Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Älteste Flaschenpo­st weckt Familienge­schichte

Andreas Schiff kennt die Hintergrün­de zur 132 Jahre alten Nachricht, die in Australien gefunden wurde

- Von Harald Ruppert

ERISKIRCH - Als Andreas Schiff Anfang März zu Hause in Eriskirch die Schwäbisch­e Zeitung aufgeschla­gen hat, holte ihn seine Familienge­schichte ein: An einem Strand an der Westküste Australien­s wurde eine Flaschenpo­st gefunden. Fast 132 Jahre, nachdem sie in den Indischen Ozean geworfen worden war. Und zwar von einem Schiff namens „Paula“, das im norddeutsc­hen Elsfleth bei Oldenburg seinen Heimathafe­n hatte – und dessen Reeder sein Urgroßvate­r war.

Elsfleth? Paula? Andreas Schiff blätterte in seinem privaten Archiv und hatte rasch Gewissheit: Die „Paula“war jener hölzerne Dreimastse­gler, den sein Urgroßvate­r Gustav Adolph in Auftrag gegeben hatte. Gustav Adolph Schiff war Reeder in Elsfleth. „Dort lebten etwa 5000 Einwohner, also auch nicht mehr als in Eriskirch“, sagt Andreas Schiff. Trotzdem hatten nur Hamburg und Bremen mehr Schiffe als in ihren Heimathafe­n. Elsfleth an der Unterweser war der drittgrößt­e Hafen Deutschlan­ds.

Eigentümer der Schiffe waren die Menschen vor Ort. „Es war nie eine einzelne Person, der ein Schiff gehörte. Wegen des Risikos“, erklärt Andreas Schiff. „Schiffe gingen verscholle­n oder sie sanken. Deshalb hatte der Einzelne ein Sechzehnte­l oder ein Zweiunddre­ißigstel eines Schiffs.“Der Betrieb war dann Sache des Reeders: Er stellte den Kapitän ein, organisier­te Frachtwege und Warenverke­hr. Ohne ihn blieb ein Schiff totes Kapital.

Die Tante malte in Worpswede

Dass die 43 Meter lange Barke 1876 auf den Namen „Paula“getauft wurde, hatte einen guten Grund: „Paula war das älteste von sieben Kindern meines Urgroßvate­rs. Sie war damals fünf Jahre alt“, berichtet Andreas Schiff. Paula Sedana Schiff wurde später Malerin. Ein Bild verkaufte sie nie, aber sie war auch keine Sonntagsma­lerin. Sie ging für ihre Ausbildung unter anderem nach Worpswede und lernte Paula Modersohn-Becker kennen.

Mehrere hundert Ölgemälde und Aquarelle sind erhalten. Bäuerinnen und Bauernstub­en hielt sie fest, aber auch Netzflicke­rinnen, Berglandsc­haften und Backsteink­irchen. Diese expression­istischen Bilder erfahren seit einigen Jahren eine späte Wertschätz­ung. „Ihre Bildhauere­i ging leider vollständi­g verloren“, sagt Andreas Schiff. Seine Großtante starb mit 90 Jahren in Mülheim an der Ruhr.

Andreas Schiff hat seinen 1914 verstorben­en Urgroßvate­r nie kennengele­rnt. Die Schifffahr­t blieb für die Familie aber prägend. „Mein Vater hat auf einer Werft gearbeitet. Da haben wir uns als Kinder oft aufgehalte­n. Mein Großvater war auf dieser Werft der Vorgänger meines Vaters. Und mein Bruder ist Schiffbaui­ngenieur.“Andreas Schiff selbst ist in einer anderen Branche: Er ist Elektroing­enieur und gründete in Tettnang das Unternahme­n ICS, die auf Automatisi­erungstech­nik spezialisi­ert ist. Den Segelschei­n hat allerdings auch er, ebenso wie seine beiden Kinder.

Ein großer Erfolg war die seinerzeit groß angelegte Flaschenpo­stAktion übrigens nicht. Die Deutsche Seewarte in Hamburg wollte mit ihrer Hilfe herausfind­en, wie die Meeresströ­mungen verlaufen. Dazu nutzte sie den Handelsver­kehr: Von Schiffen wie der „Paula“gingen insgesamt 6000 Flaschen über Bord, jede an einer vorgegeben­en Position. Diese geographis­che Angabe wurde auf dem Zettel in der Flasche vermerkt. Ebenso das Datum, der Name des Schiffs sowie der Name desjenigen, der die Flasche ausbrachte. Von 6000 Flaschen wurden erst 663 wiedergefu­nden – zuletzt die Flasche von der „Paula“.

Dampfer verdrängen Segelschif­fe

Die „Paula“segelte mit einem Dutzend Personen. „Kapitän, Steuermann, Schiffszim­mermann, Segelmache­r, Koch – der Rest war Besatzung“, erzählt Andreas Schiff. Das Leben an Bord war nicht ganz einfach. „Die mussten miteinande­r klarkommen. Sie waren ja oft mehrere Monate auf See, ohne Verbindung zur Außenwelt.“Gustav Adolph Schiff hat die „Paula“nach 14 Jahren Betrieb nach Frankreich verkauft. 1900 wurde sie auf Guadeloupe außer Betrieb genommen.

Für die Reederei gingen langsam die Lichter aus: Dampfschif­fe verdrängte­n die Segelschif­fe. Zwar hatten die Elsflether einen Dampfer gekauft und betrieben. Aber die Technik war noch so unzuverläs­sig, dass sie es bei dieser einen schlechten Erfahrung beließen und so den Anschluss verpassten. 1907 wurde die Reederei liquidiert.

Die Flaschenpo­st von der „Paula“lagert jetzt im Western Australian Museum. So weit will Andreas Schiff aber dann doch nicht reisen, um sie zu sehen: „Ich habe mich einfach gefreut, dass durch die Flaschenpo­st meine Erinnerung­en wieder wach geworden sind.“

 ?? FOTOS: RUP/SCHIFF/DPA ?? Ohne die Vorfahren von Andreas Schiff wäre die deutsche Flaschenpo­st, die jetzt in Australien gefunden worden ist, nie ins Wasser gelangt. Sein Urgroßvate­r Gustav Adolph Schiff (rechts oben, mit seiner jungen Frau Charlotte) war Reeder des deutschen...
FOTOS: RUP/SCHIFF/DPA Ohne die Vorfahren von Andreas Schiff wäre die deutsche Flaschenpo­st, die jetzt in Australien gefunden worden ist, nie ins Wasser gelangt. Sein Urgroßvate­r Gustav Adolph Schiff (rechts oben, mit seiner jungen Frau Charlotte) war Reeder des deutschen...
 ?? FOTO: DPA ?? Eine Spaziergän­gerin entdeckt an einem Strand an Australien­s Westküste die Flasche mit Nachricht, die 1886 von der „Paula“in den Indischen Ozean geworfen worden war, also vor 132 Jahren. Damit handelt es sich um die älteste Flaschenpo­st der Welt – und...
FOTO: DPA Eine Spaziergän­gerin entdeckt an einem Strand an Australien­s Westküste die Flasche mit Nachricht, die 1886 von der „Paula“in den Indischen Ozean geworfen worden war, also vor 132 Jahren. Damit handelt es sich um die älteste Flaschenpo­st der Welt – und...

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