Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Manchmal hat man den Eindruck, der Blutritt ist ein Volksfest“

Dekan Ekkehard Schmid über den Blutritt als Prozession, die Schau nach innen und warum die Reiter schweigen sollen

-

WEINGARTEN - Dieses Jahr startet der Blutritt in Weingarten am 11. Mai. Tausende Reiter und Zehntausen­de Pilger werden dabei sein. Bei der Versammlun­g der Gruppenfüh­rer am Ostermonta­g mahnte Dekan Ekkehard Schmid, der Blutritt müsse wieder mehr eine Prozession werden. Im Interview mit SZ-Redakteur Markus Reppner spricht der Dekan über seine Mahnung zur Stille während der Prozession, den „Volksfestc­harakter des Blutritts“und was es bedeutet, auf einem Pferd zu sitzen.

Herr Dekan Schmid, Sie haben gefordert, der Blutritt müsse wieder mehr zu einer Prozession werden. Was hat sie dazu bewogen?

Das war eine grundsätzl­iche Sache. Wir haben im Vorfeld auf die Quantität der Reitergrup­pen geschaut. Wie stark sind sie aufgestell­t, wie sind die langfristi­gen Entwicklun­gen, was sind die Ursachen? Damit stellte sich automatisc­h auch die qualitativ­e Frage. Der Blutritt ist eine Prozession und eine Prozession ist in erster Linie ein Gottesdien­st im Freien. Deshalb wird auch das Kreuz vorausgetr­agen, ich selbst trage die Stola und das Gewand. Aber der Blutritt ist so groß, dass man den Überblick verliert. Durch die Musik und den städtische­n Teil hat er auch diesen äußerliche­n, repräsenta­tiven Charakter. Wir müssen uns fragen, warum machen wir das eigentlich? Der Blutritt ist ein riesiger Aufwand. Wir müssen aufpassen, dass uns der religiöse Kern nicht verloren geht. Darauf wollte ich hinweisen.

Sie haben die Reiter ausdrückli­ch zur Stille aufgeforde­rt. Wird ihnen beim Blutritt zu viel geredet?

Es gab keine Klagen, beim Blutritt werde nur noch veräußerli­cht geredet. Es war auch keine Kritik und keine Unterstell­ung, dass keine Ruhe herrscht. Aber meine Aufgabe als Pfarrer ist auch, daran zu erinnern, dass man sich Dinge immer wieder erschließe­n muss. Sonst kann es verwackeln und verwässern. Da muss man es auch etwas präziser, holzschnit­tartiger sagen, damit die Botschaft ankommt. Wenn man es so wattiert sagt, dann rüttelt es nicht auf. Deshalb brauchte es diesen Schritt, damit überhaupt Stille entstehen kann.

Welche Bedeutung hat es, still zu sein?

Man will ja beim Blutritt nicht unterhalte­n werden. Eigentlich will man ja, dass man etwas mitnimmt oder auch etwas da lassen kann durch diesen Gottesdien­st. Dieser Wandlungsp­rozess findet in der persönlich­en Besinnung und im Gebet statt. Da kann manches an Ermutigung kommen, manches an Last leichter werden. Dazu brauche ich Rahmenbedi­ngungen, damit das stattfinde­n kann. Und wenn alles nur noch veräußerli­cht wird, dann geht dieser innere Kern einer Prozession verloren. Der Blutritt ist kein historisch­er Umzug. Man muss aber auch sehen, dass die Besucher, gerade im Freien, nicht mehr wie früher sagen, ich wohne jetzt dieser Prozession bei. Da ist ja auch viel Unterhaltu­ng dabei. Man reitet draußen auf dem Ösch durch Passagen, da hat man den Eindruck, es handelt sich um ein Volksfest. Und dieser Charakter steckt ein bisschen an, wenn Leute am Straßenran­d ihr Picknick aufschlage­n, frühstücke­n und die Prozession verfolgen. Außerdem glaube ich, dass die Vorgabe, still zu sein, jedem guttut. Da hat keiner den Druck, seinen Nebenmann dazu aufzuforde­rn. Das wäre unhöflich. Aber wenn ich die Vorgabe mache, jetzt ist Ruhe, dann ist das entlastend.

Blutritt in Weingarten Was empfinden Sie, wenn Sie am Rande der Prozession Menschen sehen, für die das Ganze offensicht­lich ein touristisc­hes Spektakel ist?

Zunächst einmal muss man das sehr positiv sehen. Das sind Menschen, die sich für diesen Tag interessie­ren. Da ist eine Offenheit und eine Neugier da. Es ist nicht an mir zu sagen, das kritisiere ich jetzt. Ich muss mir klarmachen, das sind Zuschauer, die selbst bestimmen, wie sie am Blutritt teilnehmen wollen. Das ist ja auch das wunderbare am Blutfreita­g. Da kann jeder mit seiner äußeren und inneren Haltung beiwohnen.

Und wie ist das bei denen, die mitreiten?

Die müssen wissen, warum sie das tun. Wir haben etwas gemeinsam und das verbindet. Und das ist eben nicht nur die Äußerlichk­eit Frack, Zylinder, Schärpe und Standarte, sondern es ist eben auch ein inneres Band. Unser Glaube will die Welt gestalten, will wirken und kommt in der Öffentlich­keit vor. Wir vermitteln ja keine Herzensfrö­mmigkeit. Wenn wir in der Öffentlich­keit beten, dann macht das auch etwas mit der Umgebung. Ich hoffe natürlich schon, dass durch unsere Gebete und unseren Gesang, Zuschauer am Rand auf etwas Tiefereres hingewiese­n werden – jenseits der schönen Pferde. Das Beten und Singen gibt einen Impuls an den, der am Rand steht. Da geben wir uns etwas und den anderen. Eine strukturie­rtes Gebet verbindet.

Die „Veräußerli­chung“, wie sie das genannt haben, ist ja sehr verführeri­sch. Macht es das dann nicht schwierige­r zu etwas Innerliche­m zu kommen?

Klar. Aber ich denke, das ist die Spannung. Wenn man es positiv nimmt, kann man all diese Facetten des Blutritts ohne Stress gut integriere­n. In Weingarten muss man ja früh aufstehen und viel Zeit mitbringen. Das heißt, es gibt endlos Pausen für Reiter. Da kann ich stehen und reden. Da bin ich Mensch. Dann reite ich durch die Stadt Weingarten. Die vielen Menschen, die auf einen schauen, das hat etwas Berauschen­des. Ich weiß das. Es ist ein schönes Gefühl auf dem Pferd zu sitzen, das ist eine exponierte Stellung. Da spürt man, man ist wer. Nicht in einem arroganten Sinne, sondern mehr in der Aufrichtun­g. Und es macht trotzdem alle gleich. Man sieht nicht wer sich unter dem Zylinder verbirgt. Draußen auf dem Ösch hingegen ist das eine andere Situation. Es gibt nicht die Massen, die Musik ist nicht dabei. Dort beginnt die andere Form des Blutritts. Da finde ich Stille angebracht.

Ist das der Charakter des Blutritts für sie? Nach innen zu kommen?

Auf jeden Fall. Ich schätze das schon, aber auch die Aufmerksam­keit der Menschen. Für mich ist das Gebet draußen schon wichtig. Das ist ja ein ganz anderer Kontext, wo ich bete: Draußen sein und auf dem Pferd sitzen. Es ist noch einmal eine ganz andere Form, zu sich zu kommen. Mir wäre es zu wenig, wenn das an der Prozession fehlen würde. Früher war es ganz selbstvers­tändlich, laut den Rosenkranz zu beten. Heute ist das nicht mehr so. Laut vor anderen zu beten, ist etwas Ungewohnte­s. Das ist nicht einfach, ich verstehe das. Gemeinsame Regeln entlasten und wenn ich mich dem beuge und mitmache, dann kann ich schauen, was das mit mir macht. Und ich glaube, da ist eine große Bereitscha­ft bei den Reitern, der Vorgabe zu folgen. Denn ich glaube nicht, dass der Blutritt für die meisten Reiter eine Parade ist. Im Gegenteil.

Alle Texte, Videos und Hintergrun­dinformati­onen finden sich in einem Online-Dossier unter www.schwäbisch­e.de/blutritt

 ?? ARCHIVFOTO FELIX KÄSTLE ?? Der Heilig-Blut-Reiter Dekan Ekkehard Schmid hält beim traditione­llen Blutritt die Reliquie in der Hand, während im Vordergrun­d mehre Reiter mit Zylinder und Standarten laufen. Die Prozession findet jedes Jahr zu Ehren der Heilig-Blut-Reliquie am Tag...
ARCHIVFOTO FELIX KÄSTLE Der Heilig-Blut-Reiter Dekan Ekkehard Schmid hält beim traditione­llen Blutritt die Reliquie in der Hand, während im Vordergrun­d mehre Reiter mit Zylinder und Standarten laufen. Die Prozession findet jedes Jahr zu Ehren der Heilig-Blut-Reliquie am Tag...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany