Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Lage von Familie Akkus bleibt schwierig
Landratsamt bietet ab Mai Hilfe an – Empfänger kritisieren, der Zuschnitt passe nicht zu ihrer Notlage
FRIEDRICHSHAFEN - „Es hat mich so gefreut, dass es Menschen gibt, die mit uns fühlen“, sagt Digdem Akkus. Der Bericht vom 28. März in der Schwäbischen Zeitung über ihre Notlage ist bei den Lesern auf großes Echo gestoßen.
Zur Erinnerung: Digdem Akkus ist blind, sie ist Diabetikerin und Dialyse-Patientin. Alleine kommt sie in ihrer Wohnung nicht zurecht, zumal da auch noch ihre drei Kinder im Alter von vier, 14 und 15 Jahren sind. Sie brauchen Aufsicht und Betreuung. Vor allem dann, wenn Digdem Akkus bei ihren mehrstündigen Dialysebehandlungen ist und ihr Mann bei der Arbeit. Deshalb stürzte die Familie in eine Krise, als das Landratsamt vor neun Monaten die Kostenübernahme für eine Haushaltshilfe strich. Diese vorübergehend gewährte Haushaltshilfe hatte der Familie dreieinhalb Jahre lang täglich acht Stunden von Montag bis Freitag zur Seite gestanden und war vom Sozialamt bezahlt worden. Diese Betreuungszeiten muss die Familie seit August 2017 nun selbst organisieren und auch selbst bezahlen. Die Kosten von 1500 bis 1800 Euro pro Monat bringen das Ehepaar immer tiefer in die Kreide.
Landratsamt bewegt sich
Inzwischen hat sich die Situation bewegt. Die Stellen des Landratsamts – Pflegestützpunkt, Eingliederungshilfe und Sozialamt – haben sich mit Digdem Akkus’ Mann zusammengesetzt. Sie selbst konnte wegen einer überraschend notwendig gewordenen Operation nicht dabei sein. Eine tragfähige Lösung wurde aus Sicht von Digdem Akkus bei diesem Gespräch aber nicht angeboten. Anstelle der früheren Haushaltshilfe, die acht Stunden am Tag abdeckte, sollen künftig nur noch vier Stunden Elternassistenz zugestanden werden. Darüber hinaus wird Digdem Akkus Hilfe zur eigenen Pflege angeboten: Ab Mai sollen dreimal am Tag mobile Pflegekräfte ihren Blutzucker messen, ihr die Medikamente verabreichen und bei der Körperpflege zur Hand gehen. Eine weitere Kraft bringt das Mittagessen auf den Tisch.
Mit Angebot nicht zufrieden
Einverstanden ist Digdem Akkus damit nicht. „Bei so vielen verschiedenen Leuten haben wir in der Wohnung permanent einen Tag der offenen Tür“, sagt sie. Sorgen macht ihr das unterbreitete Pflegemodell zudem ausgerechnet wegen ihres Gesundheitszustands: „Bei der Frage, wann ich aufstehe, müsste ich mich künftig nach dem Stundenplan der Pflegekräfte richten. Sie haben ja ihre festen Zeiten“, sagt sie. Wie ein Uhrwerk funktioniere ihr Körper aber gerade nicht. „Wann ich aus dem Bett komme, hängt von meinen Krankheiten ab. Das kann um 7 Uhr sein oder erst um zehn.“
Wie stark ihr Zustand schwankt, zeigt eine Komplikation in der vergangenen Woche: Bei der Dialyse kam es zum Verschluss eines Blutgefäßes. Eine Operation war unumgänglich, Digdem Akkus musste im Krankenhaus bleiben. Immer noch hat sie starke Schmerzen im Arm, den sie nicht belasten darf. Wieder einmal hat ihr Mann unbezahlten Urlaub genommen, um bei den Kindern sein zu können. Um ihn zu unterstützen, ist auch Digdem Akkus’ in Belgien lebende Schwester angereist. Überhaupt hat sich seit der Berichterstattung dieser Zeitung in der Praxis noch nichts geändert. Digdem und Mohammet Ali Akkus organisieren und bezahlen ihren Bedarf an personeller Hilfe nach wie vor selbst.
Probleme mit Elternassistenz
Wäre eine solche Notsituation mit der Hilfe durch die Elternassistenz ausgeschlossen? Nein, ist Digdem Akkus überzeugt. Schon deshalb, weil vier Stunden Elternassistenz am Tag nicht ausreichten. Sehr beunruhigt hat sie darüber hinaus eine Auskunft über den Charakter der Elternassistenz: „Die Eingliederungshilfe hat mir gesagt, Elternassistenz gäbe es nur, wenn die Eltern dabei sind. Deshalb heiße es ja Assistenz“, sagt Digdem Akkus. Das würde bedeuten, dass die Elternassistenz gerade im dringendsten Fall nicht greift: wenn die Eltern ihre Kinder nicht selbst betreuen können, weil sie von ihnen getrennt sind. Solche Zeiten lassen sich aber nicht ausschließen. Mohammet Ali Akkus arbeitet im Schichtbetrieb und seine Frau muss zur Dialyse regelmäßig ins Krankenhaus. Im ungünstigsten Fall wäre die vierjährige Tochter daheim ohne Aufsicht, zumal das Mädchen keinen Kindergartenplatz hat. Die Ämter haben zugesagt, einen solchen Platz zu suchen, aber noch gibt es ihn nicht.
Der Rechtsanwalt Michael Richter bestätigt die Auskunft der Eingliederungshilfe. „Es ist die Natur der Assistenz, dass sie beim eigenen Tun unterstützt“, sagt der Geschäftsführer der Gesellschaft „Rechte behinderter Menschen“(RBM) mit Sitz in Marburg. Das bedeute nicht, dass die Abwesenheit der Eltern nicht aufgefangen werden könne, so Richter. Aber eben nicht durch Elternassistenz, sondern durch eine andere Leistung.
Suche nach idealem Mix
Das Landratsamt betont auf Anfrage, man wolle die bestmögliche Hilfe für die Familie erreichen. Die Koordination scheint aber komplex zu sein. „Das sind mehrere gesetzliche Grundlagen und ’Töpfe’, die sich auch gegenseitig beeinflussen. Deshalb ist es wichtig und zum Vorteil der Leistungsempfänger, dass die Leistungsansprüche in einer bestimmten Reihenfolge bearbeitet werden“, teilt Pressesprecher Robert Schwarz mit. Konkrete Auskünfte gibt das Landratsamt nicht. „Weil für uns der Daten- und Persönlichkeitsschutz unserer Kunden sehr wichtig ist, werden wir auch weiterhin keine persönlichen Details über diesen Fall in der Zeitung verkünden. Da nehmen wir es lieber in Kauf, dass wir ungerechtfertigterweise kritisiert werden“, so der Pressesprecher.
Digdem Akkus sähe die ideale Unterstützung in Hilfskräften, die ihr und der Familie von Montag bis Freitag jeweils acht Stunden am Tag zur Verfügung stehen – Strukturen, die Ruhe in die Familie bringen; so, wie das dreieinhalb Jahre lief, ehe diese Hilfe vor neun Monaten gestrichen wurde. Von einer solchen täglichen
ANZEIGE Acht-Stunden-Hilfe sei die Regelung des Landratsamts, die im Mai greifen soll, allerdings weit entfernt, meint Digdem Akkus. Es gibt aber auch Grund zu einhelliger Freude: Die Familie hat nach langer Suche eine behindertengerechte Wohnung gefunden. Nächste Woche findet der Umzug von Kluftern nach Fischbach statt. Die Umzugskosten trägt die Krankenkasse.