Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Semana Santa
furchtbarsten Qualen erträglich. Das war die Durchhaltebotschaft, die von dieser Kunst ausging. Und je realistischer sie gelang, umso leichter fiel das Mitleiden. Grausam klaffen die Wunden Christi, und übers Gesicht der Mater dolorosa rinnen glitzernde Kunstharztränen, die von echten kaum zu unterscheiden sind. Das gibt es so in keiner anderen Kunstlandschaft, die Meister solcher Skulpturen heißen Juan Martínez Montañéz oder Gregorio Fernández. Und in diesem Umkreis entstanden zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch die Prototypen für die Passionsfiguren der Bruderschaften.
Mehrere hundert Kilo schwer sind diese Pasos, die noch in den 1970er-Jahren von angeheuerten Hafenarbeitern geschleppt wurden. Mittlerweile ist man aber wieder stolz, sich als „Costelaro“, also als Träger, völlig zu verausgaben – dabei tut man immerhin Buße. Und eine Prozession kann bis zu fünfzehn Stunden dauern, gerade in der wichtigsten Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag, wenn sich die Hermandades oder Cofradías mit so klangvollen Namen wie „El Gran Poder“, „Los Gitanos“oder „La Macarena“von der eigenen Pfarrkirche zur Kathedrale Santa María bewegen und Scharen von Zuschauern folgen.
Gefeierter Barockmaler
Die Umzüge waren allerdings nicht immer so populär. Noch in den 1930er-Jahren konnte man die Prozessionen in Cádiz, Málaga, Valladolid und selbst in Sevilla an einer Hand abzählen, und erst nach der Militärdiktatur Francos erfuhr die Semana Santa wieder eine Blütezeit. Sie hat übrigens den vom Aussterben bedrohten Berufsgruppen wie Goldund Silberstickern, Kunstschnitzern und Kerzenziehern volle Auftragsbücher beschert. Überhaupt profitieren die Wirtschaft und vor allem der Tourismus vom vorösterlichen Schauspiel. Und in diesem Jahr werden es in Sevilla noch einige Gäste mehr, die Stadt feiert den 400. Geburtstag ihres großen Sohnes Bartolomé Esteban Murillo.
Mädchenhafte Marien und mildtätige Heilige waren die Spezialität des Barockmalers, und mit ihnen kam um 1650 eine neue Eleganz, ja Leichtigkeit in die Malerei. Murillos Figuren werden von einem weichen Licht umspült, die Farben flirren, das bildet ein duftiges Gegenprogramm zur Düsterkeit der Passion. Das dürfte jetzt während der Semana Santa noch ein bisschen mehr ins Auge fallen. Wobei man eines nicht vergessen darf: Nach den Prozessionen wird gefeiert, die Büßer tun das nach ihrem kraftraubenden Einsatz sogar besonders ausgelassen. Andernfalls würden nicht jedes Jahr unzählige Laienbrüder durch die Gassen ziehen – wenn die Trommeln wummern und die Trompeten tröten. Ein tiefes, durchaus weltliches Vergnügen muss da schon dabei sein. Semana Santa ist der spanische Begriff für die Karwoche, genannt die heilige Woche, die von Palmsonntag bis Ostersonntag dauert. Die üppigen Feierlichkeiten der Semana Santa sind vor allem typisch für Andalusien, besonders für die Städte Sevilla, Granada, Córdoba, Cádiz, Málaga und Toledo. Auch in anderen Regionen Spaniens, in Lateinamerika und zum Teil in Italien werden in dieser Woche Prozessionen und zum Teil ganz eigene katholische Traditionen zelebriert.