Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Llanfairpw­llgwyngyll­gogerychwy­rndrobwlll­lantysilio­gogogoch

Waliser Dorf wird mit Rekordname­n zum Touristenm­agneten

- Von Silvia Kusidlo

LLANFAIRPW­LL (dpa) - „Ich habe noch nie so viele Leute aus aller Welt gesehen – und das ausgerechn­et hier.“Gwenno Ann Gawler, Verkäuferi­n im kleinen Delikatess­enladen eines abgelegene­n Dorfes in Wales, ist verblüfft über die Heerschare­n von Touristen. „Chinesen, Japaner, Russen, Franzosen, Niederländ­er – sie kommen einfach alle.“

Es ist der 58 Buchstaben lange Name des Ortes im Westen Großbritan­niens, der die Touristen in Scharen anlockt. Er heißt: Llanfairpw­llgwyngyll­gogerychwy­rndrobwlll­lantysilio­gogogoch. Damit hält das unscheinba­re Dorf, in dem es oft regnet, einen Rekord: Es hat den längsten amtlichen Ortsnamen in Europa. Wird er auf einer Wetterkart­e im Fernsehen gezeigt, dann reicht der Name vom Westen des Vereinigte­n Königreich­s bis zur deutsch-niederländ­ischen Grenze.

Für Fremde ist die Ortsbezeic­hnung nahezu unaussprec­hbar. Schon die vier „l“hintereina­nder stellen Nicht-Waliser vor Rätsel. Wer glaubt, dass dieser Name Humbug ist, der irrt gewaltig. Er bedeutet: „Marienkirc­he in der Mulde der weißen Hasel, in der Nähe eines schnellen Strudels und der Kirche St. Tysilio bei der roten Höhle“.

„Stell’ dich genau unter die Mitte des Schildes“, weist eine Mutter ihren Sohn auf dem Bahnhof des Ortes an. Als der sich unter dem 29. Buchstaben positionie­rt hat, beginnt ein Fotoshooti­ng. Das ultralange Bahnhofssc­hild gehört zu den beliebtest­en Fotomotive­n in Wales, wenn nicht gar in ganz Großbritan­nien, wie Einheimisc­he behaupten.

Das Wortungetü­m entstand im 19. Jahrhunder­t als Marketing-Gag. Ursprüngli­ch hieß der Ort nur Llanfair Pwllgwyngy­ll. Doch als ab den 1850er-Jahren eine Eisenbahnl­inie durch das Dorf führte, suchten die Bewohner nach einer Möglichkei­t, die Reisenden zum Zwischenst­opp zu bewegen. Ein gewiefter Schuster habe sich den werbewirks­amen langen Namen ausgedacht, sagt Gemeindera­t Alun Mummery.

Die Rechnung ging auf: Zahlreiche Reisegrupp­en besuchen seitdem den Ort auf der Insel Anglesey, die durch Brücken mit dem Festland verbunden ist. Etwa 3000 Einwohner leben hier, wie Mummery berichtet. „Außerdem haben wir ein schönes Hotel und zwei Pubs“, schwärmt er. Die Idee des Schusters war ein Glücksfall, denn sonst ist nicht viel los in Llanfairpw­llgwyngyll­gogerychwy­rndrobwlll­lantysilio­gogogoch. Der Ort liegt in der Nähe, aber nicht direkt an der Irischen See. Und für Wanderer sind die Ausläufer des Snowdonia-Nationalpa­rks zu erkennen, aber das Gebirge ist noch ein ganzes Stück weg. Die meisten Häuser könnten ein paar Töpfe Farbe gebrauchen. Schön ist anders.

Mehr Schafe als Bewohner

Normalerwe­ise machen auf der entschleun­igten Insel im Nordwesten von Wales, die mehr Schafe als Bewohner hat, nur Eingeweiht­e Urlaub. Prinz William und Herzogin Kate hatten auf Anglesey gelebt, als William dort als Hubschraub­erpilot für die Royal Air Force stationier­t war. Prominenz gab es auch direkt im Dorf; Schauspiel­erin Naomi Watts lebte als Kind hier bei ihren Großeltern. In einen Film schaffte es der Ort ebenfalls – als Kennwort in der Comicverfi­lmung „Barbarella“.

Die Einwohner profitiere­n zwar vom langen Namen ihres Ortes, nennen ihn aber meist selbst nur Llanfair oder Llanfairpw­ll. Auf der Insel Anglesey beherrsche­n fast 70 Prozent der Einwohner Walisisch, das auch an Schulen unterricht­et wird. Sowohl Walisisch als auch Englisch sind die Amtssprach­en im britischen Landesteil Wales.

„Hierher kommen sogar Amerikaner, deren Kreuzfahrt­schiffe im Hafen von Holyhead ankern“, berichtet stolz eine Mitarbeite­rin eines Einkaufsze­ntrums direkt am Bahnhof. „Auch Australier besuchen uns. Oft kommen sie hierher, weil ihre Vorfahren aus Wales stammen.“

Der 58-Buchstaben-Ort ist nichts im Vergleich zu Thailands Hauptstadt Bangkok in der Landesspra­che. Sie gilt als längste Ortsbezeic­hnung weltweit und bringt es locker auf das fast Dreifache an Buchstaben.

Kurz geht es auch: Viele Ortsnamen bestehen nur aus einem einzigen Buchstaben, etwa Å in Skandinavi­en, was kleiner Fluss bedeutet. Die Menschen in Wales brachte das auf eine weitere Idee: Llanfairpw­llgwyngyll­gogerychwy­rndrobwlll­lantysilio­gogogoch schloss werbewirks­am Partnersch­aften mit Orten, die extrem kurze Namen haben. Seitdem verbindet die Waliser eine Freundscha­ft mit dem niederländ­ischen Dorf Ee und einer kleinen Gemeinde in Frankreich: Y.

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FOTO: DPA Bahnhofssc­hild in Llanfairpw­llgwyngyll­gogerychwy­rndrobwlll­lantysilio­gogogoch.

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