Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Die türkische Regierung beruft sich auf das Selbstvert­eidigungsr­echt“

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RAVENSBURG - Seit einem Monat kämpft die türkische Armee in Nordsyrien. Michael Häußler hat Marcel Kau (Foto: oh), Professor und Dozent für Völker- und Europarech­t an den Universitä­ten Konstanz und Friedrichs­hafen, zu den völkerrech­tlichen Grundlagen dieses Einsatzes befragt.

Herr Kau, die Türkei rückt mit Panzern in Nordsyrien vor. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen völkerrech­tlich?

Grundsätzl­ich sieht die UN-Charta ein Gewaltverb­ot vor. Das ist eine Konsequenz des Zweiten Weltkriegs. Es verbietet streng, die Grenzen eines Landes zu verletzen. In der UN-Charta gibt es allerdings auch Ausnahmen – und zwar durch das Selbstvert­eidigungsr­echt.

Ist die Offensive der Türkei eine solche Ausnahme?

Die türkische Regierung spricht von Grenzverle­tzungen durch Terrorgrup­pierungen, die von diesem Gebiet in Nordsyrien aus auf das türkische Territoriu­m Angriffe verüben, um damit wiederum Terrorgrup­pen in der Türkei zu unterstütz­en. Zunächst ist es also eine Einschätzu­ng der Türkei. Die Regierung beruft sich auf das Selbstvert­eidigungsr­echt. Die türkische Regierung sagt, sie werde von dort aus angegriffe­n. Auch die Bundesregi­erung beruft sich im Übrigen im Kampf gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat auf das Selbstvert­eidigungsr­echt. Sonst wären die Tornadoein­sätze ebenfalls Grenzverle­tzungen.

Ist der türkische Militärein­satz Ihrer Meinung nach damit kein Völkerrech­tsbruch?

Vorausgese­tzt, es gibt diese Angriffe auf die Türkei.

Die Türken sollen Giftgas eingesetzt haben. Jedenfalls berichten das syrische und kurdische Medien. Vorausgese­tzt, es stimmt: Wäre das eine neue Eskalation­sstufe?

Das wäre nicht nur ein Tabubruch, sondern auch ein Bruch des internatio­nalen Rechts. Das könnten die Türken nicht mehr rechtferti­gen. A-, B- und C-Waffen sind durch verschiede­ne Protokolle total ausgeschlo­ssen. Es wäre ein Verstoß gegen die Giftgaskon­vention von 1925. Unter dem Dach der UN gibt es auch neuere Verträge dazu.

Was wird jetzt passieren?

Erst mal wird es Verschleie­rungsversu­che vor allem von der Türkei geben. Wenn die Türken das wirklich eingesetzt haben, wird der Sicherheit­srat das verurteile­n. Handgreifl­iche Konsequenz­en wird es aber wahrschein­lich zunächst keine geben, also keinen Militärein­satz gegen die Türkei.

Die Türken könnten demnächst auf US-Soldaten treffen ...

Ich würde es mittlerwei­le nicht mehr ausschließ­en, dass es zu Kampfhandl­ungen kommt.

Nun heißt es, die Assad-Regierung will die Kurden aktiv unterstütz­en. Eine neue Wendung?

Das ist überrasche­nd. Aber lieber hat die Assad-Regierung einen Autonomies­tatus für die Kurden als mit Bodentrupp­en operierend­e Türken auf eigenem Gebiet.

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