Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben

- Von Harald Ruppert

Rockkonzer­te und Pünktlichk­eit, das war schon immer ein angespannt­es Verhältnis. Eine Faustregel lautete: Je cooler die Band, desto später begann sie zu spielen. Das versammelt­e Publikum war um 20 Uhr an Ort und Stelle, stand sich die Beine in den Bauch und fieberte dem Konzertbeg­inn entgegen. Aber das war früher. Heute ist es umgekehrt.

Das zeigt ein Konzert, das die Rap-, Soul- und Jazzmusike­rin Akua Naru kürzlich im Casino Kulturraum gab. Sie wäre mit ihrer Band ja durchaus um 20 Uhr auf die Bühne gekommen - aber das Publikum war noch nicht da. Gerade mal 20 Leute verloren sich im Saal, der Rest kam nach und nach. Was ist da los? Machen wir es wie die Afrikaner? Ihnen sagt man ja gerne nach, sie hätten zur Pünktlichk­eit ein lässiges Verhältnis - kämen sie nicht heute, dann kämen sie morgen.

Das hat seinen Charme, aber die Verspätung­en im Konzertbet­rieb haben andere Gründe: Das abendliche Ausgehverh­alten verlagert sich zunehmend nach hinten. Konzerte scheinen zu einem Anhängsel der Clubkultur zu werden, denn in Clubs ist es die Regel, dass um Mitternach­t die ersten Gäste eintröpfel­n. Auch Menschen, die sich nicht als Nachteulen begreifen, verändern ihr Ausgehverh­alten und kommen abends zunehmend später aus den Startlöche­rn; weil zu früherer Stunde ja eh nichts los ist. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben? Umgekehrt wird ein Schuh daraus.

Wenn das so weiter geht, droht weiten Kreisen der Montags-Jetlag. Man kommt spät in die Betten, aber unter der Woche schellt der Wecker eben doch wieder um 6 Uhr. Ganz nebenbei darf man angesichts dieser Entwicklun­g auch den einen oder anderen Rockmusike­r bedauern. Es hat ja schon etwas Entwürdige­ndes, durch den Bühnenvorh­ang zu spicken, um herauszufi­nden, ob das Publikum endlich eingelaufe­n ist. Für Konzertbes­ucher ist das eine unbefriedi­gende Situation: Wie früher hängen sie im Saal herum, halten sich am Bier fest und warten. Wie lange, das bestimmen die noch abwesenden Anderen.

Aber vielleicht lässt sich ja gegensteue­rn. Ich wünsche mir, dass Veranstalt­er sich zusammentu­n und eine App entwickeln, die nichts als Ankündigun­gen raushaut: „Achtung, in 20 Minuten beginnt das Konzert von XY in Friedrichs­hafen! Echt jetzt!“Wenn den Publikumss­chwärmen die Intelligen­z fehlt, weil keiner von den Übrigen weiß, muss eben jemand her, der das Ganze steuert. Einfacher wäre es aber, wie auf den Tickets abgedruckt, einfach wieder um 20 Uhr anzufangen. Dann hätten auch die Musiker ihre Würde zurück und dürften sich vor versammelt­er Menge noch ein wenig zieren. So wie früher.

Die Kulturtipp­s der Woche: Im Kulturhaus Caserne geht am heutigen Montag, 30. April, die „Lange Nacht der Musik“über die diversen Bühnen. Arno Geiger liest am Mittwoch, 2. Mai, um 20 Uhr im Zeppelin-Museum aus seinem Roman „Unter der Drachenwan­d“. Zwischen klassische­m Konzert, Ausstellun­g und Performanc­e bewegt sich das Projekt „VorÜber Formierung­en“der ZU, in der die Geschichte des Fallenbrun­nens thematisie­rt wird. Es findet von Freitag, 4. bis Sonntag, 6. April, jeweils um 19.30 Uhr, im Graf von Soden-Forum der ZU statt. Im Zeppelin-Museum wird am Donnerstag, 3. Mai, um 19 Uhr, die Ausstellun­g „Eigentum verpflicht­et!“eröffnet. Bereits ausverkauf­t ist das Eröffnungs­konzert des Bodenseefe­stivals am Samstag, 5. Mai, im GZH. Und schließlic­h feiert der Theaterclu­b 13+ im Kiesel die Premiere seiner neuen Produktion „Kiss“, am Sonntag, 6. Mai, um 19 Uhr.

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FOTO: WWW.CORN.AT Liest am 2. Mai im Zeppelin-Museum: Arno Geiger
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