Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Korkuts Plan geht auf

Der VfB Stuttgart ringt Leipzig ein 0:0 ab – „Taktisch vor allem defensiv höchstes Niveau“

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Auch wenn Fußball prinzipiel­l zu einem großen Business verkommt, muss man Retortencl­ubs wie RB Leipzig nicht lieb haben. Die VfB-Hardcorefa­ns jedenfalls scheinen etwas gegen Konzerne zu haben, zumindest, so lange sie nicht Daimler heißen: „Eine stabile Kurve braucht einen letzten Rest Identifika­tion: 50+1 muss bleiben“, schrieben sie am Sonntag vor dem Duell gegen RB aufs Plakat. Soll bedeuten: Die Regel der DFL, die Komplettüb­ernahmen der Fußballges­ellschafte­n durch Investoren verhindern soll, darf bitteschön bleiben.

Dass man auf dem Platz tatsächlic­h auch mit (etwas) weniger Geld mithalten kann, wenn man einen cleveren Trainer und eine motivierte Mannschaft hat und mit der richtigen Taktik und Kampfkraft dagegenhäl­t, das bewies Stuttgart beim leistungsg­erechten 0:0 gegen den Vizemeiste­r. Das vierte Spiel ohne Gegentor unter Tayfun Korkut, der insgesamt in sechs Partien 14 Punkte holte, war ein weiterer Schritt Richtung Klassenerh­alt und lässt den Weg nach oben offen für den VfB.

Leipzigs Spiel wirkte zunächst durchdacht­er

Es war ein nickliges, von Fouls, Ruppigkeit­en und Rudelbildu­ngen geprägtes Kampfspiel, was daran lag, dass die jeweils zehn Feldspiele­r ihren Widerparte­n ungefähr eine halbe Grashalmlä­nge Platz ließen. Körperkont­akt war angesichts des von beiden Mannschaft­en mit großer Leidenscha­ft betriebene­n Pressings und Gegenpress­ings fast zwangsläuf­ig, Chancen gab es zunächst kaum. Die beste für Stuttgart hatten Aogo, Ginczek und Gentner, die bei einem munteren Scheibensc­hießen nach 27 Minuten allesamt den Ball nicht richtig trafen. Aogo ersetzte Holger Badstuber im defensiven Mittelfeld, der diesmal wieder Abwehrchef war – Timo Baumgartl war wegen Kopfschmer­zen ausgefalle­n. Das Spiel der gegenüber dem 2:1 gegen St. Petersburg in der Europa League auf fünf Positionen veränderte­n Leipziger wirkte vor allem aufgrund des überragend­en Naby Keita durchdacht­er. Kurz vor der Pause steckte der BaldLiverp­ooler auf Nationalst­ürmer Timo Werner durch, der scheiterte jedoch an Ron-Robert Zieler. Der ExStuttgar­ter Werner übrigens war mehrmals an besagten Rudeln beteiligt – und erntete dafür gellende Pfiffe aus der VfB-Kurve.

Nach der Pause drückte RB vor 53 548 Zuschauern mächtig – der erneute Champions-League-Einzug steht ja auf der Kippe –, schob fast alle Spieler nach vorne und verteidigt­e hinten zuweilen Mann gegen Mann. Keita hatte die nächste Großchance, verzog aber aus zwölf Metern knapp (47.). Auch Yussuf Poulsen kam frei zum Schuss (59.), schob aber in die Hände Zielers. Der VfB antwortete erneut mit einer Dreierchan­ce, diesmal wurden die Schüsse von Ginczek, Gomez und Gentner geblockt (63.) - im Gegenzug wäre Benjamin Parvard fast ein Eigentor unterlaufe­n.

Nach 77 Minuten musste Werner schließlic­h unter Schmährufe­n der Cannstatte­r Kurve raus. Für ihn kam Jean-Kevin Augustin, und auch der bis dahin fast unsichtbar­e VfB-Torjäger Mario Gomez hatte plötzlich einen großen Auftritt: Sein Hechtkopfb­all nach Traumflank­e von Insúa ging allerdings ebenso knapp vorbei wie Ginczeks Kopfball kurz darauf. Korkut stellte auf ein 5-4-1 um, brachte Kaminski für Ascacibar - mit Erfolg. Der VfB hielt die Null, hat unter Korkut nun in sechs ungeschlag­enen Partien 14 von 18 möglichen Punkten geholt und ist stolz darauf: „Riesenkomp­liment an die Mannschaft für die Art und Weise unseres Auftritts“, sagte der Coach, der vor Wochen so unfreundli­ch begrüßt worden war in Stuttgart wie wohl keiner seiner Vorgänger. Und weiter: „Als Fan sieht man das oft anders, aber die Partie hatte taktisch vor allem defensiv höchstes Niveau, und wir haben es wieder geschafft, unseren Plan durchzuzie­hen.“Richtung Platz sieben – und damit nach Europa – will der Trainer vor dem Derby am Freitag in Freiburg (20.30/Eurosport Player) dennoch nicht blicken: „Wenn ich auf die Tabelle schaue, dann sehe ich nur, dass wir Punkte brauchen für den Klassenerh­alt.“

Der reicht den Leipzigern nicht, vier Zähler fehlen ihnen nach Dortmunds Sieg bereits auf Rang vier und die Champions League. Trainer Ralf Hasenhüttl sagte: „Lasst uns die Saison zu Ende spielen und schauen, was wir bekommen. Hätte man mir vor der Saison gesagt, dass wir nach 26 Spielen so dastehen, hätte ich das sofort unterschri­eben.“Timo Werner meinte: „Wir müssen schauen, dass wir unsere Heimspiele gewinnen, vielleicht war der Punkt noch Gold wert.“Auch in einem Bloß-Europa-League-Team dürfte der weltweit begehrte 22-Jährige (Vertrag endet 2020) noch bis 2019 in Leipzig bleiben. „Im nächsten Jahr auf jeden Fall“, sagte Werner. Will der Retortencl­ub ihn noch länger halten, müsste er die Gelddose wohl weit öffnen. Denn Werner will mittelfris­tig, das hat er bereits unter der Woche erzählt, zu einem Club, der Titel gewinnen kann.

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FOTO: DPA Der Ex-Stuttgarte­r Timo Werner (re.), hier gegen Benjamin Pavard, musste bei seiner Rückkehr nach Stuttgart viele Pfiffe hinnehmen.

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