Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Krankenhausbudget verbraucht
Witwe kritisiert Pflege am Klinikum Friedrichshafen.
FRIEDRICHSHAFEN - „Sie haben jetzt 100 000 Euro des Krankenhausbudgets verbraucht und müssen in eine Pflegeeinrichtung.“Dieser Satz verfolgt Ingrid Wolf noch heute in ihren Träumen. Wenn sie dann schweißgebadet aufwacht, ist die Situation von damals sofort wieder präsent – ein Dreivierteljahr, nachdem eine Ärztin im Klinikum Friedrichshafen ihren Mann Günter mit dieser Aussage konfrontiert haben soll. Dass ihr Mann im Alter von 79 Jahren an Hepatitis E erkrankte und an den Folgen schließlich starb, hat Ingrid Wolf mittlerweile akzeptiert und damit abgeschlossen. Herbe Kritik übt sie aber an den Begleitumständen seines Krankenhausaufenthaltes.
Wer sich in und um Friedrichshafen mit Leichtathletik beschäftigt, dem ist der Name Günter Wolf ein Begriff. Etwas überspitzt formuliert, könnte man sagen, dass es Günter Wolf war, der Friedrichshafen zum Laufen gebracht hat. Ob als Aktiver, Trainer oder Organisator – der Sport war bis zum Schluss sein Leben. Das Laufen, das Wandern, das Tennisspielen. Krank sei ihr Mann nie gewesen, sagt Ingrid Wolf. Bis zum Juni 2017.
Kein Wirkstoff gegen Hepatitis E
Nach einer Reise nach Krakau verfärbt sich seine Haut gelb, er bekommt Probleme mit dem Schlucken, fühlt sich schlapp. Die im Krankenhaus gestellte Diagnose: Hepatitis. Nach einer Woche ist auch der Typ der Leberentzündung klar: Günter Wolf hat sich mit Hepatitis E infiziert, laut ärztlicher Vermutung wahrscheinlich an einem Stück Schweinefleisch, das nicht komplett durchgegart war. Nachdem sich die Symptome zu Hause nicht bessern, wird Wolf erneut stationär im Klinikum Friedrichshafen aufgenommen. Da es keinen Wirkstoff gegen Hepatitis E gibt, geht es vor allem darum, die Symptome zu mildern und auf Besserung zu hoffen. In den meisten Fällen ist die Krankheit nach etwa drei Wochen überstanden. Nicht so bei Günter Wolf. Im Gegenteil: Sein Zustand verschlechtert sich. Eine Biopsie ergibt, dass nur noch ein Drittel seiner Leber funktioniert. „Die Ärzte meinten, dass die Leber bereits vorher geschädigt war“, erzählt Ingrid Wolf.
Nach fünf Wochen ohne Besserung habe eine Ärztin ihrem Mann gesagt, dass „ein normaler Mensch mit dieser Krankheit bereits tot wäre“. Er müsse kämpfen. Bei seiner Konstitution könne sich die Leber im besten Fall von selbst regenerieren. „Draußen auf dem Flur hat die Ärztin zu mir gesagt, dass mein Mann eigentlich eine Spenderleber bräuchte, diese angesichts seines Alters aber nicht erhalten werde“, erzählt Ingrid Wolf. Nach zwölf Wochen ohne Besserung schließlich dieser Satz: „Sie haben jetzt 100 000 Euro des Krankenhausbudgets verbraucht und müssen in eine Pflegeeinrichtung.“Fünf Tage später stirbt Günter Wolf.
Medizinische Vorwürfe macht seine Witwe dem Klinikum nicht. Doch dieser Satz treibt ihr noch heute die Tränen in die Augen. „Das macht man einfach nicht. Das ist unverschämt“, sagt sie, verweist darauf, dass ihr Mann 65 Jahre lang Krankenkassenbeiträge bezahlt habe, dass wir in Deutschland in einer Solidargemeinschaft leben – und darauf, dass laut Grundgesetz die Würde des Menschen unantastbar ist. Als unwürdig empfindet Ingrid Wolf aber nicht nur diesen einen Satz, für den sich die Ärztin mittlerweile entschuldigt hat, sondern generell die Art und Weise, wie man ihren Mann und andere Patienten im Krankenhaus versorgt beziehungsweise eben nicht versorgt habe.
In den ganzen Wochen sei ihr Mann vom Pflegepersonal nur ein einziges Mal geduscht worden. Auf ihre Bitte hin, ihn ein weiteres Mal zu duschen, habe man ihr gesagt, dass sie dies ja selbst tun könne. Nur zwei Mal habe man ihrem Mann geholfen aufzustehen, um ein paar Schritte zu gehen. Die anfängliche Physiotherapie sei überhaupt nicht auf die Bedürfnisse ihres Mannes abgestimmt gewesen, habe lediglich darin bestanden, ab und zu Arme und Beine im Liegen etwas zu bewegen. „Mein Mann war sein ganzes Leben in Bewegung. Wenn er ein paar Schritte gehen durfte, war er glücklich“, sagt Wolf.
Keine Spenderleber
Insbesondere ab freitagmittags sei die Station personell dermaßen dünn besetzt gewesen, dass sie ihren Mann zumeist selbst versorgt habe. Und nicht nur ihn, sondern häufig auch den Bettnachbarn, dem sie nicht nur einmal die Spucktüte gehalten, den Mund abgewischt und beim Essen geholfen habe. Einmal, als sie nach einer solchen Situation ins Schwesternzimmer gegangen sei, um Unterstützung zu erbitten, habe es geheißen, es sei jetzt Mittagspause. Eine Zeit lang habe ihr Mann sich das Zimmer mit zwei anderen schwer kranken Patienten teilen müssen, obwohl nebenan zwei Zimmer leer gestanden hätten. „Mein Mann ist jedes Wochenende ein Stück mehr gestorben“, sagt Ingrid Wolf. Und sie ist überzeugt davon, dass ihr Mann auch aufgrund dieser Begleitumstände den Kampf letztlich aufgegeben hat.
Dass er angesichts seines Alters keine Spenderleber bekommen hat, könne sie nachvollziehen, sagt Wolf. Diese Begleitumstände und vor allem diese eine Aussage will sie aber nicht kommentarlos akzeptieren. An die Schwäbische Zeitung hat sie sich auch deshalb gewandt, um öffentlich eine Frage zu stellen: „Wie viel Budget steht einem Menschen eigentlich zu?“