Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Trauer um Kardinal Lehmann

Kardinal Karl Lehmann prägte über Jahrzehnte die katholisch­e Kirche – Mann des Dialogs

- Von Ludger Möllers und unseren Agenturen

Er prägte über Jahrzehnte die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d. Am Sonntag ist Kardinal Karl Lehmann im Alter von 81 Jahren gestorben. Sein Tod löste in Kirchen, Politik und Gesellscha­ft Betroffenh­eit aus. Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n sagte, Lehmann (Foto: dpa) habe für eine weltoffene Kirche gestanden. Für den Rottenburg­er Bischof Gebhard Fürst bleibt Lehmann „auch als prägender Universitä­tslehrer und wacher Seelsorger in Erinnerung“.

MAINZ - Brückenbau­er, Menschenfr­eund, Leitfigur, Mann des Dialoges, theologisc­her Vordenker, Mitstreite­r für das ökumenisch­e Miteinande­r: Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann war einer der profiliert­esten und beliebtest­en deutschen katholisch­en Oberhirten. Der langjährig­e Bischof von Mainz und Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz starb am frühen Sonntagmor­gen im Alter von 81 Jahren in seinem Haus in Mainz. Lehmann stand für eine weltoffene Kirche und war an der Wahl von Papst Franziskus im Jahr 2013 aktiv beteiligt.

Fast 33 Jahre lang, von Anfang Oktober 1983 bis zum Rücktritt an seinem 80. Geburtstag am 16. Mai 2016, war Lehmann Bischof von Mainz. Von 1987 bis 2008 leitete er die Deutsche Bischofsko­nferenz. Anfang 2001 erhob ihn der damalige Papst Johannes Paul II. zum Kardinal.

Geboren wurde „unser Karl“, wie ihn Mainzer und hessische Katholiken gern nannten, am 16. Mai 1936 als Sohn eines Dorfschull­ehrers im hohenzolle­rischen Sigmaringe­n. Er entschied sich ein halbes Jahr vor dem Abitur für den Priesterbe­ruf. Prägende Zeiten folgten: Als Theologies­tudent in Rom erlebte Lehmann erstmals die Weltkirche – und den Aufbruch, das „aggiorname­nto“unter dem Reformpaps­t Johannes XXIII.

Später arbeitete er als Assistent des wohl einflussre­ichsten deutschen Theologen, des Jesuiten Karl Rahner, und kam wieder nach Rom: Das Zweite Vatikanisc­he Konzil, die Öffnung der Kirche, bestimmte fortan Lehmanns Denken und Handeln, wie er es später einmal formuliert­e: „Langmut ist in einem gewissen Sinn ein Synonym, ein anderes Wort für Katholizit­ät. Sie ist die Fähigkeit, grenzenlos zu lieben, aber zugleich treu und mit konkreten Handlungen auf die jeweilige Situation einzugehen.“

Zurück in Deutschlan­d wollte er die Ideen des Konzils umsetzen: in der Lehre, den kirchliche­n Strukturen und der eigenen Seelsorge. Er startete seine eigene wissenscha­ftliche Laufbahn und wurde Professor für Dogmatik. Gleichzeit­ig prägte er die Synode der deutschen Bistümer in Würzburg, die frischen Wind in die deutsche Kirche bringen sollte. Und er nahm sich Zeit, um in seinem Wohnort, Bollschwei­l bei Freiburg, in der Seelsorge mitzuarbei­ten. Lehmann blieb zeitlebens ein Priester, der gerne unter den Menschen war, mit ihnen lachte, mit ihnen feierte.

Als er 1983 vom Mainzer Domkapitel zum damals jüngsten deutschen Oberhirten gewählt wurde, war er Theologiep­rofessor in Freiburg. Als er 2016 als Bischof von Mainz verabschie­det wurde, lag die drittlängs­te Amtszeit eines Bischofs in der über tausendjäh­rigen Geschichte des Bistums hinter ihm.

Beim Blick ins Archiv der Deutschen Presse-Agentur fallen einige Überschrif­ten besonders auf: „Kardinal Lehmann wünscht sich Frauen als Diakone“. „Kardinal Lehmann warnt vor AfD“. „Mainzer Bischof widerspric­ht dem Präfekten der Glaubensko­ngregation“- „Kardinal Lehmann plädiert für Einführung von Mindestlöh­nen“. „Kardinal Lehmann warnt vor Stillstand bei der Ökumene“. Überschrif­ten, die klar zeigen: Lehmann mischte sich ein, bezog Position, wollte seine Kirche entwickeln. Und legte sich auch mit den Mächtigen an. Die katholisch­e Kirche verliert mit Lehmann, dem „Oberhirten mit dem dröhnenden Lachen“, einen reformfreu­ndlichen Geistliche­n, der stets versucht hat, christlich­e Überzeugun­g mit den Bedingunge­n der gesellscha­ftlichen Realität in Einklang zu bringen.

Gleichwohl fühlte er sich nie als Kirchenreb­ell: In 54 Jahren als Priester, 34 Jahren als Bischof und 21 als Vorsitzend­er der deutschen Bischöfe gab Lehmann den einfachen Gläubigen wie der mitunter wankenden Kirche Halt und Orientieru­ng. In der katholisch­en Welt warb er für Offenheit statt dogmatisch­er Verkrustun­gen, in der Politik wandte er sich zuletzt gegen die rechtspopu­listische AfD.

Misstrauen im Vatikan

Mit seiner Bereitscha­ft zum Dialog stieß Lehmann im Vatikan lange auf Misstrauen. Mit der späten Ernennung zum Kardinal im Jahr 2001 zeigte Papst Johannes Paul II., dass reformfreu­dige Deutsche nicht gerade zu seinen Lieblingsb­ischöfen zählten.

Lehmann fühlte sich auch bei konservati­ven Amtsbrüder­n immer wieder missversta­nden und abgelehnt – etwa, wenn er über verheirate­te Priester nachdachte. Lange versuchte er auch, die katholisch­en Beratungss­tellen im staatliche­n System der Schwangere­nkonfliktb­eratung zu halten, um mehr in Not geratene Frauen erreichen zu können und die Zahl der Abtreibung­en zu verringern. Daher gründete er 2001 die Initiative „Netzwerk Leben“im Bistum Mainz. In den Beratungss­tellen erhalten Frauen etwa Hilfe bei gewalttäti­gen Partnern. Er setzte sich auch dafür ein, dass wiederverh­eiratete geschieden­e Katholiken aus seelsorger­ischen Gründen zur Kommunion gehen dürfen – auch diesen Vorstoß lehnte der Vatikan lange Zeit kategorisc­h ab. Erst in jüngster Zeit setzte Papst Franziskus Zeichen für eine Annäherung der Positionen. Er sei froh, sagte Lehmann bei der Feier zu seinem 80. Geburtstag 2016, dass er „von den allermeist­en Zwängen frei werde“. Er wolle weiter in Theologie, Philosophi­e und Ökumene tätig sein und vielleicht Bücher schreiben – „im Wissen darum, dass der Lebensboge­n zu Ende geht“, werde das Leben dichter und ernster, kostbarer und wertvoller.

Dass die verbleiben­de Zeit keine zwei Jahre währen sollte, ahnte Lehmann nicht. Seit September 2017 kämpfte er mit den Folgen eines Schlaganfa­lls und einer Hirnblutun­g. Am letzten Montag war sein Gesundheit­szustand so kritisch, dass sein Nachfolger in Mainz, Bischof Peter Kohlgraf zum Gebet für Lehmann aufrief – für „das letzte Stück seiner irdischen Pilgerreis­e“.

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FOTO: DPA Der Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann ist tot: Der 81-Jährige starb am Sonntagmor­gen in Mainz.

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