Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Unkaputtba­re

Skirennläu­fer Fabio Renz vom Bodensee kämpft sich nach schwerer Verletzung­sserie zurück

- Von Michael Häußler

RAVENSBURG - Drei Jahre sind vergangen, seit Fabio Renz zuletzt in Kvitfjell an den Start gegangen ist. Der 26-jährige Skirennfah­rer fliegt in den kommenden Tagen wieder nach Norwegen zurück. Doch ein normaler Wettkampf wird das Rennen im Rahmen des Europacups am 5. und 6. März für den Bermatinge­r (Bodenseekr­eis) nicht. Denn der Ort markiert einen tragischen Punkt im Leben des Winterspor­tlers.

Kvitfjell im März 2015. Fabio Renz liegt in den Fangnetzen der WeltcupAbf­ahrtsstrec­ke. In einer Kurve verliert er die Kontrolle, überschläg­t sich mehrfach und stürzt schwer. Sein Teamarzt reagiert schnell, gibt ihm ein Schmerzmit­tel: „Ein ziemlicher Hammer. 130 Mal stärker als Morphium“, erinnert sich Renz. Er ist schwer verletzt. Das Bein gebrochen, die Hand ebenfalls. Der Anfang einer dreijährig­en Geschichte voller Hoffnungen und bitterer Rückschläg­en. Der Anfang einer beschwerli­chen Odyssee quer durch Norwegen.

„Die Rettungske­tte hat nicht funktionie­rt“, sagt Renz. Zuerst sollte er keinen Rettungshu­bschrauber bekommen, nach längerer Diskussion kommt er. „Sie haben mich ins falsche Krankenhau­s geflogen. Eine meiner Arterien im Bein hatte keinen Puls“, sagt er. Da die Ärzte vermuten, sie sei gerissen, operieren sie nicht. „Es war kein Gefäßchiru­rg da. Sie hatten Angst, dass ich verblute.“Der nächste Stopp sollte ein Krankenhau­s in Oslo werden. Wieder kein Heli da, also mit dem Krankenwag­en weiter.

„Da haben wir wieder mit den Sanitätern gestritten“, erinnert sich Renz. Schließlic­h lenken die Norweger ein. Der Krankenwag­en hält auf einem Rastplatz, dort steigt der verletzte damals 22-Jährige um in einen Hubschraub­er – und wird ins Krankenhau­s nach Oslo geflogen. „Um ein Uhr nachts kam dann die Ärztin und sagte, sie seien zu müde, um noch zu operieren.“Es klingt wie ein schlechter Witz, eingebette­t in einen Alptraum.

Angst ums Bein

Weil zum Beinbruch noch ein Wadenmuske­lriss hinzukommt, droht sich das Bein selbst zu erdrücken. Die Gefahr: Das Bein stirbt ab, muss abgenommen werden. „Das ist schon hoch emotional, wenn man einschläft und nicht weiß, ob nach dem Aufwachen das Bein noch dranhängt“, sagt Renz heute und lacht kurz etwas bitter auf.

Irgendwann habe der Teamarzt den norwegisch­en Kollegen, die immer noch nicht operieren wollten, gesagt, sie sollten „ihm den Nagel geben, er schlägt ihn selbst rein“. Die Norweger operieren. Doch die Pechsträhn­e ist noch nicht vorbei.

Zunächst aber Reha. Zunächst Selbstzwei­fel, ob er noch mal Ski fahren will. „Man fragt sich schon, ob man noch mal eine Abfahrt machen kann, ohne danach die Unterhose wegwerfen zu müssen“, meint er heute feixend. Doch ins Sommertrai­ning steigt er ein, die nächste Saison rückt näher. „Ich wurde langsam nervös, weil es nicht gut lief und mir der Fuß immer noch wahnsinnig wehtat“, erinnert sich der 26-Jährige. Dann folgt die Diagnose: Die Ärzte in Oslo hatten einen Nagel falsch eingesetzt. „Der musste dann noch mal raus und neu eingesetzt werden. Damit war die Saison auch gelaufen.“Hätte ihn doch besser der Teamarzt persönlich reingehämm­ert damals.

Doch das Saisonaus nimmt viel Druck von Renz, er beginnt ein BWL-Studium in München. Mittlerwei­le ist er im fünften Semester. Seine Erkenntnis damals: „Wenn ich noch mal Ski fahren will, kann ich es nicht so machen wie bislang.“Es braucht einen Plan B. „Ich dachte immer, ich verdiene so viel Geld mit meinem Sport und marschiere überall durch die Weltcups durch – klingt zwar ziemlich naiv, ich habe aber nie daran gezweifelt.“Doch der nächste sportliche Tiefschlag lässt nicht lange auf sich warten.

Der Nagel war raus aus dem Bein, die Vorbereitu­ngen für die Saison 2016/17 liefen gut. „Zwei Tage vor der Anreise zum großen Lehrgang reißen mir die Aduktorens­ehnen in der Leiste – beim Tennisspie­len“, erzählt Renz. Saison vorbei, die Diagnose kennt er schon. Der nächste Rückschrit­t, weitere zwei Schritte zurück. Aufgeben ist keine Option, er kämpft sich wieder zurück. Er ist bereit. Doch dann schlägt es wieder zu: das ewige Pech.

Es hätte das große Comeback nach drei Jahren und schweren Verletzung­en werden sollen. Die Bühne: Die Kandahar-Abfahrt in GarmischPa­rtenkirche­n Ende Januar 2018. Kurz vor Olympia, Ski-Weltcup. Der Skirennfah­rer Renz ist zurück, er startet im Europacup, nun darf er in der nationalen Gruppe auch am Weltcup teilnehmen, fährt ein gutes Training. „Vielleicht bin ich in der Abfahrt schon besser als ich es jemals war“, sagt er. Die Erwartunge­n und die Vorfreude sind groß.

Kurz vor Beginn des Wettkampfs wärmt sich Renz noch mal auf, benutzt dazu ein Gummiband. Das Band schnalzt und trifft Renz am Auge. Er sieht nichts mehr, das Rennen ist für ihn gelaufen. „Ich glaube, ich war selten so enttäuscht, wie an diesem Tag.“Die ganze Schinderei im Kraftraum der vergangene­n drei Jahre, die harte Reha-Zeit. Doch seine mentale Stärke kommt ihm zugute. „Ich komme ganz gut damit zurecht. Dann gibt es eben woanders den ersten Weltcup.“Und fügt an: „Eigentlich kann man nur darüber lachen, weil es ja so dämlich ist.“Sagt das und muss wirklich lachen.

Einen großen Anteil an dieser Einstellun­g hat der Mentalcoac­h, der ihn seit Langem betreut. „Einfach schon deswegen, damit solche Dinge sich erst gar nicht festsetzen können.“Und Anfang März geht es für Fabio Renz zurück an den Ort des Unglücks. Kvitfjell, drei Jahre später. „Bislang bin ich bei dem Gedanken an die Piste sehr entspannt“, meint der 26-Jährige vor dem Abflug. Natürlich könne es sein, dass Angesicht in Angesicht mit der Kurve das Vergangene hochkommt. Aber die Übungen des Coaches im Vorfeld sollen helfen: „Ich bin älter geworden, es ist nicht mehr vergleichb­ar. Es ist eine andere Zeit, ein anderer Schnee“, erklärt er die Inhalte seiner Mentalstär­kung.

Sollten die Erinnerung­en den Kopf bei der Abfahrt dominieren, dann gebe es einen Spielplan. „Dann versuche ich, die Kurven sauber zu fahren und gebe eben danach wieder Gas.“Doch auch die Frage, was denn sei, wenn doch wieder was passiere, nimmt er gelassen. „Dann ist es wahrschein­lich Karma“, sagt er. Und lacht.

„Das ist hoch emotional, wenn man einschläft, und nicht weiß, ob nach dem Aufwachen das Bein noch dranhängt.“Skirennfah­rer Fabio Renz erlebt nach seinem Sturz 2015 eine Odyssee quer durch Norwegen. Der damals 22-Jährige war schwer verletzt.

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FOTO: PAUL SCHMIDT Es gehört schon einiges dazu, nach einer schweren Verletzung auf einer Piste wieder ordentlich Stoff zu geben. Fabio Renz verfolgt zwar das Pech, er überlässt ihm aber nicht die Führung.
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FOTO: OH Der 26-Jährige studiert mittlerwei­le im fünften Semester BWL.

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