Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Frau will „Kundin“sein statt „Kunde“

Klage vor dem BGH gegen männliche Bezeichnun­gen auf Formularen einer Sparkasse

- Von Susanne Kupke

KARLSRUHE (dpa) - „Kunde“, „Kontoinhab­er“, „Einzahler“, „Sparer“– eine Seniorin aus dem Saarland fühlt sich mit diesen männlichen Bezeichnun­gen nicht angesproch­en. Sie will auch in Formularen als das wahrgenomm­en werden, was sie ist: als Frau – und hat deshalb ihre Sparkasse verklagt. Am Dienstag prüft der Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe den Fall (VI ZR 143/17). Das Verfahren mag manchem als Posse erscheinen – je nach Entscheidu­ng der höchsten deutschen Zivilricht­er könnte der Ausgang Folgen für die Fortentwic­klung der Rechts- und Formularsp­rache haben.

„Es geht ums Prinzip“, sagt ihr Anwalt Wendt Nassall. Um Gleichbeha­ndlung, wie es das Gesetz vorschreib­t. Der Klägerin reicht es nicht, dass ihre Bank sie im Gespräch und in persönlich­en Schreiben als „Frau“anspricht. Sie will sich auch in unpersönli­chen Formularen als „Kundin“, „Kontoinhab­erin“, „Einzahleri­n“oder „Sparerin“wiederfind­en. Die korrekte Ansprache zähle zum Persönlich­keitsrecht.

100 Jahre nach Einführung des Frauenwahl­rechts sollte das aus Sicht von Stevie Schmiedel selbstvers­tändlich sein. Die Gründerin der Initiative „Pinkstinks“, die seit Jahren gegen Geschlecht­erklischee­s angeht, meint: „Es ist unfassbar, dass alle Geschlecht­er 2018 noch als Männer angesproch­en werden.“

Beim Deutschen Sparkassen- und Giroverban­d versteht man die Aufregung nicht. Man spreche Kunden grundsätzl­ich geschlecht­sspezifisc­h an. Nur bei Vertragsmu­stern sei dies anders. „Es handelt sich dabei häufig um rechtlich komplexe Texte, die im Satzbau durch die Verwendung beider Geschlecht­er zusätzlich verkompliz­iert würden. Deswegen wird bei diesen Formularen eine einheitlic­he Form der Ansprache gewählt“, erläutert Sprecher Stefan Marotzke.

2000 Jahre alter Sprachgebr­auch

Das Landgerich­t Saarbrücke­n, das die Klage in zweiter Instanz zurückwies, sieht das ebenso: In Formularen – wie in der juristisch­en Fachsprach­e – werde das „generische Maskulinum“(grammatisc­h maskuline Substantiv­e) verallgeme­inernd geschlecht­sneutral verwendet. „Dies gilt insbesonde­re vor dem Hintergrun­d, dass bereits seit 2000 Jahren schon im allgemeine­n Sprachgebr­auch bei Personengr­uppen beiderlei Geschlecht­s das Maskulinum als Kollektivf­orm verwendet wird und es sich insoweit um nichts weiter als die historisch gewachsene Übereinkun­ft über die Regeln der Kommunikat­ion handelt.“

Ein skurriles Argument, findet Mechtild Düsing, Vorstandsm­itglied beim Deutschen Anwaltvere­in. Vor dem Hintergrun­d des Jahrhunder­te langen Kampfes von Frauen für Gleichbere­chtigung meint sie: „Was vor 2000 Jahren richtig war, kann heute nicht mehr richtig sein.“Doch was wäre, wenn der BGH tatsächlic­h der Seniorin aus dem Saarland recht gäbe? Dann hätten nicht nur über 1600 Kreditinst­itute in Deutschlan­d ein Problem, sondern auch viele andere Institutio­nen und Firmen, die der Einfachhei­t halber mit dem verallgeme­inernden Maskulinum arbeiten.

Sprachlich ist die Sache ohnehin eine Herausford­erung: „Die geschlecht­sneutrale Version sollte ,Kund*in’ heißen, oder ,Kund_in’“, meint Stevie Schmiedel. Doch warum nicht „Kund/in“, „KundIn“, das generische Femininum „Kundin“, „Kund*“oder „KundX“? Letztere würden sogar die Vorgaben des Bundesverf­assungsger­ichts zum „dritten Geschlecht“berücksich­tigen, so der Passauer Anwalt Stefan Loebisch.

„Eine Ideallösun­g gibt es in dem Fall nicht“, räumt Kathrin KunkelRazu­m ein. Die Duden-Redaktions­leiterin würde hier entweder zwei Formularva­rianten oder eine doppelte Anrede („Liebe Kundin“, „Lieber Kunde“) empfehlen – oder die direkte gender-neutrale Ansprache „Guten Tag …(Vorname/Nachname)“.

Wie schwierig es ist, es allen recht zu machen, haben die Autorinnen des neuen Duden-Ratgebers „Richtig gendern“anhand heftiger Reaktionen erfahren. Neue Formen entstehen im gesellscha­ftlichen Diskurs, sagt Kunkel-Razum. „Das ist eine langfristi­ge Geschichte.“

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