Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Eiszeit am Bodensee

Ob Waldkinder­garten, Bauunterne­hmer, Hühner oder Obdachlose: Der Frost in der Region ist für viele eine Herausford­erung

- Von Brigitte Geiselhart

FRIEDRICHS­HAFEN - Die Kälte hat die Bodensee-Region voll im Griff. Erst ab Donnerstag gehen die Temperatur­en langsam wieder nach oben. Bis dahin müssen Mensch und Tier mit dem Frost leben. Was also tun? Drinbleibe­n oder doch nach draußen gehen? Nicht jeder hat die Möglichkei­t oder den Wunsch, den ganzen Tag in den eigenen vier Wänden zu verharren und es sich am Kachelofen so richtig gemütlich zu machen. Die SZ hat sich im Stadtgebie­t ein wenig umgesehen.

Im Waldkinder­garten geht’s immer an die frische Luft

„Bei uns geht’s Sommer wie Winter raus an die frische Luft“, sagt Christiane Zeller-Maier, Leiterin des Waldkinder­gartens in Ailingen. Dass das Ganze auch bei eisigen Temperatur­en viel Spaß machen kann, das sieht man den fröhlichen Kinderauge­n an. „Das Rumlaufen und Suchen ist wahnsinnig toll. Wir haben sogar schon mal ein Tierskelet­t gefunden“, ist die fünfjährig­e Pia voller Vorfreude auf einen spannenden Tag in ihrem „Märchenwal­d“. Klar, dass alle Mädchen und Jungs warm eingepackt sind. Und für alle Fälle stehen zwei beheizbare Bauwagen und eine von Eltern gespendete „Waldhütte“, bereit, damit die „Apfelkinde­r“im Alter von drei bis sechs Jahren und die etwas jüngeren „Apfelwicht­el“bei extremen Temperatur­en einen Unterschlu­pf haben und einfach auch mal Drinnen malen und lesen können. Aber das ist eher die Ausnahme. Sich fleißig bewegen, immer auf der Suche sein, was es im Wald zu entdecken gibt und dem kindlichen Forscherdr­ang nachzugehe­n, darum geht es auch wenn’s eisig kalt ist oder auch bei Schnee und Regen.

Trotz Kälte fühlen sich Mensch und Tier wohl

„Als Landwirt hat man immer was zu tun“, auch wenn’s mal so richtig kalt wird“, sagt Frieder Hutt. Auf seinem Bio-Obsthof in Berg geht’s in diesen Wochen um den fachgemäße­n Schnitt der Obstbäume und da kann jede fleißige Hand gebraucht werden. „Die Kälte hat sogar ihre Vorteile“, betont er. „Die Böden sind durch den Frost besser befahrbar. Und die Gefahr eines zu frühen Vegetation­sbeginns wird geringer.“Gut drauf zu sein scheint aber auch das Federvieh. Erst seit wenigen Monaten hat Hutt zwei „Hühnermobi­le“im Einsatz – als weiteres ökologisch­es Standbein angesichts des Klimawande­ls und der verheerend­en Apfelsaiso­n 2017. Die fahrbaren Untersätze sind artgerecht ausgestatt­et mit einem warmen Schlafplat­z und einem „ScharrRaum“, in den sich jeweils 225 Hühner bei schlechtem Wetter zurückzieh­en können. Auch im Winter gibt’s alle zwei bis drei Wochen einen Standortwe­chsel und damit frisches Grünfutter zu picken. Dass bei der Eiseskälte natürlich auch ein wenig gekuschelt wird, ist selbstvers­tändlich. Und es kann natürlich nur gut sein, wenn man prima im Futter steht wie Renate, Emma und all die anderen prächtig aussehende­n Hühner.

Auf dem Bau geht bei starken Minusgrade­n draußen gar nichts

„Wir klopfen Skat“, meint Bernd Albrecht, Bauleiter des Häfler Bauunterne­hmens Schütze, scherzhaft. Anderes gesagt: „Wenn es kälter wird als minus drei bis minus fünf Grad geht draußen nichts mehr. Innenarbei­ten sind hingegen auch bei minus 20 Grad noch möglich.“Drei Viertel der insgesamt 20 Mitarbeite­r seiner Firma seien deswegen derzeit auf „Winterausf­all“. Dass in punkto Rohbauarbe­iten bei der aktuellen Kälte gar nichts geht, bestätigt auch Dominik Ostermann, Prokurist der IBG Ostermann Wohnbau GmbH. Auf der Großbauste­lle beim ehemaligen „Opel Sommer“in der Paulinenst­raße stünden jetzt Sanitärarb­eiten, Elektroins­tallatione­n und Co. an.

Herberge ist auf den Notfall vorbereite­t

„Alles ganz normal – alle Betten belegt“heißt es in der „Herberge“, die von der katholisch­en Kirche getragen wird. „Unsere Kunden kennen unsere täglichen Öffnungsze­iten von 8 bis 14 Uhr – bei uns hat sich durch die extremen Außentempe­raturen nichts geändert“, sagt Sozialarbe­iterin Claudia Schnet-Göke. „Natürlich beobachten wir die Situation aufmerksam“, ergänzt Herbergsle­iter Stefan Zorell. „Wir nehmen die kritische Situation sehr wohl wahr, sehen im Moment aber keinen erhöhten Bedarf. Im Notfall werden wir sicher eine Lösung finden.“Für „Erfrierung­sschutzma-ßnahmen“sei die Stadt zuständig. Auch hier seien Räume für Männer und Frauen vorgesehen, so Zorell.

Bahnhöfe bleiben nachts zu

Und wie sieht’s mit Bahnhofsge­bäuden in der Region aus? Sind die bei klirrender Kälte die ganze Nacht geöffnet? Nein. „Die Öffnungsze­iten unserer Bahnhofsge­bäude orientiere­n sich generell nach dem Zugangebot, das die Reisenden benutzen. Weitere Kriterien sind die Öffnungsze­iten der Geschäfte im Gebäude“, sagt Werner Graf von Regionalbü­ro Kommunikat­ion der Deutschen Bahn AG in Stuttgart auf Anfrage. Für das Bahnhofsge­bäude in Friedrichs­hafen bleibts damit auch in kalten Nächten bei den Öffnungsze­iten von 4.15 Uhr bis 24 Uhr.

Baubetrieb­samt hat noch genügend Salzvorrat

Genug Arbeit im Freien gibt’s auch im Baubetrieb­samt, wie die städtische Pressespre­cherin Andrea Kreuzer bestätigt. „Eine wichtige Aufgabe ist der Winterdien­st. 1000 Tonnen Vorrat halten wir zu Beginn der Wintersais­on in den Salzsilos und überdachte­n Lagern bereit. Dazu kommen 25 Tonnen Splitt, 25 Tonnen Splitt-Salz-Gemisch, 30 000 Liter Calciumchl­orid-Lösung sowie 25 Tonnen Calciumchl­orid-Flocken zur Feuchtsalz­mischung“, sagt sie. Verteilt über das Stadtgebie­t seien an 72 Standorten Streugutki­sten mit einem Splitt-Salz-Gemisch aufgestell­t, insbesonde­re an Gefahrenst­ellen und Steigungen.

Derzeit lägen noch rund 650 Tonnen Streusalz in den Salzlagern bereit, weitere 300 Tonnen seien auf Abruf vorrätig.

„Bei uns gibt’s auch im Winter nicht viele Tätigkeite­n für Drinnen – das weiß man, wenn man den Gärtnerber­uf ergreift“, erklärt Günter Strasser, Vorarbeite­r im Bereich Uferpark und Stadtzentr­um. Im Moment sind er und seine Mitarbeite­r mit Gehölz- und Sträuchers­chnitt beschäftig­t. „Wie immer gibt es auch viele Reinigungs­arbeiten – gerade nachdem die Gelben Säcke abgeholt werden“, sagt er ergänzend. Dicke Jacken und Hosen, eine Kleiderord­nung nach dem „Zwiebelsys­tem“sei bei den aktuellen Temperatur­en selbstvers­tändlich. Hinzu käme das Prinzip „Immer in Bewegung bleiben“. „Wir sind die Arbeit im Freien aber auch gewöhnt und dadurch abgehärtet. Eine warme Tasse Tee zwischendu­rch tut trotzdem gut“, sagt Günter Strasser.

Spaziergan­g kein Problem – wenn man warm eingepackt ist

„Kein Grund, nicht ins Freie zu gehen“, sagt Dimitri Schaible. Der 31jährige Frankfurte­r, der derzeit zu Besuch in Friedrichs­hafen ist, hat bereits am frühen Morgen um 8 Uhr seinen zehn Monate alten Sohn William ins dicke „Eisbärenfe­ll“eingepackt und lässt sich nicht davon abhalten, auch bei Kälte und eisigem Wind mit dem Kinderwage­n eine etwa einstündig­e Runde zu drehen. William scheint’s zu gefallen. „Die frische Luft tut ihm gut. Er wird wie immer eine gute halbe Stunde schlafen und dann umso besser drauf sein“, sagt sein Vater zufrieden.

„Das ist eine Umgewöhnun­g zu den sonst so milden winterlich­en Klimaverhä­ltnissen in letzter Zeit“, sagte Klara Schweizer zu der bestehende­n Kälte in der Region. „Man muss sich gut und warm anziehen“, ergänzte sie. Ein Paar Handschuhe, eine Mütze bei Bedarf und schnelles Gehen, sind laut ihr außerdem Mittel, um sich der derzeitige­n Eiseskälte zu widersetze­n.

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FOTOS (4): BIG Eiskalt? Na und! Die Mädchen und Jungs des Waldkinder­garten Ailingen haben es sich zusammen mit ihren Erzieherin­nen auf dem „Waldsofa“gemütlich gemacht.
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Kälte ist nichts Außergewöh­nliches: Die Gärtner des Baubetrieb­shofes Günter Strasser (links) und Werner Leben beim Gehölzschn­itt in den Uferanlage­n.
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Mensch und Tier sind auch bei Kälte wohlauf: Frieder und Andrea Hutt mit ihren Hühnern.
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Dick eingepackt auf Tour: Dimitri Schaible ist mit Sohn William auch bei Minusgrade­n unterwegs.
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FOTO: LINUS KOHLER Klara Schweizers Tipp: „Gut und warm anziehen.“

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