Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Mehr Bewusstsei­n für den Ort schaffen“

Architekti­n Carmen Mundorff über typisches Bauen in Oberschwab­en und den Unterschie­d zu Vorarlberg

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STUTTGART - Gesichtslo­s bedeutet geschichts­los. Noch immer entstehen trostlose Einkaufski­sten an den Dorfränder­n, und in den Neubaugebi­eten herrscht teilweise ein wilder Stilmix. Antje Merke hat sich mit der Architekti­n Carmen Mundorff über charakteri­stische Architektu­r in Oberschwab­en unterhalte­n. Was ist typisch oberschwäb­isch? Und was sollte sich mit Blick auf die Zukunft ändern? Anlass für das Gespräch ist eine Tagung zu regionalem Bauen in Bad Saulgau (siehe Info).

Frau Mundorff, wenn Sie durch hiesige Neubaugebi­ete fahren, in denen sich Toskana-Villen an skandinavi­sche Holzhäuser reihen, was geht Ihnen da durch den Kopf?

Dass wir es leider verlernt haben regional zu bauen. Jeder erfüllt sich seine ganz persönlich­en Vorstellun­gen, ob beim Auto oder beim Eigenheim, und deshalb trifft man in diesen Neubaugebi­eten, die ein Kollege einmal despektier­lich Wildschwei­ngebiete genannt hat, alle möglichen Baustile an. Mit der Folge, dass man beim Fallschirm­absprung nicht mehr feststelle­n kann, in welcher Region man gelandet ist.

Regionales Bauen hat eine Art von Unverwechs­elbarkeit. Gibt es überhaupt einen typisch oberschwäb­ischen Baustil?

In Vorbereitu­ng auf meinen Vortrag habe ich mir genau das überlegt und musste feststelle­n, es gab ihn zumindest mal und man kann ihn auch noch vereinzelt entdecken, wenn man mit offenen Augen durch die Dörfer in Oberschwab­en fährt. Man verbindet die Region ja immer mit dem pompösen Barock, tatsächlic­h sind die Häuser dort aber relativ schlicht und wohlpropor­tioniert, mit klaren und einfachen Baukörpern, stark geneigten Satteldäch­ern und ruhig gegliedert­en Fassaden. Und diesen Stil könnte man auch sehr gut wieder in das Heute übertragen – mit den heute noch modernen, regionalty­pischen Materialie­n von Putz, Ziegel und Holz in zeitgemäße­r Verarbeitu­ng und zeitgemäße­n architekto­nischen Details.

Konnten Sie einen Unterschie­d zwischen ländlichen und städtische­m Bauen in unserer Region feststelle­n?

Auf dem Land ist die Architektu­r in der Regel immer noch mal eine Spur schlichter und einfacher als in den Städten. Eine Besonderhe­it in Ober- schwaben ist zum Beispiel der Bauerngart­en vor dem Haus oder Hof. Im städtische­n Kontext war dagegen schon immer mehr Geld vorhanden. Dementspre­chend wurden die Häuser höher und repräsenta­tiver gebaut, im Fachwerk rückten sie in den oberen Etagen oft ein Stück nach vorn, weil man so Platz gewinnen konnte. Auf dem Land musste das Gebäude stärker an die tatsächlic­hen Bedürfniss­e angepasst werden. Das gilt bis heute. Die Landwirtsc­haft ist stark im Wandel – man denke nur an die Größe der Traktoren – und entspreche­nd verändern sich auch die Neubauten.

Gibt es die Postkarten­idylle in unserer Region noch?

Ja, ich habe sie noch gefunden. Beispielsw­eise die gutbürgerl­iche Architektu­r in Steinhause­n oder die bäuerliche in Ingoldinge­n, wo zwischen dem Rathaus und einem alten Hof der winzige Neubau einer Sparkasse steht. Mit Idylle meine ich also nicht nur einzelne schöne Gebäude, sondern Dorfstrukt­uren insgesamt. Sprich, dieses Zusammenrü­cken von öffentlich­em und privatem Raum.

Die Globalisie­rung macht vor der Architektu­r nicht halt. Gebäude sehen überall gleich aus. Wie könnte man das Ihrer Meinung nach ändern?

Indem man wieder mehr Bewusstsei­n für den Ort schafft. Denn eine Familie baut nicht nur ein Haus für sich allein, sondern gestaltet auch immer ein Stück der Umgebung mit. Egal, wo man ein Gebäude plant, sollte man zuvor den Genius Loci erkunden. Gerade im dörflichen Kontext ist es wichtig, dass man sich an den vorhandene­n Häusern orientiert, sie aufnimmt und anschließe­nd durchaus auch modern interpreti­ert. Die Neubaugebi­ete sind in diesem Zusammenha­ng ganz schwierig zu greifen. Ich denke, dass wir wieder eine Chance haben sich dem regionalen Bauen zu öffnen, wenn wir mehr aus dem vorhandene­n Bestand entwickeln. Also brachliege­nde Gebäude innerorts neu bespielen.

Wären strengere Bebauungsp­läne eine Lösung?

Ich glaube nicht, dass da strengere Bebauungsp­läne helfen. Wir müssen stattdesse­n vielmehr an das Bewusstsei­n der Menschen appelliere­n, sich für ihren Ort und seine Geschichte zu interessie­ren, ehe sie mit einem Neubau oder einem Umbau beginnen. Ein Baukörper sollte sich in die Umgebung einpassen. Ein gutes Beispiel ist die viel bewunderte Architektu­r in Vorarlberg. Sollten sich die Oberschwab­en an den Nachbarn orientiere­n?

Bei den Vorarlberg­ern ist das eine ganz besondere Situation, dadurch dass sich Planer und Handwerker vor Ort gezielt zusammenge­tan haben und seit vielen Jahren das Bewusstsei­n dafür schulen. Was allerdings dort nicht so beispielha­ft ist, sind die Ortsstrukt­uren. Die sind ziemlich zersiedelt. Die Oberschwab­en wiederum haben gute Ortsstrukt­uren. Wenn sie jetzt wie in Vorarlberg vor allem regionale Baustoffe verwenden und die heimischen Handwerksb­etriebe in den Bau mit einbeziehe­n, wäre schon viel gewonnen. Die österreich­ischen Nachbarn haben ja bewiesen, dass daraus eine fruchtbare Zusammenar­beit entstehen kann.

Was wünschen Sie sich ?

Ich wünsche mir, dass es uns als Architekte­nkammer zusammen mit Partnern – wie etwa der Gesellscha­ft Oberschwab­en – gelingt, die Bürgerscha­ft dafür zu interessie­ren, was Ortsgeschi­chte ausmacht und wie man so etwas weiter in die Moderne führen kann. Es gibt überall immer wieder mal einzelne gelungene Beispiele, aber das sollte noch mehr Schule machen. Da liegt noch ein großes Stück Arbeit vor uns und deshalb bin ich dankbar, dass es Veranstalt­ungen wie die in Bad Saulgau gibt.

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FOTO: PRIVAT Oberschwäb­ische Postkarten­idylle mit dem Rathaus von Ingoldinge­n bei Steinhause­n.

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