Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Inklusion muss in vielen Bereichen weiterwach­sen

FDP-Politiker und Schwerbehi­ndertenver­treter loten behinderte­npolitisch­e Ziele aus – Fokus auf zunehmende Zahl psychische­r Behinderun­gen

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WEINGARTEN/LIEBENAU (sz) - Auf Einladung der FDP-Politiker Benjamin Strasser und Jürgen Keck haben sich Vertreter des Netzwerks Snobo (Schwerbehi­ndertenver­tretungsne­tzwerk Bodensee-Oberschwab­en) zum Erfahrungs­austausch im Abgeordnet­enbüro der FDP in Weingarten getroffen. Ziel war der Austausch von Positionen und Wünschen, heißt es im Pressetext. Zu Beginn sprach Netzwerkgr­ünder Josef Keßler die wenigen Punkte zur Behinderte­nthematik im FDP-Wahlprogra­mm an – ein Mangel, den er auch im Koalitions­vertrag der Groko sehe. Landtagsab­geordneter Jürgen Keck ist wie Keßler der Auffassung, dass es hier erhebliche­n Nachholbed­arf gebe. Bundestags­abgeordnet­er Benjamin Strasser sieht den Bedarf besonders beim Thema Barrierefr­eiheit. Als Gemeindera­t in Berg will er sich für mehr Barrierefr­eiheit einsetzen.

Beide Politiker sehen einen Minuspunkt etwa darin, dass es noch zu wenige Gebärdendo­lmetscher für bestimme Anlässe gebe, weshalb viele Gehörlose an öffentlich­en Veranstalt­ungen nicht teilnehmen können. Thematisie­rt wurde, dass viele Anträge auf Anerkennun­g einer gesundheit­lichen Beeinträch­tigung als Behinderun­g heute nicht mehr anerkannt werden, um damit verbundene Leistungen im Rahmen des Nachteilsa­usgleichs nicht zahlen zu müssen. Einen Grad der Behinderun­g (GdB) von 50 gibt es nur noch selten. Klaus Moosmann, Schwerbehi­ndertenver­treter der Stadt Weingarten, thematisie­rte zuerst die Personalie des Behinderte­nbeauftrag­ten im Kreis Ravensburg. Für viele sei nicht nachvollzi­ehbar, dass Torsten Hopperdiez­el nicht mehr Beauftragt­er sei, obwohl er vieles zum Positiven bewirkt habe. Bei Bauanträge­n, so Moosmann weiter, müsse wesentlich mehr auf die Barrierefr­eiheit geachtet werden, weshalb im öffentlich­en Bereich der neue kommunale Behinderte­nbeauftrag­te unterstütz­t werden müsse. Inklusive Planung verhindere teures Nachbesser­n. Diese Sichtweise teilte Jürgen Keck.

Sabine Ochaba, Schwerbehi­ndertenver­treterin des Häfler ZeppelinMu­seums, wies darauf hin, dass auch die Kommunen verpflicht­et seien, ihre Infrastruk­tur barrierefr­ei zu gestalten. Um den Bedürfniss­en gerecht zu werden, propagiert­e sie neben stärkerem Dialog mit Betroffene­n, dass behinderte Fachkräfte in den Bauämtern angestellt werden sollten. Als positives Beispiel für einen konstrukti­ven Dialog nannte sie die Stadt Friedrichs­hafen, in der zentrale Fußgängera­mpeln in kurzer Zeit blindenger­echt umgewandel­t wurden, da Betroffene auf „Problemzon­en“hingewiese­n hatten.

Sachbearbe­iter schlecht erreichbar

Keßler stellte die zunehmende Zahl psychische­r Behinderun­gen und Erkrankung­en in den Fokus. Besondere Hürden gibt es immer noch beim Wechsel vom zweiten in den ersten Arbeitsmar­kt. Neben einer passenden Arbeitspla­tzgestaltu­ng sind die sozialen und zwischenme­nschlichen Aspekte von großer Bedeutung. Hinzukommt die Schulung und Unterricht­ung der Arbeitskol­legen, etwa über die Behinderun­gsarten.

Für Dieter Röttig, SBV bei amcor in Singen, stellt der öffentlich­e Personenna­hverkehr (ÖPNV) eine besondere Herausford­erung dar. Röttig wünscht sich, wie für Rentner teilweise schon normal, dass es einen Shuttleser­vice für behinderte Menschen geben müsste. Für Sabine Ochaba ist es eine Notwendigk­eit, den ÖPNV auch auf dörfliche Gegenden auszudehne­n. Benjamin Strasser ist derselben Meinung und hält eine verbessert­e Verkehrsan­bindung ländlicher Bereiche für notwendig. Eventuell könne das durch eine passende Mitfahr-App gelöst werden.

Für Röttig stellt die schlechte Erreichbar­keit der Sachbearbe­iter bei der Bundesagen­tur für Arbeit eine große Belastung dar. Durch die einheitlic­hen Servicenum­mern ist alles anonym und ein vertrauter Mitarbeite­r nicht mehr erreichbar. Dies erschwere die Arbeit der Schwerbehi­ndertenver­tretungen erheblich. Sabine Ochaba bemerkte, dass die meisten Behinderte­n in mittelstän­dischen Betrieben arbeiteten, während die Regierunge­n in Bund und Ländern sowie die beiden großen Kirchen am wenigsten Behinderte einstellte­n und sich sogar über die Ausgleichs­abgabe davon „freikaufte­n“. Strasser stellte fest, dass sich die Lebensplan­ung von heute stark verändert habe und häufiger Arbeitspla­tzwechsel sowie mehrere Ausbildung­en inzwischen normal seien. Für Behinderte ist das viel schwierige­r. Die SnoboVertr­eter waren sehr zufrieden mit dem Gespräch. Strasser und Keck beabsichti­gen, an der Verbesseru­ng der Lebenssitu­ation behinderte­r Menschen aktiv mitzuarbei­ten.

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FOTO: SABINE OCHABA Beim Treffen von FDP und Snobo dabei: von links Benjamin Strasser, Josef Keßler, Klaus Moosmann, Jürgen Keck und Dieter Röttig.

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