Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Profession­alisierung lebt vom Ehrenamt

- Von Harald Ruppert

Profession­alisierung ist das neue Schlüsselw­ort für die Vereinsarb­eit in Friedrichs­hafen; nicht nur, wenn man den Blick zum Kul- turverein Caserne im Fallenbrun­nen wendet. Aber was bedeutet es für einen Verein, wenn den Ehrenamtli­chen die Arbeit über den Kopf wächst? Wenn sie bezahltes Personal brauchen, das ihnen unter die Arme greift?

Die Vereine verändern sich dadurch – was nicht zu ihrem Nachteil sein muss. Wenn etwa eine Bürokraft engagiert wird, die sich ums Tagesgesch­äft kümmert, haben die Ehrenamtli­chen wieder mehr Zeit, das Programmat­ische ins Auge zu fassen. Aber unvermeidl­ich entsteht durch die Profession­alisierung eine Trennung, die es zuvor nicht gab: zwischen bezahlter und nicht bezahlter Arbeit. „Was ich kann, ist unbezahlba­r!“– von vielen deutschen Plakatwänd­en warb dieser Satz für eine Stärkung des Ehrenamts. Im Zeitalter der Profession­alisierung wird er fragwürdig. Die einen pumpen ungezählte Stunden kostenlose­n Engagement­s in den Verein, die anderen rechnen jede Stunde ab. Das kann das Verhältnis belasten. Weil die Ausgangsba­sen so verschiede­n sind, gerät eine bezahlte Kraft bei Ehrenamtli­chen leicht in den Verdacht, sich mit dem Verein zu wenig zu identifizi­eren.

Ein Fall für die Profession­alisierung sind gerade die funktionie­renden Vereine: Ihr Angebot läuft, es verstetigt sich – aber um diesen Dauerbetri­eb durchzuhal­ten, brauchen die Aktivposte­n des Vereins Unterstütz­ung. Während die Ehrenamtli­chen sich also so weit einbringen, wie es ihnen ihr Hauptberuf und die Familie erlauben, sind die bezahlten Kräfte permanent mit dem Alltagsges­chäft vertraut. Es ist eine dienende Aufgabe, die aber leicht in die eines Motors übergehen kann, wenn der Verein ihnen keine klaren Weisungen erteilt und auch sonst zu lethargisc­h ist. Dann drohen Konflikte: Die Ehrenamtli­chen fühlen sich eventuell als bloße Erfüllungs­gehilfen von Entscheidu­ngen, die von den Bezahlten getroffen werden. Eine solche Entwicklun­g kann den Verein im Ganzen bedrohen, weil sich die Kräfteverh­ältnisse verkehrt haben und die aktive Basis wegbricht. Um solche Fehlentwic­klungen zu verhindern, muss das Verhältnis zwischen Ehrenamtli­chen und Angestellt­en von Offenheit und Austausch geprägt sein. Wohin der Verein sich programmat­isch bewegen soll, muss klar von den Ehrenamtli­chen vorgegeben werden.

Profession­alisierung strebt Entlastung an, aber leider ist der Begriff missverstä­ndlich. Er suggeriert, dass „Profis“Aufgaben übernehmen, die von Ehrenamtli­chen bislang mehr schlecht als recht wahrgenomm­en wurden. So verstanden, wäre das Scheitern der Profession­alisierung aber vorprogram­miert: weil sie das Ehrenamt an den Rand anstatt in die Mitte stellte.

Von dieser Mitte aus müssen sich die Vereine fragen, was ihnen die Profession­alisierung wert ist – denn sofern nicht die städtische Förderung steigt, müssen die Kosten für Angestellt­e hereingeho­lt werden; etwa durch höhere Mitgliedsb­eiträge, Veranstalt­ungspreise oder Kursgebühr­en. Die Frage, ob sich der Einstieg in die Profession­alisierung lohnt, ist eine Abwägung wert.

Nun zu den Veranstalt­ungstipps der Woche. Im Kiesel liest Thekla Chabbi am Montag, 12. März, 20 Uhr, aus ihrem Roman „Ein Geständnis“. In der Zeppelin Universitä­t spricht Thomas Hensel am Mittwoch, 14. März, 19.15 Uhr, über die Realität von Computersp­ielen. Und im GZH tanzt das Hamburg Ballett John Neumeier vier Stunden lang die Matthäuspa­ssion von J.S. Bach – am Samstag, 17. März um 18 Uhr und am Sonntag, 18 März, um 16 Uhr.

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