Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Professionalisierung lebt vom Ehrenamt
Professionalisierung ist das neue Schlüsselwort für die Vereinsarbeit in Friedrichshafen; nicht nur, wenn man den Blick zum Kul- turverein Caserne im Fallenbrunnen wendet. Aber was bedeutet es für einen Verein, wenn den Ehrenamtlichen die Arbeit über den Kopf wächst? Wenn sie bezahltes Personal brauchen, das ihnen unter die Arme greift?
Die Vereine verändern sich dadurch – was nicht zu ihrem Nachteil sein muss. Wenn etwa eine Bürokraft engagiert wird, die sich ums Tagesgeschäft kümmert, haben die Ehrenamtlichen wieder mehr Zeit, das Programmatische ins Auge zu fassen. Aber unvermeidlich entsteht durch die Professionalisierung eine Trennung, die es zuvor nicht gab: zwischen bezahlter und nicht bezahlter Arbeit. „Was ich kann, ist unbezahlbar!“– von vielen deutschen Plakatwänden warb dieser Satz für eine Stärkung des Ehrenamts. Im Zeitalter der Professionalisierung wird er fragwürdig. Die einen pumpen ungezählte Stunden kostenlosen Engagements in den Verein, die anderen rechnen jede Stunde ab. Das kann das Verhältnis belasten. Weil die Ausgangsbasen so verschieden sind, gerät eine bezahlte Kraft bei Ehrenamtlichen leicht in den Verdacht, sich mit dem Verein zu wenig zu identifizieren.
Ein Fall für die Professionalisierung sind gerade die funktionierenden Vereine: Ihr Angebot läuft, es verstetigt sich – aber um diesen Dauerbetrieb durchzuhalten, brauchen die Aktivposten des Vereins Unterstützung. Während die Ehrenamtlichen sich also so weit einbringen, wie es ihnen ihr Hauptberuf und die Familie erlauben, sind die bezahlten Kräfte permanent mit dem Alltagsgeschäft vertraut. Es ist eine dienende Aufgabe, die aber leicht in die eines Motors übergehen kann, wenn der Verein ihnen keine klaren Weisungen erteilt und auch sonst zu lethargisch ist. Dann drohen Konflikte: Die Ehrenamtlichen fühlen sich eventuell als bloße Erfüllungsgehilfen von Entscheidungen, die von den Bezahlten getroffen werden. Eine solche Entwicklung kann den Verein im Ganzen bedrohen, weil sich die Kräfteverhältnisse verkehrt haben und die aktive Basis wegbricht. Um solche Fehlentwicklungen zu verhindern, muss das Verhältnis zwischen Ehrenamtlichen und Angestellten von Offenheit und Austausch geprägt sein. Wohin der Verein sich programmatisch bewegen soll, muss klar von den Ehrenamtlichen vorgegeben werden.
Professionalisierung strebt Entlastung an, aber leider ist der Begriff missverständlich. Er suggeriert, dass „Profis“Aufgaben übernehmen, die von Ehrenamtlichen bislang mehr schlecht als recht wahrgenommen wurden. So verstanden, wäre das Scheitern der Professionalisierung aber vorprogrammiert: weil sie das Ehrenamt an den Rand anstatt in die Mitte stellte.
Von dieser Mitte aus müssen sich die Vereine fragen, was ihnen die Professionalisierung wert ist – denn sofern nicht die städtische Förderung steigt, müssen die Kosten für Angestellte hereingeholt werden; etwa durch höhere Mitgliedsbeiträge, Veranstaltungspreise oder Kursgebühren. Die Frage, ob sich der Einstieg in die Professionalisierung lohnt, ist eine Abwägung wert.
Nun zu den Veranstaltungstipps der Woche. Im Kiesel liest Thekla Chabbi am Montag, 12. März, 20 Uhr, aus ihrem Roman „Ein Geständnis“. In der Zeppelin Universität spricht Thomas Hensel am Mittwoch, 14. März, 19.15 Uhr, über die Realität von Computerspielen. Und im GZH tanzt das Hamburg Ballett John Neumeier vier Stunden lang die Matthäuspassion von J.S. Bach – am Samstag, 17. März um 18 Uhr und am Sonntag, 18 März, um 16 Uhr.