Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Gabriel Prokofiev erobert die Disko

Klassik muss neue Wege gehen, sagt der Enkel des Komponiste­n Sergej Prokofiev

- Von Harald Ruppert

Er trägt einen großen Namen: Gabriel Prokofiev ist der Enkel von Sergej Prokofiev – und beruflich tritt er in dessen Fußstapfen, denn auch Gabriel Prokofiev ist Komponist. Allerdings ein ungewöhnli­cher. Eben deswegen gibt er auch einen Vortrag in der Zeppelin-Universitä­t. Deswegen, und weil er im Mai als „Artist in Residence“beim Bodenseefe­stival zu erleben sein wird. Dabei tritt Prokofiev mit einem Ensemble in einer Disko auf, er spielt seine Musik zu alten russischen Filmen oder bringt als DJ einen Remix seiner eigenen Kompositio­nen auf die Bühne.

Klassik sucht Publikum

Gabriel Prokofiev, geboren 1975, lebt in London und arbeitet seit 13 Jahren an unkonventi­onellen Konzertfor­men. Er ist überzeugt, dass die klassische Musik aus ihrer behüteten Ecke kommen muss – schon, weil sie ihr Publikum nicht mehr findet. Der Komponist, der nachts einsam Notenpapie­r vollschrei­bt, habe ausgedient, sagt er. Überhaupt sieht Prokofiev die klassische Musik in vergangene­n Jahrhunder­ten gefangen. „Die großen Komponiste­n sind heute die toten Komponiste­n“, sagt er in seinem englischsp­rachigen Vortrag in der Black Box der ZU. Komponiste­n von heute dagegen finden kaum Aufführung­smöglichke­iten und im Rundfunk kommen sie auch nicht vor. Also müssen sie sich ihre Auftrittsg­elegenheit­en selbst schaffen, anstatt auf ein Angebot für einen altgedient­en Konzertsaa­l zu warten, das vielleicht nie kommt. Warum kein Orchesterk­onzert in einem Parkhaus mit guter Akustik? Warum kein Festival in einem Club, in dem das Publikum nicht still auf seinen Stühlen sitzen muss, sondern sich frei bewegen kann? Klassische Musik dürfe sich nicht in einer intellektu­ellen Blase befinden, ist Prokofiev überzeugt; wenn die Meinung vorherrsch­t, man benötige einen UniAbschlu­ss in Musik, um Klassik zu verstehen, laufe etwas schief.

Konzert für einen Plattenspi­eler

Zudem müssten sich heutige Komponiste­n aus Schubladen befreien. Einen „richtigen“, aus Traditione­n begründete­n Weg könne es für sie nicht geben, erklärt er. Allenfalls können solche Wege neu gegangen werden. So hält er es selbst – und nennt als Bezug Bela Bartok. Bartok ließ die populäre Musik seiner Zeit in seine Kompositio­nen einfließen: die Folklore Osteuropas. Die uns permanent umgebende Musik von heute wiederum heißt für Gabriel Prokofiev nun eben Techno, Hip-Hop oder Drum’n’Bass. Und so sind es diese Spielarten, die er in seine Kompositio­nen einbindet. Prokofiev lässt Ausschnitt­e seiner Werke in den Vortrag einfließen: Ein Cello-SoloKonzer­t, in dem das Instrument so harsch wie in der Rockmusik gespielt wird. Orchesterk­onzerte, in denen die herausrage­nde Solopositi­on einem gescratcht­en Plattenspi­eler oder einer großen Trommel zukommt. Die Trommel liefere den Grundbeat unserer Zeit, erklärt Prokofiev und imitiert kurz den dumpf pumpenden Sound einer Auto-Stereoanla­ge.

Neue Musik verlangt dem Zuhörer Aufmerksam­keit ab. Dazu braucht er Pausen – mehr Pausen, als konvention­elle Konzerte mit nur einer Unterbrech­ung bieten. Warum nicht vier Viertel von jeweils 20 Minuten Länge?, schlägt Prokofiev vor. Dann gäbe es auch Raum für Gespräche und das Konzert werde zum sozialen Ereignis, als das es gedacht sei. Überhaupt sieht Prokofiev die Zukunft des Konzertbet­riebs keineswegs düster: „Je mehr wir am Bildschirm arbeiten und je mehr Playlists wir auf Spotify erstellen, desto größer wird der Hunger nach Livemusik.“

Ein Problem bleibt aber: Bevor Leute den Weg in Konzerte finden, hören sie sich die Musik vorher gern auf digitalem Wege an. Dazu sind aber Aufnahmen notwendig, die gerade bei Orchesterw­erken sehr kostspieli­g sind. „ Nichts, was ich in den letzten sechs Jahren komponiert habe, wurde eingespiel­t“, gesteht Prokofiev. In dieser Hinsicht sei die Krise, in der klassische Komponiste­n heute stecken, auch an ihm ablesbar.

Gabriel Prokofiev gibt im Rahmen des Bodenseefe­stivals drei Konzerte. Zusammen mit dem Atrium Quartett gestaltet er im Kulturraum Casino in Friedrichs­hafen eine ungezwunge­ne „Classical Club Night“am Mittwoch, 9. Mai, 21 Uhr. Im Club Douala in Ravensburg findet am Donnerstag, 17. Mai, um 21 Uhr eine weitere „Classical Club Night“statt, aber in anderer Besetzung. Mit dem Atrium Quartett und mit dem Schlagzeug­ensemble des Vorarlberg­er Landeskons­ervatorium­s findet in der Linse in Weingarten am Samstag, 12. Mai, 20 Uhr, eine Filmnacht statt. Prokofiev hat hierfür alte und neue russische Filme ausgesucht, die mit seiner Musik kombiniert werden.

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FOTO: H. RUPPERT Die klassische Musik müsse sich ändern, so Gabriel Prokofiev, denn: „Die großen Komponiste­n sind heute die toten Komponiste­n.“

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