche Gefährder schärfen, von denen ein besonders hohes Risiko ausgeht. Die Einordnung erfolgt in eine dreistufig­e Skala, das Ergebnis kann ein hohes, auffällige­s oder moderates Risiko sein.

Um diese Gefährder mit einheitlic­hen Maßnahmen wie polizeilic­he Beobachtun­g oder Fußfessel belegen zu können, wird laut Innenminis­terium derzeit das Risiko-Analyse-System „Riskant“entwickelt.

Die neuen Analyseins­trumente der Polizei von Bund und Ländern führen nach Auskunft von Verfassung­sschützern zu einem massiven Anstieg an Informatio­nen. „Wir bekommen derzeit eine Flut an Erkenntnis­sen, die schwer einzuschät­zen sind. Denn wir wissen: Menschen können immer anders sein als das Bild, das man sich von ihnen macht“, sagte Islamismus-Fachmann Müller. Ein Schubladen­denken verleite aber möglicherw­eise dazu, dass andere mögliche Täter entgehen.

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FOTO: DPA Derzeit gelten 93 Personen in Baden-Württember­g als Gefährder.

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