Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Stunde Null vor der Auferstehung
Ohne Karfreitag ist Ostern nicht zu haben – Zur Zäsur des Todes am Kreuz
FRIEDRICHSHAFEN - Jesus liegt im Grab. Die Verwesung hat eingesetzt. Wer sich dieses Bild vor Augen führt, erlebt Ostern nicht als harmlose Kirchen-Folklore. Die Situation unterbricht radikal den Lauf des Kirchenjahres – und damit ein Heilsgeschehen, das Christen dazu verführt, über die Leerstelle hinwegzusehen, die zwischen Karfreitag und Ostern liegt. Wo Gott tot ist, schlägt auch seinem „Programm“die Stunde Null.
Ohne diesen Nullpunkt ist Ostern nicht zu haben. Es lohnt deshalb, bei ihm zu verharren. In der christlichen Bilderwelt ist der gekreuzigte Jesus allgegenwärtig, aber leicht verflüchtigen sich diese Darstellungen dadurch zu Äußerlichkeiten: Jesus ist ans Kreuz geschlagen, doch man schaut hinweg über sein Leid und nimmt ihn als den schon Erlösten, den Erlöser, in den Blick. Betrachtet man Jesus auf diese Weise vom Ende her, verschiebt sich der Schwerpunkt des Ostergeschehens, bis von Jesus selbst nur noch ein Stehaufmännchen übrig bleibt. Eine Banalität.
Kein Weg führt am Tod vorbei
Aber das geht an der Passionsgeschichte vorbei und an allem, wodurch sie sich mit den Menschen verbindet: mit dem Körper, der Angst, den Schmerzen und dem Tod. Es sind existenzielle Erfahrungen, von denen das Christentum keine ausspart. Zu Ostern erfährt man dies wie zu keiner anderen Zeit des Kirchenjahres, denn die Auferstehung ist ohne den Karfreitag nicht zu haben. Kein Umweg und keine Abkürzung führen am Tod vorbei zum Leben.
Jesus erfährt das Leid als Unvermeidlichkeit. Darin unterscheidet sich das Christentum grundsätzlich etwa vom Buddhismus. Dieser lehrt, von leidvollen Erfahrungen Abstand zu halten. Menschen können sich im christlichen Glauben aber gerade deshalb aufgehoben fühlen, weil er die Last psychischer, seelischer oder körperlicher Gebrechen als unumgänglichen Bestandteil des Lebens anerkennt. Kein Mensch kann zu schwach sein, um Christ zu werden. Und kein Exerzitium, keine christliche Meditationspraxis wird ein Leben ohne Leiden zum Ziel erklären.
Opfertod als barbarischer Akt?
Es gibt auch starke Einwände gegen den Opfertod Christi. Ist er nicht ein barbarischer Akt? Jesus stirbt anstelle der Menschen, zur Wiedergutmachung ihrer Sünden. Um Gott zu versöhnen, vollzieht sich ein letztes Mal die Sühne-Logik des Alten Testaments. Zwar wird diese jüdische Tradition der Opferung durch Jesu Tod für alle Zeiten hinfällig – indem sie an ihm in letztes Mal vollzogen werden muss, wird sie aber zugleich zum Fundament des Christentums. Von den Büchern Mose bis zu den Evangelien zieht sich damit ein Gott, der Satisfaktion für die Schuld der Menschen fordert.
Zwei Punkte sind an dieser Betrachtung aber fraglich. Zum einen, ob die Israeliten die Sühne- und Opferpraxis wirklich mit der Vorstellung eines solchen, rachsüchtigen Gottes ausübten. Zum anderen verdient der Tod Jesu eine differenziertere Betrachtung: Nicht Gott hat Jesus hingerichtet, sondern die Menschen. Die römische Besatzungsmacht, die Priester des Jerusalemer Tempels, der Hohe Rat und die öffentliche Meinung fordern seinen Tod. Von ihnen wird Jesus zum Opfer gemacht. Mit Opfertod Jesu meinen wir gemeinhin aber nicht diese gewaltsame Unterwerfung, die dem Opfer keine Wahl lässt – sondern wir meinen ein Leben, das vom Opfer selbst für andere gegeben wird. In Jesus vereinen sich beide Perspektiven des Opfergedankens. Zum einen wird er zwar von anderen zum Opfer gemacht. Aber indem er dieses Schicksal erleidet, wendet er es auch: „Nehmt und esst“, sagt Jesus beim letzten Abendmahl im Kreis seiner Jünger. „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird.“Jesus wird sich am Kreuz von Gott verlassen fühlen. Von einem zornigen Gott, der seinen Sohn als Ausgleich für die Sünden der Menschen hinrichtet, ist hingegen in den Evangelien nicht die Rede. Es wäre auch schwer vereinbar mit einem Jesus, der seinen himmlischen Vater vertraulich „Abba“nennt – „Väterchen“.
Bruch mit der Sühnetradition
Jesu hätte noch am Ölberg die Möglichkeit zur Flucht gehabt. Sie stand ihm dort vor Augen: Vom Ölberg aus schaut man einerseits hin zur Stadt Jerusalem, andererseits geht der Blick zur Wüste Juda mit ihren Felsenhöhen. Sie dienten allen als Versteck, die sich vor Verfolgung fürchteten. Jesus traf seine Wahl: er blieb. So wurde er gefangengenommen, aber er ließ es auch geschehen und lieferte sich den Häschern damit aus. So wird Jesus der Tod am Kreuz von den Menschen einerseits aufgezwungen, andererseits aber erklärt sich Jesus mit den Menschen weiterhin solidarisch. Er setzt sich der von der Sünde beherrschten Wirklichkeit aus und durchleidet sie. Ohne diese Freiwilligkeit und ohne die Versöhnung mit den Tätern, den Menschen, die darin zum Ausdruck kommt, ist das Wort vom Stellvertretertod nicht zu denken. Diese Versöhnung geht vom Opfer selbst aus. Sie ist es, durch die Jesus mit der Sühnetradition des Alten Testaments bricht, in der das Opfer nach seinem Willen nicht gefragt wurde.
Zu Ostern ereignet sich also kein automatisch ablaufendes „Erlösungsprogramm“. Was zwischen Karfreitag und Ostern geschieht, ist eine Zäsur, die Glaubensroutinen unterbricht. Deshalb ist diese Zeit für Christen wichtig.
Wie kann man den Opfertod Jesu heute verstehen? Dieser Frage geht Codekan Gottfried Claß am Karfreitag um 9.30 Uhr im Gottesdienst in der evangelischen Schlosskirche nach. Auch Pfarrer Bernd Herbinger widmet sich Fragen nach dem Opfertod. Er predigt am Karfreitag um 15 Uhr im Gottesdienst in der katholischen Kirche St. Columban.