Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Arbeitszeit spaltet den Arbeitsmarkt
Der Sieg ist ein historischer gewesen: Die IG Metall hat vor wenigen Wochen nach einer harten Tarifauseinandersetzung für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie die befristete 28Stunden-Woche auf Wunsch durchgesetzt. Gewerkschaft – und auch Arbeitgeber – reagieren damit auf das Lebensgefühl der Generation Y, für die Karriere und Beruf nicht mehr der alleinige Lebensinhalt ist, sondern die sich zunehmend zwischen Arbeit, Familie und der Pflege von Angehörigen aufreibt. Auch das akuter werdende Problem, genügend qualifizierte Fachkräfte zu finden, hat die Unternehmen auf die IG-Metall-Forderung eingehen lassen.
Blöd nur, dass nicht alle in der Metallund Elektroindustrie arbeiten. Von den Arbeitszeitregeln, die die IG Metall für ihre Klientel erstritten hat, können andere Branchen nur träumen – viele wären bereits überglücklich, wenn sie eine geregelte 35-Stunden-Woche hätten. Von den Angestellten der Digitalindustrie ganz zu schweigen. Sie würden einen Arbeitsvertrag, der ihnen eine 45-StundenWoche garantiert, liebend gern unterschreiben. DGB-Chef Reiner Hoffmann warnt nicht zu Unrecht vor einem „digitalem Proletariat“. Die zunehmende Spaltung im Arbeitsmarkt zwischen Industrie und Dienstleistern, die sich bislang vor allem beim Entgelt zeigt, findet bei der Arbeitszeit ihre Fortsetzung. Die immer globaler agierende Wirtschaft verschärft das Problem zusätzlich: Denn bei Unternehmen, die weltweit mit Rivalen konkurrieren, wächst der Bedarf nach flexiblen Arbeitszeitmodellen. Sie fordern vehement, die strikten gesetzlichen Normen zu lockern.
Vor allem im Hinblick auf tarifungebundene Branchen kann und darf das nicht die Lösung sein. Vielmehr ist hier der Staat gefordert, geltende Arbeitszeitregeln strenger zu kontrollieren. Diese Prüfung würde vielen Beschäftigten helfen, von ihren mehr als 45 Stunden pro Woche herunterzukommen und für etwas mehr Gerechtigkeit sorgen: Möglicherweise würde sich dann die Kluft zwischen der Metall- und Elektroindustrie und dem Rest der arbeitenden Bevölkerung etwas schließen.