Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Links danebengegriffen
Elf Tage sind wir bisher fettnapffrei durch diese Olympischen Winterspiele gekommen. Haben uns weder am Frühstückstisch die Nase geputzt noch uns gereichte Visitenkarten beiläufig in die Gesäßtasche entsorgt. Haben uns bis zum Verbiegen verbeugt beim Begrüßen, beim Zuprosten stets direkten Blickkontakt gemieden. Nie kam uns die Frage über die Lippen, weshalb denn in Treppenhäusern wie Aufzügen auf den dritten sogleich der fünfte Stock folgt. In Gesellschaft uns selbst einzuschenken? Wir wissen es: ein No-Go.
Wir hatten uns vorbereitet auf Pyeongchang 2018. Gewissenhaft, intensiv, Benimmregeln studiert noch und nöcher. Man ist ja Gast, man weiß sich ja zu verhalten, man ist ja keiner aus der Ballermann-Handtuch-aufLiegestuhl-Ecke. Es hat sich eingeprägt, was wir uns eingebläut haben aus einschlägigen Knigges 2.0. Die Socken für zweieinhalb Wochen sind auf Löcher kontrolliert (in vielen Restaurants zieht man die Schuhe aus), Kindern würde man auch zu Hause nicht auf den Kopf tätscheln. Wussten wir, beachteten wir. Alles war gut.
Bis zu diesem Griff zur Plastikgabel. „Express Line“heißt die geniale Später-Alternative zum Morgenmahl zwischen fünf und zehn. Alles, was das Langschläferherz begehrt, findet der hungrige Nachtarbeiter dort – auch Plastikgabeln. Die also aufs Tablett gepackt, da streift uns der Blick des Mannes hinter der Theke. Eines Südkoreaners. Er ist ... erschrocken. Verstört. Panisch.
Und wir? Linkshänder! Erst exzessive Internetrecherche brachte uns darauf. Linkshänder! Nie umgetrimmt worden auf rechts als Kind, einer von – je nach Quelle – fünf bis 15 Prozent der Menschen, die links schreiben, zupacken, Plastikgabeln greifen. Was Besonderes also, in einer Reihe mit Goethe, Newton, Einstein. Was ... uuups: Unhöfliches. Wir lasen: „Die Benutzung der linken Hand im Kontakt mit anderen gilt in Korea als unfein. Man sollte beim Geben oder Nehmen immer die rechte Hand nutzen. Die linke Hand kann allenfalls die rechte Hand unterstützen und so dem Handeln Nachdruck geben.“
Morgen können sie ohne uns expresslinken. Wir frühstücken auf dem Zimmer. Restkekse aus Deutschland. Nicht mit rechts. Aber mit Nachdruck.
*Annyeong (gesprochen ahn-joh) ist im Koreanischen die zwangloseste Form – meist unter Freunden –, um „Hi“oder „Hey“zu sagen