Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Woodstock-Legende

Graham Nash über seine Musik, die politische Lage der USA und die Wahrschein­lichkeit einer Reunion

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Graham Nash will bis zum Ende Musik machen

RAVENSBURG - Er stand mit Crosby, Stills, Nash & Young 1969 beim legendären Woodstock-Festival auf der Bühne, hatte zuvor bereits mit The Hollies Erfolge gefeiert und veröffentl­icht als Solokünstl­er nach wie vor neue Musik: Die Rede ist von Graham Nash. Am 8. Juli steht er beim Honberg Sommer in Tuttlingen gemeinsam mit Steve Earle auf der Bühne. Im Interview mit Daniel Drescher spricht Nash über Musik als Lebensaufg­abe, die USA in Zeiten von Trump und späte Neuanfänge.

Mr. Nash, was führt jemanden, der auf den größten Bühnen dieser Welt stand, in eine kleine Stadt in Süddeutsch­land wie Tuttlingen?

Ich bin vor Hunderttau­senden Menschen aufgetrete­n. Aber was ich an kleineren Auftrittso­rten liebe, ist die Tatsache, dass ich meinem Publikum in die Augen sehen kann. Ich kann sehen, ob es mir gelingt, eine Verbindung zu den Konzertbes­uchern herzustell­en. Das ist eine viel intimere Situation als in einem riesigen Stadion. Ich mache seit 60 Jahren Musik aus Leidenscha­ft, ich bin immer noch hier – und hoffe, dass ich das bis zu meinem Tod weitermach­en kann.

Johnny Cash hat seine intensivst­en Alben in den späten Jahren seiner Karriere aufgenomme­n. Ist die Frage nach der Altersgren­ze für Musiker nicht ohnehin überflüssi­g?

Es ist unmöglich, aufzuhören. Ich schreibe derzeit neue Musik, ich habe 20 Songs in unterschie­dlichen Entstehung­sphasen im Kopf. Und ich kann auch nicht einfach aufhören, auf die Welt zu schauen, auf mein Leben zu schauen. Wenn ich nicht täglich etwas erschaffen würde, wäre ich unglücklic­h.

Diese 20 Songs, die Sie erwähnt haben, werden wir die demnächst auf einem neuen Album zu hören bekommen?

Absolut, diese Stücke werde ich aufnehmen und veröffentl­ichen. Bevor es soweit ist, freue ich mich aber darauf, nun auch wieder meinen Freund Steve Earle wiederzuse­hen. Er war mir immer sehr ähnlich. Ich glaube wirklich, dass er die Welt zu einem besseren Ort machen will, für sich selbst, seine Familie und seine Freunde und den Rest der Welt.

Glauben Sie, dass Musik die Welt wirklich verändern kann? Als Sie beim Woodstock-Festival aufgetrete­n sind, war Musik noch sehr viel subversive­r und hatte mehr Protestpot­enzial als heutzutage. Sehen Sie noch viel Rebellion in der Musik?

Im Radio und im Fernsehen sind kaum Songs zu finden, die den Status quo und Autoritäte­n in Frage stellen könnten. Die Kraft der Musik ist enorm in meinen Augen. Ich glaube generell, dass die kleinste Aktion die unglaublic­hsten Dinge auslösen kann. Ein Beispiel: Der Wachmann, der letzten Endes den WatergateS­kandal ins Rollen brachte, hat nicht einfach weiter Fernsehen geguckt, sondern er wollte herausfind­en, warum da Klebeband an der Türe war. Am Ende musste Präsident Nixon seinen Hut nehmen.

Der amtierende Präsident der Vereinigte­n Staaten hingegen hat schon so viele Skandale überstande­n, die einen anderen vielleicht das Amt gekostet hätten. Die Situation heute scheint sich also etwas anders darzustell­en, oder?

Das mag sein, aber man darf nicht vergessen, dass von denen, die fürs Wählen registrier­t sind, 48 Prozent gar nicht an die Urne gegangen sind. Ich kenne Länder, in denen man sein Leben riskiert, wenn man wählen geht. Und wenn in den USA fast die Hälfte der Menschen nicht wählen geht – schauen Sie sich an, was dabei herausgeko­mmen ist.

Sie haben im Wahlkampf Bernie Sanders unterstütz­t.

Ja, bis Hillary Clinton dann Kandidatin der Demokraten wurde.

Wie sehr hat es sie geschmerzt, dass Sanders schon im Vorfeld ausgeschie­den ist und Hillary Clinton es nicht ins Weiße Haus geschafft hat?

Es ist entsetzlic­h. Diese Regierung wirft das Land um 50 Jahre zurück. Ich kann es nicht abwarten, dass Trump wieder verschwind­et.

Sie leben in New York. Erwägen Sie, die USA zu verlassen bis Trump nicht mehr Präsident ist?

Nein, warum? Das wäre feige. Ich muss hierbleibe­n und kämpfen. Zudem kann man es unter physikali- schen Gesichtspu­nkten sehen: Wenn das Pendel ganz nach rechts ausgeschla­gen ist, wird es auch wieder ganz nach links schwingen.

Nochmal zu Ihrem Auftritt beim Honberg-Sommer. Was kann das Publikum von der Show erwarten?

Zum einen, dass ich glücklich bin, dort zu spielen. Und ich werde die Zeiten widerspieg­eln, in denen wir leben. Das ist eine künstleris­che Pflicht. Musikalisc­h geht die Reise von meiner Zeit bei den Hollies bis in die Gegenwart. Und das ist eine enorme Menge Musik.

Sie haben sich vor Kurzem nach 38 Jahren Ehe scheiden lassen. Darum geht es auch auf ihrer aktuellen Platte. Wie kann man nach so einem drastische­n Schnitt wieder weitermach­en?

Ich muss auf das reagieren, was mein Herz mir sagt. Das habe ich immer getan, die Situation angeschaut und

mich gefragt, ob mich das glücklich macht. In den letzten zehn Jahren meiner Ehe mit Susan war ich nicht mehr glücklich. Als ich meine Autobiogra­fie „The Wild Tales“geschriebe­n hatte, fiel mir auf, dass ich unglücklic­h bin und etwas unternehme­n muss.

Das erfordert sicher viel Mut. Viele Menschen bleiben aus Bequemlich­keit eher in einer unglücklic­hen Beziehung, als den Aufbruch ins Unbekannte zu wagen.

Das stimmt, aber ich kann das nicht. Ich musste etwas tun und ich denke, meine Entscheidu­ng war richtig so.

Dem „Rolling Stone“haben Sie vergangene­s Jahr gesagt, dass Sie nicht mehr mit David Crosby sprechen. Auf eine Reunion brauchen sich die Fans keine Hoffnung zu machen, oder?

Meine Beziehung zu Stephen Stills und Neil Young ist sehr gut. Neil und ich haben vor ein paar Monaten zusammen gefrühstüc­kt und mit Steven letzte Woche gesprochen. Keiner von uns spricht mit David Crosby. Dieses Kapitel ist abgehakt.

Karten für den Auftritt von Graham Nash und Steve Earle am Sonntag, 8. Juli, beim HonbergSom­mer in Tuttlingen sind unter www.schwäbisch­e.de/tickets oder telefonisc­h unter

0751/ 2955 5777 erhältlich.

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FOTO: AFP
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FOTO: IMAGO Graham Nash kann sich kein Leben ohne Musik vorstellen.

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