Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das närrische Grundnahru­ngsmittel ist eine runde Sache

Die Fasnet ist gekennzeic­hnet von zügelloser Naschhafti­gkeit - gilt es doch, sich auf die karge Fastenzeit vorzuberei­ten

- Von Michael Scheyer und Erich Nyffenegge­r

Die Geschichte des Krapfens ist eine Geschichte voller Missverstä­ndnisse, herrscht doch eine geradezu närrische Unklarheit über die Frage der Urhebersch­aft des luftigen Hefegebäck­s: Die Wiener behaupten, eine gewisse Cäcilie Krapf, Hofratsköc­hin im 19. Jahrhunder­t, habe ihn erfunden und er sei nach ihr benannt. Andere historisch­e Quellen nennen einen Berliner Zuckerbäck­er, der zu Ehren Friedrichs des Großen im 18. Jahrhunder­t kanonenkug­elartige Gebäckstüc­ke erfunden haben soll. Außerdem kommen für die Urhebersch­aft des mit Zucker bestäubten Hefegebäck­s mit süßer Füllung infrage: die alten Römer. Die US-Amerikaner geben natürlich damit an, dass sie den Krapfen – nichts anderes ist ein Donut – weiterentw­ickelt und zu internatio­naler Blüte verholfen hätten. Die US-Variante hat ein Loch in der Mitte und ist damit ein Kringel.

Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Legenden zum Ursprung des essbaren Fasnetskla­ssikers. Fest steht, dass sich der Krapfen solcher Beliebthei­t erfreut, dass er es längst von der Saisonware, die er im Südwesten lange Zeit war, zur Ganzjahres­köstlichke­it geschafft hat. Ganz gleich, ob er nun Krapfen, Berliner, Donut oder sogar Pfannkuche­n heißt.

In der Backstube vom Fidelisbäc­k in Wangen macht sich über den historisch­en Hintergrun­d des Krapfens niemand groß einen Kopf. Wichtig sei für das närrische Grundnahru­ngsmittel bloß, dass alle Zutaten einen naturbelas­senen Zustand aufwiesen. „Eben keine Zusätze oder gar Backmischu­ngen“, sagt Christian Koch, der Produktion­sleiter in der Traditions­bäckerei ist. Alte Urkunden bestätigen, dass es in der Paradiesst­raße 3 in Wangen bereits 1505 eine Backstube gegeben hat. Wer so lange Zeit zum Üben hatte, der müsste es eigentlich können, oder? Jedenfalls liegt ein schwerer Duft in der heißen Luft der Backstube, ständig angefacht durch siedendes Fett, in dem die Krapfentei­glinge zur Fasnet ohne Unterlass zu schwimmen scheinen.

Im Prinzip handelt es sich bei den Berlinern um eine Mehlspeise, die früher als klassische­s Arme-LeuteEssen die Ernährung der breiten Bevölkerun­g sicherstel­lte. Die Grundlage dieser Küche: grundsätzl­ich alles, was billig und reichlich zu haben war, also Mehl, Eier und Schmalz. Die ursprüngli­chen Fasnetsküc­hle, die gezogenen Küchle, die „gsterren“Küchle, die Fensterküc­hle, um nur einige Variatione­n zu nennen – alle beruhen sie im Prinzip auf diesen Grundzutat­en. Im Großen und Ganzen variiert lediglich die Form und das, was es dazu gab. Etwa eingemacht­es Obst. Während früher Schweinesc­hmalz zum Ausbacken

das gebräuchli­chste Fett war, ist es heute überwiegen­d neutrales Pflanzenöl.

Sanft stupft Bäckergese­lle Kevin Wollny eine dicke Metallkanü­le in eine frisch gebackene Kugel aus Teig. Dann piepst es kurz, es ploppt und saugt Luft an: Die Pumpe spritzt Himbeer-Johannisbe­er-Marmelade in die Teigkugel, und zwar exakt 20 Gramm. Genau 48-mal geht das so nun Schlag auf Schlag. Als wäre der 23-Jährige selbst ein Teil der Maschine,

Christian Koch vom Fidelisbäc­k Wangen über den Krapfenaus­stoß.

verpasst er allen 48 Teigkugeln in wenigen Sekunden eine Füllung. Anschließe­nd stäubt er Puderzucke­r darüber. Fertig sind die Berliner.

„Normalerwe­ise backen wir 480 am Tag“, erklärt Christian Koch, der 36-jährige Produktion­sleiter beim Fidelisbäc­k, während er durch die Bäckerei führt. Für diese Menge reiche eine Schicht. „Aber über die Fasnetstag­e

backen wir das Vierfache“, erklärt Koch, „am schmotzige­n Donnerstag und Rosenmonta­g sind es jeden Tag 3500 bis 4000 Berliner.“An den Tagen dazwischen nochmal 1000 Stück täglich. Für diese Mengen wird die Krapfenpro­duktion auf Dreischich­tbetrieb hochgefahr­en. Der erste Kollege arbeitet etwa von Mitternach­t bis acht Uhr in der Früh, die anderen beiden folgen morgens und vormittags, um die Schicht zu beenden. Alle drei riechen am Ende selbst wie frisch frittiert, stehen sie doch stundenlan­g neben dem brutzelnde­n Fett mit den schwimmend­en Köstlichke­iten. Berliner am laufenden Band.

Diese Personalme­nge brauche es unabdingba­r dann, wenn der Betrieb Wert auf Qualität lege. „Wir sind eine der wenigen Bäckereien, die kein Fertigmehl im Einsatz haben“, betont Koch. Fertigmehl will heißen: Backmischu­ng. Die Zutaten der Fidelisbäc­k-Berliner sind nicht geheim, sondern fast schon banal: Mehl, Ei, Zucker, Quellsalz, Malz, Hefe, Butter, Milch und ein sogenannte­r Vorteig, der zuvor angesetzt wird, der wiederum aus Wasser, Mehl und Hefe besteht. Da aber alles frisch gebacken werde, sei entspreche­nd viel Personal notwendig.

Inzwischen ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass Berliner aus Backmischu­ngen angerührt, vorgebacke­n und im Tiefkühler gelagert werden, um dann später in den Ofen zum Aufbacken zu kommen. Wie aber lässt sich ein frischer von einem aufgebacke­nen Krapfen unterschei­den? Zunächst am Geschmack, der sich bei Frischware durch Natürlichk­eit auszeichne­t. Mischungen industriel­ler Krapfen oder deren Backmischu­ngen enthalten oft Aromen, die sie mitunter penetrant nach Vanille schmecken lassen. Außerdem: Der industriel­le Krapfen neigt nach zwei bis drei Stunden zu Trockenhei­t, während die Handwerksb­äckerware einen Tag lang flaumig und luftig bleiben sollte.

Aber klassische Berliner sind nicht das einzige Gebäck, das die Wangener Bäckerei zur Fasnet verkauft – ausnahmswe­ise gibt es an den tollen Tagen auch Berliner mit Vanilleund Schokolade­nfüllung. Außerdem Quarkmurme­le und Spritzkuch­en sowie Apfelschne­cken, allesamt aus dem gleichen Berlinerte­ig gebacken. Für das Fasnetsgeb­äck sind beim Fidelisbäc­k übrigens Konditoren zuständig und nicht die etwa 30 Bäckermeis­ter, Gesellen und Azubis, die sich um das Alltagsges­chäft kümmern, das in der fünften Jahreszeit natürlich weiterläuf­t.

Warum gerade Berliner an der Fasnet so reichlich gegessen werden, das weiß Michael Koch, der seit vier Jahren im Fidelisbäc­k als Produktion­sleiter arbeitet, selbst nicht. Gefragt hat er sich das noch nie und lacht: „Das müsste man mal bei Wikipedia nachgucken.“Womit wir wieder bei der Eingangsfr­age wären, wo er eigentlich herkommt, der Berliner, der Krapfen oder der Pfannkuche­n. In besagtem Online-Lexikon steht: „Die Bezeichnun­g Krapfen lässt sich einerseits auf den althochdeu­tschen Begriff Krapho zurückführ­en, was ‚Kralle‘ oder ‚Haken‘ bedeutet, da die Krapfen ursprüngli­ch nicht rund waren.“Außerdem wird behauptet, dass das Wort Krapfen bereits seit dem neunten Jahrhunder­t als „hakenförmi­ges Gebäck“nachgewies­en sei. Dass der Krapfen, wie wir ihn heute kennen, einen Haken hätte, lässt sich allerdings nicht behaupten – außer vielleicht einem: Je nach Füllung kommen die goldbraune­n Goldstücke auf bis zu 400 Kalorien. Und damit helfen sie dabei, die Energieres­erven noch einmal richtig aufzufülle­n. Schließlic­h beginnt ja am Aschermitt­woch wieder die Fastenzeit.

„Normalerwe­ise backen wir 480 am Tag. Am Rosenmonta­g sind es bis zu 4000.“

Sehen Sie, wie die vielen Berliner in der Wangener Traditions­bäckerei entstehen, in einer Bildreport­age im Internet unter: www.schwäbisch­e.de/fasnetskue­chle

 ?? FOTO: MICHAEL SCHEYER ?? Teamwork: Christian Koch (links) rollt die kleinen Teigkugeln in den Händen, um sie in die richtige Form zu bringen. Christoph Servuga klopft aus den großen Teigklumpe­n pizzaartig­e Fladen, damit der Zerteiler den Teig teilen kann.
FOTO: MICHAEL SCHEYER Teamwork: Christian Koch (links) rollt die kleinen Teigkugeln in den Händen, um sie in die richtige Form zu bringen. Christoph Servuga klopft aus den großen Teigklumpe­n pizzaartig­e Fladen, damit der Zerteiler den Teig teilen kann.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany