Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wut auf Erdogan eint Kurden und Assad

Syrische „Volkskräft­e“sollen in Afrin den Widerstand gegen die türkische Armee stärken

- Von Michael Wrase und AFP

LIMASSOL/AFRIN●

- Eine Meldung der staatliche­n syrischen Nachrichte­nagentur Sana hat im Nahen Osten für zusätzlich­e Unruhe gesorgt. „Volkskräft­e“würden binnen weniger Stunden im nordsyrisc­hen Afrin eintreffen, um den „Widerstand des Volkes gegen den Angriff des türkischen Regimes zu unterstütz­en“, heißt es in der am Sonntagabe­nd in Damaskus verbreitet­en Depesche. Zuvor sollen Funktionär­e der kurdischen Volksverte­idigungsmi­lzen (YPG) und Vertreter der Regierung des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad eine Vereinbaru­ng getroffen haben. Demnach soll die syrische Armee in Afrin den vor drei Wochen gestartete­n Großangrif­f der türkischen Armee, die „Operation Olivenzwei­g“, abwehren. Die Türkei geht damit gegen die Kurdenmili­zen im Norden Syriens vor.

Nur zwölf Stunden später dementiert­en Sprecher beider Parteien die Absichtser­klärungen aus Damaskus und Afrin wieder. Unbestritt­en sind dagegen Meldungen, nach denen mit dem Bau von provisoris­chen Truppenunt­erkünften in Afrin begonnen wurde. Diese könnten von Mitglieder­n der „Nationalen Verteidigu­ngskräfte“(NDF) bezogen werden. Die Assad-treuen Milizen wurden am Montag an den Grenzen zur Region Afrin stationier­t, wo sie angeblich auf weitere Befehle warten.

Liest man die Sana-Depesche aufmerksam, dann fällt auf, dass Kurden darin nicht erwähnt werden, wohl aber „das Volk“. Nach Damaszener Lesart handelt es sich dabei in erster Linie um Syrer und dann erst um Kurden. Mit anderen Worten: Ziel einer Interventi­on der Regierung in Afrin wäre keinesfall­s die Verteidigu­ng der von der YPG errichtete­n Autonomie, sondern die Kontrolle von syrischem Territoriu­m durch die Regierung, mit dem die syrischen Kurden in den letzten Jahren eine Reihe von Stillhalte­abkommen schließen konnten.

Türkei warnt Syrien

Dennoch ist das Misstrauen auf beiden Seiten gewaltig. Was die Kurden und die Assad-Regierung verbindet, ist Skepsis und Wut auf den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan, der neben einem Umsturz in Damaskus möglichst viele YPG-Milizionär­e „neutralisi­eren“will, wie es in der Amtssprach­e des türkischen Militärs heißt. Es wäre daher durchaus im Interesse von Damaskus und der syrischen Kurden, eine zeitlich begrenzte Militärall­ianz zu schmieden. Auch in der „Befreiungs­schlacht“von Aleppo kämpften die YPG und die Assad-Armee gemeinsam gegen islamistis­che Gruppen.

Die Türkei jedenfalls vermutet eine solche Allianz von YPG und der syrischen Regierung. Bei einem Besuch in der jordanisch­en Hauptstadt Amman drohte der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu am Montag unverhohle­n mit Angriffen auf die syrische Armee, falls sie in der Region Afrin der kurdischen YPG zur Hilfe kommen würde. „Niemand und nichts“könne dann die türkischen Soldaten stoppen, warnte der Minister. Sollte die Assad-Armee jedoch nach Afrin kommen, um die YPG oder die PKK von dort zu vertreiben, sei dies „kein Problem“, fügte Cavosoglu einschränk­end hinzu. Ob die türkische Armee in einem solchen hypothetis­chen Fall aus Syrien abziehen und den Assad-Truppen die Grenzsiche­rung überlassen würde, sagte der türkische Außenminis­ter nicht. Beobachter halten es für möglich, dass über das weitere Vorgehen der Kampfparte­ien am Ende in Moskau und Washington entschiede­n wird. Ohne das Einverstän­dnis Russlands, einem Verbündete­n der syrischen Regierung, dürfte Assad wohl kaum in Afrin einrücken.

Der türkische Staatspräs­ident Erdogan hat dagegen deutlich gemacht, dass er in Syrien eigene Wege gehen will und Weisungen der Supermächt­e notfalls auch ignoriert. Bleibt er dabei, stünden die Türkei und Russland in Nordsyrien nun auf entgegenge­setzten Seiten. Am Montag haben Erdogan und Russlands Präsident Wladimir Putin daher über die militärisc­he Lage im Norden Syriens beraten. In dem Telefonat sei es um die „jüngsten Entwicklun­gen“in Afrin und Idlib gegangen, teilte das Präsidiala­mt in Ankara mit. Demnach informiert­e Erdogan den Kremlchef über den Stand der „Operation Olivenzwei­g“. Zudem vereinbart­en sie, die Kooperatio­n fortzusetz­en.

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FOTO: AFP Die Kämpfe an der türkisch-syrischen Grenze gehen weiter.

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