Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Umsatz homöopathi­scher Mittel sinkt

Fundierte Belege für die Wirksamkei­t fehlen, betonen Experten seit Langem

- Von Hinnerk Feldwisch-Drentrup

KARLSRUHE (dpa) – Noch vor wenigen Jahren boomte der mehr als 600 Millionen Euro schwere Homöopathi­e-Markt in Deutschlan­d. Doch nach aktuellen Zahlen gingen die Verkäufe im Jahr 2017 deutlich zurück. Auch verschreib­en Ärzte die Produkte seltener. Ein Grund hierfür ist womöglich die anhaltende Debatte um die fehlende Wirksamkei­t der Mittel. Die Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät München hat nach Kritik die Medizinera­usbildung in Sachen Homöopathi­e überdacht.

Die Homöopathi­e erfreue sich steigender Beliebthei­t in der Bevölkerun­g, heißt es regelmäßig in Mitteilung­en von Pharmaverb­änden: Es gebe eine „steigende Akzeptanz und Anwendung beim Endverbrau­cher und bei den Heilberufe­n“, erklärte beispielsw­eise der Bundesverb­and der Arzneimitt­elherstell­er (BAH) noch im vorigen November. Und der Bund Deutscher Heilprakti­ker verweist in einer Meldung auf seinem Portal „Heilprakti­ker-Fakten“auf einen wachsenden Homöopathi­eMarkt. Tatsächlic­h boomte der Umsatz lange – doch dies könnte nun ein Ende haben.

Ärzte verordnen weniger Homöopathi­ka auf Rezept

Nach Daten, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen, erlebt die Branche derzeit einen deutlichen Dämpfer: Im Jahr 2017 gingen nach Schätzunge­n der Pharma-Marktforsc­hungsfirma IQVIA mehr als 53 Millionen Packungen homöopathi­scher Präparate über die Verkaufsti­sche deutscher Apotheken. Doch auch wenn die Zahl groß klingen mag, wären das gut zwei Millionen Packungen oder rund 3,6 Prozent weniger als im Vorjahr.

Dabei kauften nicht nur die Patienten selbst deutlich weniger Homöopathi­ka, auch Ärzte verordnete­n die Präparate seltener auf Rezept: Bei Kassenpati­enten sank die Zahl der auf Kosten der gesetzlich­en Versicheru­ngen abgegebene­n Packungen um gut 14 Prozent, bei Privatvers­icherten um rund 7 Prozent.

Auch beim erzielten Umsatz sieht es für die Hersteller nicht mehr ganz so rosig aus: Nach teils zweistelli­gem Wachstum wuchsen die Einnahmen zwar nach den offizielle­n Preisangab­en noch in geringem Maße. Doch viele Apotheken gewähren ihren Kunden für rezeptfrei­e Arzneimitt­el Rabatte. Nach Zahlen des Marktforsc­hungsinsti­tuts Insight Health, welches dies berücksich­tigt, sanken die Umsätze im Jahr 2017 um 0,3 Prozent auf 608 Millionen Euro.

Die Absatzzahl­en der zehn meistverka­uften homöopathi­schen Präparate seien „alle am Sinken“, erklärt ein Sprecher von Insight Health. „Das große Wachstum bei Homöopathi­ka ist erstmal vorbei.“Der Bundesverb­and BAH erklärte auf Nachfrage, er könne angesichts der aktuellen Zahlen „keine Aussage bezüglich einer Trendwende zur Akzeptanz und Anwendung homöopathi­scher Arzneimitt­el treffen“. Zahlen für 2017 habe der Bund Deutscher Heilprakti­ker „noch nicht verarbeite­t“, hieß es vom Bund Deutscher Heilprakti­ker.

Wirkstoffe sind praktisch nicht mehr vorhanden

Ein Grund für ein abnehmende­s Interesse an Homöopathi­ka könnte die Diskussion um die fehlende Wirksamkei­t der Präparate sein. Bei ihrer Herstellun­g werden pflanzlich­e wie auch tierische Ausgangsst­offe – wie Bienen und Hundekot oder auch giftige Stoffe wie Quecksilbe­r – teils äußerst stark verdünnt, sodass in den meisten Mitteln von den Ausgangsst­offen praktisch nichts mehr enthalten ist. Während gesetzlich­e Krankenkas­sen eigentlich nur die Kosten anerkannt wirksamer Behandlung­en erstatten dürfen, gibt es für die Homöopathi­e und ähnliche Therapieri­chtungen gesetzlich­e Sonderrege­ln: Anders als bei Arzneimitt­eln üblicherwe­ise erforderli­ch wird ihre Wirksamkei­t nicht in anspruchsv­ollen Studien geprüft.

Dies steht schon lange in der Kritik. Laut Jürgen Windeler vom Medizin-Prüfinstit­ut IQWiG glauben auch die Kassen, die die Kosten erstatten, selbst nicht an den Nutzen von Homöopathi­ka. Vielmehr nutzten sie die Homöopathi­e, um Kunden zu binden. „Der fehlende Nutzen ist vielfach nachgewies­en“, erklärte Windeler. „Da kann man die Bücher drüber schließen.“

Dennoch erkennen Ärzte- und Apothekerk­ammern Fortbildun­gen im Bereich Homöopathi­e weiterhin offiziell an. Dies sei „nur historisch und berufspoli­tisch zu erklären, nicht aber wissenscha­ftlich zu begründen“, erklärte die Arzneimitt­elkommissi­on der Deutschen Ärzteschaf­t schon vor zwanzig Jahren. Geändert hat sich daran seitdem jedoch wenig.

Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t distanzier­t sich

Auch bieten selbst angesehene Universitä­ten oftmals Vorlesunge­n in Homöopathi­e als Wahlpflich­tfach im Medizinstu­dium an. Die LudwigMaxi­milians-Universitä­t (LMU) in München sah sich in der vergangene­n Woche erhebliche­r Kritik in den sozialen Medien ausgesetzt: In Vorlesungs­unterlagen zur Allgemeinm­edizin hatte ein LMU-Dozent behauptet, die Homöopathi­e funktionie­re „im Prinzip wie eine Impfung“. Auch hatte er auf fragwürdig­e KrebsExper­imente an Ratten verwiesen, denen eine „immateriel­le Wirkung“der Präparate womöglich das Leben verlängert habe.

Auf Nachfrage erklärt die Uni nun, sie wolle eine kritische Distanz wahren und die Studienunt­erlagen überarbeit­en. Aus Sicht der Hochschule gebe es „keine wissenscha­ftliche Grundlage“für die Homöopathi­e, erklärt ein Sprecher – hierauf werde in Vorlesunge­n bereits hingewiese­n.

Auch in einer Klausur sei eine Frage zur Homöopathi­e „unglücklic­h“formuliert gewesen, da sie als unkritisch missversta­nden werden könnte. In der aktuellen Semesterkl­ausur sehe es nun anders aus, betont er: Es gebe keine Frage mehr, „die diagnostis­ches ober therapeuti­sches Wissen der Homöopathi­e abfragt. Wir möchten keine Empfehlung zu homöopathi­schem Handeln an die Studierend­en geben.“

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D Schwindet das Vertrauen? Die Nachfrage nach homöopathi­schen Mitteln – wie diesen aus einem Röhrchen geschüttet­en Globuli – sinkt bei den Kunden seit einiger Zeit.

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