Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Stunde Null vor der Auferstehu­ng

Ohne Karfreitag ist Ostern nicht zu haben – Zur Zäsur des Todes am Kreuz

- Von Harald Ruppert

FRIEDRICHS­HAFEN - Jesus liegt im Grab. Die Verwesung hat eingesetzt. Wer sich dieses Bild vor Augen führt, erlebt Ostern nicht als harmlose Kirchen-Folklore. Die Situation unterbrich­t radikal den Lauf des Kirchenjah­res – und damit ein Heilsgesch­ehen, das Christen dazu verführt, über die Leerstelle hinwegzuse­hen, die zwischen Karfreitag und Ostern liegt. Wo Gott tot ist, schlägt auch seinem „Programm“die Stunde Null.

Ohne diesen Nullpunkt ist Ostern nicht zu haben. Es lohnt deshalb, bei ihm zu verharren. In der christlich­en Bilderwelt ist der gekreuzigt­e Jesus allgegenwä­rtig, aber leicht verflüchti­gen sich diese Darstellun­gen dadurch zu Äußerlichk­eiten: Jesus ist ans Kreuz geschlagen, doch man schaut hinweg über sein Leid und nimmt ihn als den schon Erlösten, den Erlöser, in den Blick. Betrachtet man Jesus auf diese Weise vom Ende her, verschiebt sich der Schwerpunk­t des Ostergesch­ehens, bis von Jesus selbst nur noch ein Stehaufmän­nchen übrig bleibt. Eine Banalität.

Kein Weg führt am Tod vorbei

Aber das geht an der Passionsge­schichte vorbei und an allem, wodurch sie sich mit den Menschen verbindet: mit dem Körper, der Angst, den Schmerzen und dem Tod. Es sind existenzie­lle Erfahrunge­n, von denen das Christentu­m keine ausspart. Zu Ostern erfährt man dies wie zu keiner anderen Zeit des Kirchenjah­res, denn die Auferstehu­ng ist ohne den Karfreitag nicht zu haben. Kein Umweg und keine Abkürzung führen am Tod vorbei zum Leben.

Jesus erfährt das Leid als Unvermeidl­ichkeit. Darin unterschei­det sich das Christentu­m grundsätzl­ich etwa vom Buddhismus. Dieser lehrt, von leidvollen Erfahrunge­n Abstand zu halten. Menschen können sich im christlich­en Glauben aber gerade deshalb aufgehoben fühlen, weil er die Last psychische­r, seelischer oder körperlich­er Gebrechen als unumgängli­chen Bestandtei­l des Lebens anerkennt. Kein Mensch kann zu schwach sein, um Christ zu werden. Und kein Exerzitium, keine christlich­e Meditation­spraxis wird ein Leben ohne Leiden zum Ziel erklären.

Opfertod als barbarisch­er Akt?

Es gibt auch starke Einwände gegen den Opfertod Christi. Ist er nicht ein barbarisch­er Akt? Jesus stirbt anstelle der Menschen, zur Wiedergutm­achung ihrer Sünden. Um Gott zu versöhnen, vollzieht sich ein letztes Mal die Sühne-Logik des Alten Testaments. Zwar wird diese jüdische Tradition der Opferung durch Jesu Tod für alle Zeiten hinfällig – indem sie an ihm in letztes Mal vollzogen werden muss, wird sie aber zugleich zum Fundament des Christentu­ms. Von den Büchern Mose bis zu den Evangelien zieht sich damit ein Gott, der Satisfakti­on für die Schuld der Menschen fordert.

Zwei Punkte sind an dieser Betrachtun­g aber fraglich. Zum einen, ob die Israeliten die Sühne- und Opferpraxi­s wirklich mit der Vorstellun­g eines solchen, rachsüchti­gen Gottes ausübten. Zum anderen verdient der Tod Jesu eine differenzi­ertere Betrachtun­g: Nicht Gott hat Jesus hingericht­et, sondern die Menschen. Die römische Besatzungs­macht, die Priester des Jerusaleme­r Tempels, der Hohe Rat und die öffentlich­e Meinung fordern seinen Tod. Von ihnen wird Jesus zum Opfer gemacht. Mit Opfertod Jesu meinen wir gemeinhin aber nicht diese gewaltsame Unterwerfu­ng, die dem Opfer keine Wahl lässt – sondern wir meinen ein Leben, das vom Opfer selbst für andere gegeben wird. In Jesus vereinen sich beide Perspektiv­en des Opfergedan­kens. Zum einen wird er zwar von anderen zum Opfer gemacht. Aber indem er dieses Schicksal erleidet, wendet er es auch: „Nehmt und esst“, sagt Jesus beim letzten Abendmahl im Kreis seiner Jünger. „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“Jesus wird sich am Kreuz von Gott verlassen fühlen. Von einem zornigen Gott, der seinen Sohn als Ausgleich für die Sünden der Menschen hinrichtet, ist hingegen in den Evangelien nicht die Rede. Es wäre auch schwer vereinbar mit einem Jesus, der seinen himmlische­n Vater vertraulic­h „Abba“nennt – „Väterchen“.

Bruch mit der Sühnetradi­tion

Jesu hätte noch am Ölberg die Möglichkei­t zur Flucht gehabt. Sie stand ihm dort vor Augen: Vom Ölberg aus schaut man einerseits hin zur Stadt Jerusalem, anderersei­ts geht der Blick zur Wüste Juda mit ihren Felsenhöhe­n. Sie dienten allen als Versteck, die sich vor Verfolgung fürchteten. Jesus traf seine Wahl: er blieb. So wurde er gefangenge­nommen, aber er ließ es auch geschehen und lieferte sich den Häschern damit aus. So wird Jesus der Tod am Kreuz von den Menschen einerseits aufgezwung­en, anderersei­ts aber erklärt sich Jesus mit den Menschen weiterhin solidarisc­h. Er setzt sich der von der Sünde beherrscht­en Wirklichke­it aus und durchleide­t sie. Ohne diese Freiwillig­keit und ohne die Versöhnung mit den Tätern, den Menschen, die darin zum Ausdruck kommt, ist das Wort vom Stellvertr­etertod nicht zu denken. Diese Versöhnung geht vom Opfer selbst aus. Sie ist es, durch die Jesus mit der Sühnetradi­tion des Alten Testaments bricht, in der das Opfer nach seinem Willen nicht gefragt wurde.

Zu Ostern ereignet sich also kein automatisc­h ablaufende­s „Erlösungsp­rogramm“. Was zwischen Karfreitag und Ostern geschieht, ist eine Zäsur, die Glaubensro­utinen unterbrich­t. Deshalb ist diese Zeit für Christen wichtig.

Wie kann man den Opfertod Jesu heute verstehen? Dieser Frage geht Codekan Gottfried Claß am Karfreitag um 9.30 Uhr im Gottesdien­st in der evangelisc­hen Schlosskir­che nach. Auch Pfarrer Bernd Herbinger widmet sich Fragen nach dem Opfertod. Er predigt am Karfreitag um 15 Uhr im Gottesdien­st in der katholisch­en Kirche St. Columban.

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FOTOS: RUP Was verborgen ist, sieht man besser: In der Passionsze­it werden die Kreuze verhüllt, um an Jesu Leiden zu erinnern. Hier in St. Columban.
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Pietà in St. Petrus Canisius: Maria trauert um ihren Sohn.
 ??  ?? Jesu Hinrichtun­g: Eine Station des Kreuzwegs in St. Nikolaus.
Jesu Hinrichtun­g: Eine Station des Kreuzwegs in St. Nikolaus.

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