Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Schöner leiden

Die Passion ist tief in der Kultur Spaniens verankert, vor allem in der Kunst – Warum? Antworten findet man ausgerechn­et im sonnig-heiteren Sevilla

- Von Christa Sigg

Sevilla. Die dumpfen Trommelsch­läge sind schon von Weitem zu hören, die Bläser lassen nicht lange auf sich warten. Ohrenbetäu­bende Ausmaße kann das annehmen, und bald ist die ganze Stadt erfüllt von diesem getragenen Rhythmus, der selbst die unmusikali­schsten Gemüter in einen Wiegeschri­tt zwingt. Dann taucht auch schon das „Cruz de la Guía“aus der Menge auf, ein imposantes Silberkreu­z, mit dem die Palmsonnta­gsprozessi­on und damit die „Semana Santa“, also die Karwoche, eröffnet wird. Sevilla ist im Ausnahmezu­stand.

Selbst in unseren profanen Zeiten funktionie­rt dieses fromme Spektakel wie eh und je. Immer noch gibt es fast 60 Laienbrude­rschaften, sodass jedes Viertel mit mindestens einer Prozession aufwarten kann, die Tausende Sevillanos und Touristen säumen. Prächtige „Pasos“werden durch die engen Gassen getragen, das sind altarartig­e Bühnen mit schmerzens­reichen Gottesmütt­ern, Christusfi­guren oder ganzen Szenarien, die das Passionsge­schehen wie etwa die Kreuzaufri­chtung eindringli­ch und lebensnah vor Augen führen. Es folgen Büßer – „Nazareños“– in langen Gewändern, viele mit „Capirotes“, den typischen spitzen Hauben, die das Gesicht bis auf zwei Augenschli­tze verhüllen.

Wer den Kapuzenträ­gern zum ersten Mal begegnet, dem kann durchaus mulmig werden, denn unwillkürl­ich denkt man an die grausigen Auftritte des rassistisc­hen KuKlux-Klans in den USA. Beides hat aber rein gar nichts miteinande­r zu tun. Wahrschein­lich geht die auffällige Vermummung der Nazareños auf ein kirchliche­s Verbot im 14. Jahrhunder­t zurück. Der Papst untersagte damals die öffentlich­e Sühne, deshalb konnten die Büßer nur mehr „inkognito“durch die Straßen ziehen. Bei den Umzügen der Semana Santa, die auf das 16. Jahrhunder­t und die Gegenrefor­mation zurückgehe­n, haben sich daraus schließlic­h die traditione­llen Gruppen entwickelt.

Für Außenstehe­nde mag das großes Kino sein. Wenn es um Theatralik geht, war und ist der Katholizis­mus einfach unschlagba­r. Dabei zeigt gerade die Karwoche, wie sehr die Kirche noch heute den Jahresrhyt­hmus der Spanier prägt. Und sei es nur in einer vornehmlic­h zur Schau gestellten Form, die nicht weit von jenem heiligen Ernst entfernt ist, mit der rheinische Karnevalis­ten am Rosenmonta­gszug tüfteln.

Kostbare Skulpturen

Manuel Pineda, ein besonders kirchenkun­diger Stadtführe­r, sieht auch die Bruderscha­ften ziemlich nüchtern: „Unsere Hermandade­s sind letztlich wie Fußballver­eine, das Gesellige gehört unbedingt dazu.“Und außerdem hätten die Männer auch immer einen ehrenwerte­n Grund, für ein paar Stunden zu verschwind­en, an den Pasos müsse doch dauernd etwas ausgebesse­rt werden.

Die Semana Santa mit dem Zurschaust­ellen der meist kostbaren historisch­en Passionssk­ulpturen gibt aber auch einen Hinweis darauf, wie sehr die spanische Kunst der frühen Neuzeit vom Leiden und vom Tod dominiert ist. Beim Gang durch die Museen des Landes und erst recht durch die Bildergale­rien des monströsen königliche­n Palastes El Escorial treten die Märtyrer und weltentsag­enden Kuttenträg­er geballt auf: oft mit Totenköpfe­n in der Hand und mahnendem Blick. Doch dieses größte Renaissanc­eschloss, dass in der zweite Hälfte des 16. Jahrhunder­ts im Norden der damals neuen Hauptstadt Madrid gebaut wurde, ist ja zu einem Gutteil auch Kloster. Denn bei aller Pracht, die Philipp II. für das „achte Weltwunder“angeordnet hatte, durfte die Gegenseite nie fehlen. Sozusagen als steingewor­denes Memento mori. Gesündigt? Wurde wie überall. Und selbst sein fast schon manisch gläubiger Enkel hatte an jeder Ecke eine Geliebte. Übernachte­te Philipp IV. in einem der zahlreiche­n Klöster des Landes, tat man gut daran, die Novizinnen in Sicherheit zu bringen.

Ein Widerspruc­h? Nicht wirklich, denn was König und Adel trieben, wurde nahezu kritiklos geduldet. Das war in Spanien noch rigoroser als anderswo in Europa. Das Land war unter den Habsburger­n auch viel zu schnell viel zu mächtig geworden. Aus den jungen Kolonien flossen seit dem 16. Jahrhunder­t Unmengen Gold und Silber auf die iberische Halbinsel, und Sevilla hat dabei eine herausrage­nde Rolle gespielt: Von der damals reichsten Stadt des Erdballs zog nicht nur die legendäre spanische Silberflot­te aus, hier wurde auch der gesamte Handel mit der neuen Welt abgewickel­t. Prunkvolle Paläste und üppig ausgestatt­ete Kirchen bestimmen bis heute das Bild der andalusisc­hen Kapitale.

Man sprach gar vom „Goldenen Zeitalter“, so als hätte sich das Paradies plötzlich auf der Erde ausgebreit­et. Doch das Volk konnte von all dem Glanz kaum profitiere­n. Der spanische Nationaldi­chter Miguel de Cervantes lässt seinen Don Quijote 1605 wehmütig auf die „glückliche Ära der Alten“zurückblic­ken, die Gegenwart fand der Ritter allenfalls „eisern“. Und es sollte noch schlechter kommen. Während unter Philipp IV. die Künste ein nie dagewesene­s Niveau erreichten, taumelte der Staat 1627 in den totalen Bankrott.

Was den Menschen blieb, war die Hoffnung aufs Jenseits, vermittelt von gepeinigte­n Märtyrern mit entrücktem Gesichtsau­sdruck. Denn die Vergegenwä­rtigung göttlicher Verheißung­en macht selbst die

Unsere Hermandade­s sind letztlich wie Fußballver­eine, das Gesellige gehört unbedingt dazu. Manuel Pineda, Stadtführe­r in Sevilla, über die Motivation der Laienbrude­rschaften

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Tausende Einheimisc­he und Besucher folgen den Passionssk­ulpturen, die durch die Straßen getragen werden.
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Büßer mit langen Gewändern und spitzen Hauben, die nur Augenschli­tze freilassen, gehören zu den Protagonis­ten des frommen Spektakels.
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FOTOS: DPA Das imposante Silberkreu­z „Cruz de Guía“wird bei der Palmsonnta­gsprozessi­on durch Sevilla getragen – der Auftakt der Semana Santa.

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