Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Elf Millionen Euro Strafe für die Bahn
Drohbrief und verdächtiger Fund alarmieren Behörden – V-Mann belastet Thüringer Amt
STUTTGART (kab/lsw) - Wegen schlechter Leistungen im Nahverkehr im vergangenen Jahr muss die Bahn dem Land Baden-Württemberg elf Millionen Euro zahlen. Wie das Haus von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) erklärte, ist dies die höchste Strafe, die im Südwesten je gegen ein Verkehrsunternehmen verhängt wurde. Verkehrsexperten von SPD und FDP im Stuttgarter Landtag fordern in der „Schwäbischen Zeitung“, das Geld für Verbesserungen auf den besonders betroffenen Strecken zu nutzen.
STUTTGART - Ein Drohbrief an den Ausschusschef, Sicherheitsbedenken rund um einen Zeugen, massive Polizeipräsenz im Landtag: Wer sich den Morden des rechtsextremen NSU widmet, bewegt sich auch mehr als zehn Jahre nach der Verbrechensserie auf heiklem Terrain. Dazu gehört, dass sich immer wieder erschreckende Einblicke in das Versagen der Behörden bieten. Das hat am Montag der Untersuchungsausschuss des Landtags erlebt.
Es ist bereits der zweite Ausschuss, in dem sich Landtagsabgeordnete mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“(NSU) beschäftigen. Sie beleuchten, welche Verbindungen Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe in die rechte Szene Baden-Württembergs hatten. Das Trio hat nach jetzigen Erkenntnissen zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen getötet.
Am Montag hatte der Ausschuss zwei ehemalige Neonazi-Größen aus Thüringen vorgeladen, Tino Brandt, 43, und Sven R.. Tino Brandt war eng mit dem Terror-Trio befreundet, traf sich regelmäßig mit ihnen, bevor sie 1998 in die Untergrund gingen. Er zählt sich und das Trio zu den führenden Figuren der Szenen in Ostdeutschland. R. wird verdächtigt, die Terroristen mit Waffen versorgt zu haben.
Prominente Zeugen
Die prominenten Zeugen waren nach Ansicht des Ausschussvorsitzenden Wolfgang Drexler (SPD) einigen ein Dorn im Auge. „Offenbar gibt es Menschen, denen es nicht passt, dass wir hier diese Kaliber einladen“, sagte Drexler. Sein Büro hatte am Morgen einen Drohbrief erhalten. Außerdem hatten Sicherheitsbehörden nahe der Wohnung R.s einen „verdächtigen Gegenstand“gefunden. Dem Vernehmen nach war es eine Patrone. Das beunruhigte die Polizei dermaßen, dass sie mit einem ungewöhnlich großen Aufgebot den Stuttgarter Landtag sicherte.
Dort trat am Montag doch nur Brandt auf, R. meldete sich krank. Brandts Rolle rund um den NSU ist bereits bekannt, unter anderem sagte er im Prozess gegen Beate Zschäpe in München aus. Derzeit sitzt er eine Strafe wegen Kindesmissbrauchs ab.
Der heute 43-Jährige spielte lange ein Doppelspiel. Er war nicht nur wichtiger Organisator und Kontaktmann der Szene, er arbeitete außerdem für den Thüringer Verfassungsschutz. An diesen gab er nach eigenen Angaben Informationen über die Kameraden weiter. Dafür kassierte er umgerechnet rund 100 000 Euro von der Behörde. „Hinzu kamen auch noch Auslagen“, so Brandt am Montag. Der Freistaat habe Reisen zu rechten Kundgebungen ebenso gezahlt wie Anwaltskosten. Und nicht nur das: „Natürlich wusste das Landesamt, dass ich auch Geld an das Trio weitergab.“Sprich: Der Verfassungsschutz finanzierte die Aktivitäten der NSU-Terroristen.
Außerdem, so Brandt: „Ich hatte einen Spitzenanwalt.“Den habe er sich dank des Geldes vom Verfassungsschutz leisten können. Ein Grund, warum er trotz über 30 Verfahren nie wegen rechter Umtriebe verurteilt wurde. Das Finanzgebaren des Verfassungsschutzes in Thüringen im Fall Brandt ist ein bekannter, aber immer wieder bezeichnender Fakt, der das Behördenversagen rund um den NSU belegt. Der Fall hatte nicht umsonst eine Debatte um den Einsatz von V-Männern durch Sicherheitsbehörden ausgelöst.
Land soll NSU unterstützt haben
Vertreter aller Parteien äußerten sich schockiert über diesen Teil der Aussagen. Es sei ein Skandal, wenn der Staat die rechte Szene und das NSU-Trio mitfinanziert habe. Der Landtag Thüringens müsse sich damit beschäftigen – der dortige Untersuchungsausschuss zum NSU hatte Brandt nicht als Zeugen gehört.
Wenig Erhellendes trug Brandt zur Frage bei, ob und wenn ja welche Unterstützung das Terror-Trio aus Baden-Württemberg hatte. Er selbst sei zwar mehrfach in Baden-Württemberg gewesen, etwa zu Kundgebungen und Mahnwachen. Doch engere Kontakte in den Südwesten habe es nicht gegeben. Die Ermittler wissen allerdings, dass sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt mehrfach unter anderem in Ludwigsburg aufhielten.