Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein brandenburgisches Dorf ist gespalten
Hans Otto-Theater zeigt im Graf-Zeppelin-Haus das Stück nach dem gleichnamigen Roman von Juli Zeh
FRIEDRICHSHAFEN - Unterleuten, ein Ort irgendwo im Brandenburgischen, als Schauplatz von Intrigen, Feind- und Seilschaften, mit Bewohnern, die geprägt sind von Egoismus und Verbitterung. Mit seiner Inszenierung des gleichnamigen Gesellschaftsromans von Juli Zeh wuchtet Regisseur Tobias Wellemeyer ein brandenburgisches NachwendeDrama mit Nebel- und Geräuscheffekten auf die Bühne des Graf Zeppelin-Hauses. Doch am Ende des dreistündigen Theaterstücks stellt sich die Frage, ob komplexe Romanvorlagen mit theatralen Mitteln umzusetzen sind?
Letztlich reduzieren sich die zahlreichen Handlungsstränge der 18 Schauspieler des Hans Otto Theaters Potsdam auf einen ungeklärten Mord in vergangenen Jahren, der als Auslöser für die jahrelange Feindschaft zweier Männer gilt. Dabei spielt dieser in Juli Zehs Roman nur eine Nebenrolle.
Wende-Profiteur gegen überzeugten Kommunisten
Karge Baumstämme ragen auf der Bühne in die Höhe und eine Backsteinmauer steht symbolisch für die Häuser in dem eher beschaulichen Dörfchen Unterleuten, irgendwo im Norden Brandenburgs, das weder touristisch noch wirtschaftlich eine große Rolle spielt. Zu DDR-Zeiten war hier eine landwirtschaftliche Genossenschaft (LPG) angesiedelt, die nach der Wende von Rudolf Gombrowski, dem ehemaligen LPGLeiter, als privates Unternehmen „Ökologica“weiterbetrieben wird. Gombrowski (Jon-Kaare Koppe) ist der Typ des eher weichen und verständnisvollen Wende-Profiteurs. Sein ärgster Widersacher ist der überzeugte Kommunist Kron (Christoph Hohmann), der durch einen mysteriösen Unfall, an dem Gombrowski beteiligt gewesen sein soll, als hinkender Krüppel die sprichwörtliche Moralkeule schlägt, unterstützt von seinem Gehstock, den er bedrohlich durch die Luft schwingt. Ein verbitterter Mann, der sich vehement gegen das Vorhaben eines West-Unternehmens wehrt, die hier einen Windpark ansiedeln wollen.
Auch der rigorose Vogelschützer Gerhard Fließ (Bernd Geiling), ehemaliger Professor in Berlin, der mit seiner jungen, vom Dorfleben gelangweilten Frau (Zora Klostermann) und ihrem Säugling ein Häuschen in Unterleuten erworben hat, wehrt sich gegen das Projekt. Im Dorf bilden sich zwei Lager: Die einen lehnen das Vorhaben strikt ab, die anderen sehen die Möglichkeit, Profit für Unterleuten und insbesondere für sich selbst herauszuschlagen. So wie die dynamische Linda (Katrin Hauptmann), die hier ein Pferdezentrum aufbauen möchte. Letztendlich werden zehn Hektar Grundstück benötigt, die sich jedoch auf drei Grundstücksbesitzer verteilen. Absprachen werden hinter verschlossenen Türen getroffen, Intrigen gesponnen und Dorfbewohner gegeneinander ausgespielt. Darüber schweben die Geschehnisse um den mysteriösen Unfall von Kron, das Ehedrama Gombrowskis, die Geschichte des vergesslichen Automechanikers Bodo Schaller (René Schwittay) und der verwirrten Katzenliebhaberin Hilde Kessler (Rita Feldmeier) sowie die Wünsche des Ingolstädter Investors Konrad Meiler (Arne Lenk).
Individuelle, persönliche Altlasten aus DDR-Zeiten werden mit in die Gegenwart geschleppt und durch den Zuzug von „Wessis“werden neue geschaffen. Im Roman ist hierfür viel Platz, auf der Bühne muss gestrichen werden. Häppchenweise werfen die Darsteller in Monologen ihre Wünsche, Hoffnungen und Gedanken dem Publikum hin. Im Laufe des Stücks verweben sich Geschichten einzelner und zu einer dramatischen Dorfgeschichte. Hier steigen „Kommunismus versus Kapitalismus“und „Ossis versus Wessis“in den Boxring, an dessen Ende es keine wirklichen Gewinner gibt.
Trotz guter schauspielerischer Leistungen reduziert sich im Theaterstück die Komplexität des Romans auf Metaphern wie „Geld regiert die Welt“, „jeder ist sich selbst der Nächste“und „jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen“. Die Inszenierung ist sowohl ein Gesellschaftspanorama, Wirtschaftskrimi, ein Entführungsdrama und ein ungeklärter Unfall und Mord vor 20 Jahren – all das in knapp drei Stunden. Vielleicht hat man deshalb den Eindruck, dass „Unterleuten“sich ständig beeilt.