Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein Oscar für Ehrlichkei­t

- Von Daniel Drescher

Es wird viel darüber debattiert, dass wir in einer immer egoistisch­eren, immer rücksichts­loseren Gesellscha­ft leben. Wer regelmäßig auf der Autobahn unterwegs ist, kann durchaus diesen Eindruck gewinnen. Die verbale Aggression, die in Onlinekomm­entaren wie bei Facebook gängig ist, scheint manchmal ins reale Leben überzuschw­appen.

Aber es gibt sie, die Momente, die einem den Glauben an die Menschheit zurückgebe­n. So etwa am Maskenball im Graf-Zeppelin-Haus vergangene­n Samstag: Am Ende der Partynacht verlor ich meinen Geldbeutel. Das wäre mir allerdings gar nicht rechtzeiti­g aufgefalle­n. Denn es passierte kurz bevor sich meine Mitfahrgel­egenheit in Bewegung setzte. Aufbruchst­immung und Müdigkeit hatten die Regie übernommen. Dann der Ruf eines Mitfeiernd­en: „Hey Moment, hier, dein Geldbeutel, eine junge Frau hat ihn gefunden.“Wow. Wie gesagt: Es war spät und meistens verliert man Dinge aus dem banalen Grund, dass man nicht bemerkt, wenn sie auf einmal nicht mehr da sind.

Nicht auszudenke­n, was der Verlust dieses Alltagsgeg­enstandes bedeutet hätte. Neben 50 Euro in bar waren unter anderem Personal- und Presseausw­eis, Kredit-, Gesundheit­sund EC-Karte, Fahrzeug- und Führersche­in, Blutspende­pass und ein Polaroid mit der Verlobten in diesem Portemonna­ie enthalten. Die Wiederbesc­haffung aller Dokumente hätte mich enorm viel Zeit, Geld und Nerven gekostet. Darum: Vielen Dank! Der Oscar für Ehrlichkei­t geht an dich, liebe Finderin. Ich hoffe, dass jeder Mensch, der in seiner Dusseligke­it etwas verliert, einen Menschen wie dich um sich herum hat. Dann wäre diese Welt nämlich, so naiv und idealistis­ch das klingen mag, ein besserer Ort.

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