Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Felchenlarven lassen sich einfach fressen
Jungfische zeigen im Labor kein Fluchtverhalten - Bestand der Stichlinge im Bodensee steigt rasant an
FRIEDRICHSHAFEN - Der Bestand von Stichlingen im Bodensee steigt derzeit rasant an. Das geht aus einer Studie der Fischereiforschungsstelle Langenargen hervor. Gleichzeitig leben immer weniger Felchen im Bodensee – zwischen beidem könnte ein Zusammenhang bestehen.
Das Regierungspräsidium der Fischbrutanstalt hat jetzt den Prüfauftrag erteilt festzustellen, ob es Kapazitäten und Möglichkeiten gebe, die Felchenlarven zu einem späteren Zeitpunkt auszubringen. Dann wären die Larven zu groß, um von den Stichlingen gefressen zu werden. Der Leiter der Fischbrutanstalt, Eckhard Dossow, hält gar nichts davon. Alexander Brinker, Leiter der Fischereiforschungsstelle in Langenargen, hatte bereits im vergangenen Jahr erste Untersuchungsergebnisse vorgelegt, die er zusammen mit seinen Kollegen Roland Rösch und Jan Baer in einer wissenschaftlichen Studie veröffentlicht hat.
Darin weist er nach, dass mit dem explosionsartigen Anstieg der Stichlingsbestände die Zahl der Felchenlarven und -jungfische dramatisch zurückgegangen ist. Untersuchungen im Labor haben nicht nur gezeigt, dass die Felchen keinerlei Fluchtverhalten zeigen und sich einfach fressen lassen, sondern auch, dass die Anzahl der Felchenlarven, die sich in den Mägen der Stichlinge finden, nach dem Ausbringen der Fischbrut erheblich ansteigt. Es scheint, als würde die Fischbrutanstalt die Stichlinge füttern, statt die Felchenbestände stabil zu halten. Als mögliche Gründe für die unnatürliche Invasion der Stichlinge nennen Brinker und seine Kollegen drei Annahmen, die man wissenschaftlich aber noch nicht abschließend bestätigen kann. Es könnte sein, dass der Stichling durch das ebenso unnatürliche Auftreten der Süßwasserschwebgarnele eine Umweltbedingung vorfindet, die das Explodieren seiner Bestände begünstigt. Den genauen Zusammenhang untersuchen die Forscher noch.
Eine andere Variante ist die Annahme, dass es sich bei den heute im Bodensee lebenden Stichlingen um eine genetisch veränderte Art handelt. Diese nutzt die geänderten Lebensräume und Umweltbedingungen. Der Klimawandel spiele dabei eine große Rolle.
Die dritte Erklärung: „Wir könnten selbst schuld sein“, sagt Brinker. Weil die Stichlinge durch die ausgebrachte Felchenbrut gefüttert werden und die Neozoen, das sind nicht natürlich in diesem Lebensraum vorkommende Organismen, damit sehr gute Entwicklungs- und Verbreitungsbedingungen geliefert bekommen. Und genau das sollen die Fischbrutanstalten rund um den See jetzt untersuchen. Hintergrund ist ein Antrag der Berufsfischer an die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF). Damit soll erreicht werden, dass die Felchen erst mit einer Größe von vier Zentimetern ausgesetzt werden, damit die Stichlinge die Larven an denen sieben Institute beteiligt sind. Es läuft noch bis Juni 2022 und ist mit 5,65 Millionen Euro budgetiert. Klimawandel und die Einwanderung gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten gefährden potenziell die natürliche Biodiversität. Dies könne zu Änderungen im Nahrungsnetz führen und die Funktionsweise des Ökosystems Bodensee beeinflussen, so die Wissenschaftler. Sinkende Fischfangerträge und die Ausbreitung gebietsfremder Muschelarten nicht mehr fressen. Aufgrund der Anfrage, die die Fischer bei der IBKF gestellt haben, hat die Brutanstalt von den Ländern den Prüfauftrag erhalten. Eckhard Dossow lehnt ein späteres Ausbringen der Brut allerdings ab. Zum einen gebe es noch keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse über einen Zusammenhang des Ausbringens der Larven mit dem Ansteigen der Stichlingspopulation. Zum anderen sei es ein „sehr hoher Aufwand, die Fische bis vier Zentimeter Größe aufzuziehen“. Dafür sei nicht ausreichend Futter vorhanden. Versuche mit Trockenfutter seien misslungen.
Im Mai werden die Länder, und im Juni die IBKF informiert. Dann wird diese Angelegenheit auch entschieden werden. sind nur zwei der wichtigen Probleme des Sees. Heute gibt es mehr als 37 gebietsfremde Arten im Bodensee, schreiben die Projektbetreiber.
Ziel des Projektes mit dem Namen „Seewandel“ist, zu untersuchen, welche Bedeutung Nährstoffrückgang, Klimawandel, gebietsfremde Arten und andere Stressfaktoren für das Ökosystem, seine Biodiversität und Funktionsweise, sowie die menschliche Nutzung am Bodensee haben. (ras)