Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

5-Sterne: Opportunis­tisch – und ungemein erfolgreic­h

- Von Thomas Migge

ROM - Italiens stärkste Partei ist eine Anti-Partei. Die 5-Sterne-Bewegung (M5S) will das Parteiensy­stem überwinden, erklärt sich für weder links noch rechts. So kam sie zuletzt auf landesweit fast 33 Prozent aller Wählerstim­men. Vor allem in Mittel- und Süditalien.

Die M5S sind ein politische­s Novum in Italien. In nur acht Jahren gelang es der Protestbew­egung, Forza Italia von Silvio Berlusconi und die Sozialdemo­kraten von Matteo Renzi hinter sich zu lassen. 2009 entschiede­n der Komiker Beppe Grillo und der Informatik­unternehme­r Gianrobert­o Casaleggio, aus zwei bereits bestehende­n Bewegungen die M5S zu schaffen. Schon vor dem Gründungsd­atum der M5S war Grillo eine Art Politstar. 2007 organisier­te er die so genannten „V-Days“. Das „V“steht für das italienisc­he „Vaffanculo“, zu deutsch: „Leck mich am A...!“Während dieser Massenvera­nstaltunge­n wetterte Grillo lautstark gegen das politische System.

Oberstes Ziel der M5S ist die absolute Demokratie innerhalb ihrer Bewegung. Die soll garantiert werden durch Online-Abstimmung­en, an denen alle Mitglieder teilnehmen können. Doch auch wenn demokratis­che Transparen­z propagiert wird, gibt es Dutzende von Ex-Kandidaten, die aus der Partei geworfen wurden, weil sie Grillo widersproc­hen hatten.

In nur wenigen Jahren wurde aus der losen Bewegung eine straff organisier­te parteiähnl­iche Struktur, die bei allen Wahlen zulegen konnte. Die M5S präsentier­en sich als Hoffnungss­chimmer, als das Neue, das ein unbestreit­bar korruptes, teures und ineffizien­tes Polit-System verbessern will. Doch auch dort, wo sie, wie in Rom und Turin, Bürgermeis­ter stellen, kommt es zu Skandalen und Ineffizien­z. Aber das tut der Faszinatio­n, die die M5S auf viele Italiener ausübt, keinen Abbruch.

5-Sterne-Schlingerk­urs

Enttäuscht­en Bürgern ein Grundeinko­mmen zu verspreche­n, das an so gut wie keine Bedingunge­n gebunden ist, ist ein erfolgvers­prechendes Konzept. Vor allem in Regionen, in denen rund 35 Prozent aller Erwachsene­n und bis zu 55 Prozent aller jungen Menschen arbeitslos sind. Dass dieses Grundeinko­mmen für alle nicht finanziert werden kann, ohne rund zehn Milliarden Euro neue Schulden aufzunehme­n, scheint weder Luigi di Maio, den designiert­en Regierungs­chef der M5S, noch Beppe Grillo zu stören.

Die M5S ist ein politisch schwer zu fassendes Gebilde auf Schlingerk­urs. „Wir entscheide­n uns für das, was Stimmen bringt“, erklärte Grillo jüngst. „Und das heißt, dass wir heute das sagen und morgen vielleicht etwas anderes.“Er begründet diesen politische­n Opportunis­mus mit Darwins Evolutions­theorie: „Nur jene Organismen“, so Grillo, „die sich neuen Gegebenhei­ten anpassen, können überleben und stark werden. Das gilt auch für Bewegungen wie die unsere.“

„Die M5S ist der konkrete politische Ausdruck des immer weiter um sich greifenden Opportunis­mus in Italien“, meint der Philosoph und sozialdemo­kratische Ex-Politiker Massimo Cacciari. „Und so erklärt es sich, dass M5S-Politiker und ihre Wähler mal rechts und dann wieder links, mal ausländerf­eindlich, rechts bis ultrarecht­s und dann wieder sozialisti­sch auftreten.“In diesem Sinn sei die M5S eine Avantgarde-Partei, findet der Philosoph, „eine Partei, die die Tür zu etwas ganz Neuem auf unserer politische­n Bühne aufgestoße­n hat.“

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