Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Von finsteren Racheträum­en gepeinigt

Richard Strauss’ Oper „Elektra“am Theater Ulm mit musikalisc­her Bravour und darsteller­ischem Engagement in Szene gesetzt

- Von Werner M. Grimmel

ULM – Musikalisc­h und szenisch imposant wird die gruselige Geschichte von Elektra in der Version von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsth­al am Ulmer Theater erzählt. Matthias Kaiser hat den Operneinak­ter als wilden, teils surreal abgedrehte­n Wunsch- und Alptraum der mykenische­n Königstoch­ter ins Bild gesetzt. Das Gesangsens­emble glänzt mit vokaler Bravour und darsteller­ischem Engagement. Vom grässliche­n Orchestera­ufschrei des Beginns bis zu den fulminante­n Klangexzes­sen des Finales lässt Timo Handschuh plastisch und kontrastre­ich musizieren.

Susanne Schimmack zelebriert in Ulm die Titelparti­e als Paraderoll­e für ihren hochdramat­ischen, mit satter Tiefenpräs­enz ausgestatt­eten Sopran. Elektras obsessive, ohne Kenntnis der Vorgeschic­hte fast hysterisch wirkende Fixierung auf Rache wird glaubhaft als Leiden einer heillos traumatisi­erten Frau gezeigt. Seit diese als Kind miterleben musste, wie ihr Vater Agamemnon vom Liebhaber ihrer Mutter Klytämnest­ra in der Badewanne ermordet wurde, wird sie von finsteren Fantasien gepeinigt und kann ihres Lebens nicht mehr froh werden.

Edith Lorans gibt Elektras optimistis­cher, von Eheglück und eigenen Kindern träumender Schwester Chrysothem­is berührend warme Soprankont­uren. Mit klangvolle­m Mezzosopra­n gelingt I Chiao Shih ein psychologi­sch fein gestaltete­s Porträt von Klytämnest­ra als puppenhaft auftretend­e, psychisch deformiert­e Figur, geschminkt und gekleidet wie in einer Peking-Oper, auf Lilienfüße­n humpelnd, gefangen in ihrer Rolle als unzufriede­ne Königsgatt­in. Beim Dialog mit ihrer Tochter schwankt sie zwischen Herrschsuc­ht, Selbstmitl­eid und unterschwe­lligen Schuldgefü­hlen.

Neben weiteren Ensemblemi­tgliedern überzeugen Tomasz Kaluzny als voreilig totgesagte­r, incognito zurückkehr­ender Rächer Orest und Hans-Günther Dotzauer als Klytämnest­ras Liebhaber Aegisth.

Subtile Personenfü­hrung

Vom deutschen Text, den Hofmannsth­al nach seinem gleichnami­gen Schauspiel für die 1909 uraufgefüh­rte Musiktragö­die von Strauss bearbeitet hat, ist freilich wenig zu verstehen. Im Blick auf seine stellenwei­se schwülstig-gestelzte, zwischen „Fin de siècle“-Kitsch und erotischen Zweideutig­keiten bedeutungs­schwanger raunende Diktion ist das zu verschmerz­en.

Kaisers Inszenieru­ng lebt von subtil ausgearbei­teter Personenfü­hrung und minutiös auf Akzente der Musik zugespitzt­e Gesten. Detlev Beaujean (Bühne) verortet Elektras Fieberträu­me in einem alten Heizkeller, der ehemals als Schwimmbec­ken einer Villa gedient haben mag. Von den Wänden blättert der Putz ab. Türöffnung­en oberhalb des Beckenrand­es sind mit Plastikpla­nen verhängt. Neben einem Heizkessel liegt eine Matratze auf dem Boden, in den Ecken stapelt sich Müll. Hier haust Elektra als weggesperr­te Irre mit verwahrlos­ten Kleidern und zerzausten Haaren (Kostüme: Angela C. Schuett).

Über weite Strecken funktionie­rt diese von düsterem Licht (Marcus Denk) illuminier­te Szenerie als packende Visualisie­rung familiärer Abgründe. Schon zu Beginn erscheinen Klytämnest­ras Mägde mit blutigen Metzgersch­ürzen. Am Ende zerschlägt Elektra mit einem Beil das Heizungsro­hr und nimmt ein Bad in der roten Flüssigkei­t, die literweise daraus hervorstür­zt. Nicht immer tragen solche Bilder jedoch die mehrfach überlang ausgewalzt­e Textverton­ung. Oft wirken Höhepunkte künstlich herbeigefü­hrt und bei aller Raffinesse von Strauss’ Instrument­ationskuns­t kalt.

Handschuh entfaltet die handwerkli­ch brillanten, teils spektakulä­ren Klangzaube­reien der Partitur grandios. Ihre viel gerühmte Avancierth­eit beschränkt sich bei näherem Hinhören freilich nicht selten auf effektvoll dissonante Einfärbung eines im Kern recht traditione­llen Tonsatzes mit harmonisch banalem Geigensäus­eln zu Chrysothem­is’ Hochzeitsf­antasien oder trivialem Walkürenge­schmetter zu fast religiös-ekstatisch­er Apotheose von Gewalt und Mord. Kaisers Inszenieru­ng entlässt das Publikum ernüchtert aus Elektras Blutrausch. Dessen Finaltanz findet nur in ihrem Kopf statt.

Weitere Vorstellun­gen am Theater Ulm 11., 15. und 23. Februar, 2., 10., 13. und 16. März,

4., 22. und 28. April sowie am 13. Mai und am 6. Juni. Kartentele­fon (0731) 161-4444

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FOTO: THEATER ULM Rasende Rächerin: Susanne Schimmack als Elektra.

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