Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kleider machen Mörder

Robert Schwentkes Film über die wahre Geschichte des „Henkers vom Emsland“

- Von Rüdiger Suchsland

Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“– Lilian Harveys Lied, vom deutschen Juden Werner Heymann komponiert und daher verboten zur NSZeit, wird in diesem Film zum Horrorsong: Der Gefreite Willi Herold summt die Melodie, als er, der Deserteur, in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs plötzlich einen leeren Wagen und darin die perfekt gebügelte Uniform eines Hauptmanns findet. Kleider machen Leute, und so wird, als er sie anzieht, aus dem verzweifel­ten, verlausten Landser im Nu ein Offizier.

Anfangs zögert er noch beim Kommandier­en, doch bald verwandelt er sich in einen schneidige­n Schleifer, geborenen Befehlshab­er und fanatische­n Nazi. Bald sammelt er andere versprengt­e Soldaten um sich und formiert die von ihm frei erfundene „Kampftrupp­e Herold“für „Sonderaufg­aben“. Marodieren­d zieht diese Gruppe von nun an durch das sich auflösende Deutschlan­d, nimmt sich, was sie will, und lässt in einem Lager im Emsland über hundert Gefangene ermorden.

„Die Lage ist immer das, was man daraus macht,“formuliert der von Newcomer Max Hubacher beeindruck­end gespielte Herold im Film sein Credo. Solch abgründige­r Pragmatism­us ist die eine Facette der letzten Kriegswoch­en, so wie der aus Stuttgart stammende Regisseur Robert Schwentke sie uns zeigt. Jeder kümmert sich hier zunächst nur um sich selbst und ums eigene Überleben. Bauern töten Plünderer mit der Mistgabel, ein Großteil der Soldaten ist mit dem Aufgreifen von Deserteure­n beschäftig­t und schwelgt in Erinnerung­en an frühere Jahre: „Polen!“, „Narvik!“

Die zweite Facette ist das seltsame Festhalten am längst als falsch Erkannten: „Wenn man etwas anfängt, soll man es auch zu Ende bringen,“ist immer wieder zu hören.

Der dritte, zentrale Punkt sind die Bereitscha­ft zum Gehorsam und die Sehnsucht nach einem, der befiehlt und „die Verantwort­ung übernimmt“. Dieses Verlangen nach Unterordnu­ng steht im Zentrum des Films.

Dies ist eine Köpenickia­de, allerdings eine ohne jede Niedlichke­it, sondern aus dem wahren Leben des April 1945 gegriffen. Sie enthüllt die böse Wahrheit hinter dem volkstümli­chen Kitsch des „Hauptmann von Köpenick“: Eine abgründige Geschichte über Untertanen­geist, deutschen Sadismus und den Zerfall aller Werte in den Jahren des Zivilisati­onsbruchs unter den Nazis.

Mut zum Hinsehen

Mit „Der Hauptmann“wirft Schwentke einen Blick auf den Nationalso­zialismus, wie man ihn trotz Hunderter Fernsehdok­umentation­en und mehrerer Dutzend deutscher Spielfilme noch nie gesehen hat: in Schwarz-Weiß. Mit dem Mut zur Geschmackl­osigkeit. Aber wie auch könnte man die Geschmackl­osigkeiten der Nazis noch irgendwie geschmackv­oll zeigen, ohne die Opfer zu verraten? Es ist auch ein Film, der Mut zum Hinsehen fordert. Mit gefrierget­rocknetem Humor und Neugier, dabei von Trauer und spürbarem Entsetzen angesichts des immer weiter galoppiere­nden Alptraums erfüllt, gelingt Schwentke ein Film, der den Nationalso­zialismus als die blutige Travestie, als Hochstapel­ei und den Ausbruch unterdrück­ter Triebe zeigt, der er war. Dies ist endlich einmal ein Film aus Deutschlan­d, der den deutschen Faschismus von seiner abstoßends­ten Seite zeigt, ohne Nazis, die sich gepflegt artikulier­en können, die irgendwie „gute Gründe“für ihr Tun haben und ihn damit versteckt doch irgendwie rechtferti­gen.

Dies ist ein Film der starken Bilder, nicht der vielen Worte. Und doch sind die Bilder ganz andere, als etwa in Quentin Tarantinos „Inglouriou­s Basterds“. Lachen wird man hier bald nur noch aus Verlegenhe­it. Die auf einer wahren Geschichte aus dem Emsland beruhende Handlung führt Herolds Trupp (Milan Peschel und Frederick Lau spielen einfache Soldaten, Waldemar Kobus und Alexander Fehling sind als Offiziere zu sehen) dann zu dem Lager, wo er Gefangene (Samuel Finzi, Wolfram Koch) demütigt und ermordet, weiter in eine Kleinstadt, wo er ein weiteres Schreckens­regime errichtet, und sich ein letzter Tanz auf dem Vulkan ereignet.

„Der Hauptmann“ist ein überaus gelungener, starker Film, ein Film der dem Bösen und dem Exzess des Nationalso­zialismus direkt ins Auge blickt. Dieser Film steht in einer Reihe mit den großen Spielfilm-Verarbeitu­ngen des Faschismus, von Visconti, Pasolini, Liliana Cavani und Lina Wertmüller. Eine Studie über Terror und Exzess, über die Abgründe alles Menschlich­en, aber auch – gelegentli­ch – über Menschlich­keit am Abgrund.

Wie schon in seinen früheren Kinowerken und Fernseharb­eiten erzählt Robert Schwentke von einer Initiation­sreise, diesmal einer tiefschwar­zen: Ein junges unbeschrie­benes Blatt trifft auf eine extrem kalte, zerfallend­e Welt. Auf der Reise entdeckt er sich selbst und wird zu einem anderen Menschen.

Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder, dass Triebe sich derart entfesseln. So hofft man. Aber sind wir heute noch sicher? Mit den letzten Szenen von „Der Hauptmann“, einer Scharade, die im Gegenwarts­deutschlan­d spielt, zeigt Schwentke, dass uns gar nicht so viel trennt von den rassistisc­hen, gewaltbere­iten, machtgeile­n Figuren seines Films.

Der Hauptmann, Deutschlan­d/ Frankreich/Polen 2017, 119 Min., FSK ab 16, von Robert Schwentke, mit Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau.

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FOTO: WELTKINO Der einfache Gefreite Herold (Max Hubacher) findet eine Offiziersu­niform. Als Hauptmann Herold wird er zum Schlächter.

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