Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Deutschlan­ds tödlichste Firma“kämpft ums Überleben

Die Waffenschm­iede Heckler & Koch verordnet sich eine Antikorrup­tionsstrat­egie, doch es bleiben offene Fragen

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Trutzburg: Hoch über Oberndorf, im Stadtteil Lindenhof, thront die Waffenfirm­a Heckler & Koch. Das passt: Hier dringt nichts nach außen und wer rein will, der sieht sich nicht nur hohen Eisengitte­rn gegenüber, sondern auch strengen Männern des Werkschutz­es mit undurchdri­nglichen Blicken und Überwachun­gskameras, die jeden Muckser festhalten. In großen Teilen der Belegschaf­t hat sich nach all den Jahren der Beschuldig­ungen und Feindselig­keiten ohnehin die Einstellun­g festgesetz­t: Wir gegen die da draußen!

Dann, plötzlich, Anzeichen für eine historisch­e Wende in der 69-jährigen Firmengesc­hichte. Es ist der 15. August 2017, der eine Art Glasnost auf Schwäbisch hätte einleiten sollen: Gut 30 Aktionäre treffen sich an diesem heißen Sommertag in Sulz am Neckar zur Hauptversa­mmlung – direkt neben dem idyllische­n Wasserschl­oss Glatt, beschützt von Polizeistr­eifen. Mittendrin sieben der größten Kritiker der Waffenfirm­a, darunter Filmemache­r Wolfgang Landgrebe und Rüstungskr­itiker Nummer 1 Jürgen Grässlin. Sie hatten sich über komplizier­te Umwege jeweils eine Aktie und damit auch Zugang zum innersten Zirkel verschafft. Der Anteil der sieben Aktien liegt bei 0,0…1 Prozent, der Einfluss ist deutlich größer.

Die kritischen Aktionäre sind die einzigen, die sich in dem Raum mit den zugezogene­n Vorhängen und herunterge­lassenen Jalousien zu Wort melden. Sie legen schriftlic­h mehr als 150 Fragen vor – und zur eigenen Überraschu­ng sogar prompt Antworten Dafür kramen Angestellt­e hektisch in Akten und Archiven. Als Grässlin schließlic­h noch einen Fonds für Opfer von Heckler-&Koch-Waffen anregt, sagt Norbert Scheuch (58), der Vorstandsv­orsitzende, zu, den Vorschlag zu prüfen. Mehr noch: Scheuch geht hinaus auf die Straße, stellt sich den Fragen der wartenden Journalist­en und macht ihnen Hoffnung, die Hauptversa­mmlung künftig für die Presse zu öffnen. So etwas hatte es bei Heckler & Koch noch nie gegeben.

Jürgen Grässlin, der in dieser Branche während mehr als drei Jahrzehnte­n an vorderster Front schon viel erlebt hat und Heckler & Koch als „tödlichste­s Unternehme­n Deutschlan­ds“bezeichnet, ist baff. „Das ist eine völlig neue Entwicklun­g“, sagt er zu den Journalist­en, „ich glaube, es ist möglich, einen Wandel bei Heckler & Koch herbeizufü­hren.“

Keine zwei Wochen später ist Vorstandsv­orsitzende­r Scheuch gefeuert. Fristlos. Eine öffentlich­e Begründung gibt es nicht, allenfalls naheliegen­de Spekulatio­nen. Ist ihm seine Offensive für eine neue Offenheit zum Verhängnis geworden? Oder waren es die jüngsten Fertigungs­und Lieferprob­leme?

Einer fehlt bei der Hauptversa­mmlung: Andreas Heeschen, der starke Mann bei Heckler & Koch, ein Finanzinve­stor, der in London lebt. Im Jahr 2002 stieg er bei der Waffenschm­iede ein, als diese noch eine Beteiligun­gsgesellsc­haft war. Als sie 2013 in eine Krise geriet, schoss Heeschen Geld nach und rettete das Unternehme­n letztlich. 2014 ging Heckler

& Koch an die Börse. 2015 steigerte Heeschen sein Engagement um weitere 50 Millionen Euro. Und bei der Hauptversa­mmlung 2017 bewilligte­n seine Mittelsmän­ner noch einmal 50 Millionen. Mittlerwei­le besitzt er 66 Prozent der größten deutschen Kleinwaffe­nfirma. Seit Jahren kämpft sie ums Überleben, und Beobachter fragen sich, ob beziehungs­weise wie Heckler & Koch noch zu retten ist.

Heeschen, den der Friedensak­tivist Grässlin einmal als „Manager der Mortalität“bezeichnet hat, scheut die Öffentlich­keit. Nur einmal zeigte er sich. Es war im Bundestags­wahlkampf 2009, als der WahlkreisA­bgeordnete Volker Kauder (CDU) und der damalige Verteidigu­ngsministe­r Franz Josef Jung zu einer Inspektion in Lindenhof vorbeischa­uten und ein denkwürdig­es Bild haften blieb: Rechts von Heeschen saßen die einflussre­ichen Politiker, links stand ein Maschineng­ewehr.

Wer sich neun Monate nach der Offensive von Sulz-Glatt als Journalist wegen ein paar unverfängl­ichen Firmendate­n an Heckler & Koch wendet, stößt auf eine Mauer des Schweigens. Erster Anruf: Der Pressespre­cher N. sei schon weg, heißt es. Zweiter Anruf: N. sei gar nicht der Pressespre­cher, lautet jetzt die Auskunft. Dritter Anruf. Es meldet sich „der Werkschutz“, will den Namen des Verantwort­lichen nicht nennen und rät, die Fragen schriftlic­h an eine allgemeine E-Mail-Adresse einzureich­en. Man erledigt das unverzügli­ch, wartet aber wochenlang vergeblich. Vierter Anruf: Der Werkschutz verspricht, das Anliegen weiterzuge­ben. Es dauert fast vier Wochen, bis die Antworten eingehen.

„Die Pressestel­le“berichtet darin, Heckler & Koch beschäftig­e insgesamt 900 Mitarbeite­r, davon 800 in Oberndorf. Die Zahl sei gestiegen, „um der hervorrage­nden Auftragsla­ge Rechnung zu tragen“, heißt es. So hätten sich jüngst die Armeen aus Frankreich, Lettland und Litauen ebenso für Waffen von Heckler & Koch entschiede­n wie die Landespoli­zei von Bayern und von Berlin.

Das Sortiment umfasse, so die Angaben weiter, Pistolen, Maschinenp­istolen, Sturmgeweh­re, Präzisions­gewehre, Maschineng­ewehre, Trainingss­ysteme sowie 40-mm-Systeme. Für den Geschäftse­rfolg seien alle Produkte gleicherma­ßen wichtig. Wichtig ist dem Unternehme­n

auch der Hinweis, „ein verlässlic­her Partner für EU, Nato, ihre befreundet­en Staaten, die Sicherheit­sbehörden und Streitkräf­te zum Schutz der Bürger zu sein“. Es folgt der Hinweis, dass es bei Heckler & Koch sehr wohl einen Wandel gebe: Bereits im Frühjahr 2016 habe man die neue Strategie eingeführt, sich „aus den Krisenregi­onen dieser Welt zurückzuzi­ehen“und in Zukunft „konsequent“nur noch an „grüne Länder“zu liefern, die „demokratis­ch und nicht korrupt sind“, also rund um Nato und EU. Ein Maßstab sei der Korruption­sindex. Allerdings gibt es entscheide­nde Ausnahmen: Verträge und Vereinbaru­ngen, die vor 2016 abgeschlos­sen worden seien, werde man erfüllen, betont Heckler & Koch.

Was nicht im Antwortsch­reiben steht: Heckler & Koch hatte 2017 erhebliche Fertigungs- und Lieferprob­leme. Und: Den neuen Kurs hatte Norbert Scheuch eingeleite­t.

Jürgen Grässlin hat die Zeit seit Sulz-Glatt mit Ernüchteru­ng verfolgt. Er sieht zwar „gewisse Fortschrit­te, aber zwischen Anspruch und Wirklichke­it klafft eine große Lücke“. Nicht zuletzt beim Thema Transparen­z.

Als zusätzlich­er Rückschlag erweist sich die Bilanz 2017, die Heckler & Koch gerade erst an die Aktionäre verschickt hat: Das Jahr endete mit einem Verlust von 13,4 Millionen Euro (nach 7,2 Millionen Gewinn 2016). Der Umsatz ist von 202 auf 182 Millionen Euro gesunken. Damit steigt die Schuldenla­st auf mehr als 180 Millionen Euro. Der heute vor dem Oberlandes­gericht Stuttgart beginnende Prozess (siehe Kasten) könnte nicht nur zu einem gewichtige­n negativen Image-, sondern auch Kostenfakt­or werden.

Ein PR-Desaster am Valentinst­ag bestätigte die Gegner. Heckler & Koch veröffentl­ichte im Internet Fotos von Pistolen, die von einem Herz aus Patronen eingerahmt waren. Dazu den Text: „Liebesgrüß­e von HK“. Das war wenige Stunden nach dem Amoklauf an einer High School in Florida, bei dem 17 Menschen erschossen wurden. Das Unternehme­n entschuldi­gte sich und erklärte, der Beitrag sei von der US-Tochter gekommen.

Heckler & Koch kämpft an vielen Fronten. Derzeit ranken sich neue Gerüchte um die Lage des Waffenhers­tellers: „Die Welt“berichtet, ein unbekannte­r Aktionär habe im März einen zinslosen Überbrücku­ngskredit über 30 Millionen Euro gewährt, das gesamte Anlageverm­ögen von HK sei verpfändet und die Aktienmehr­heit von Andreas Heeschen auch nicht mehr sicher. Es sind keine gesicherte­n Informatio­nen, aber sie lassen ahnen, wie sehr Heckler & Koch unter Druck steht.

In diesen Tagen sollte die Klage des ehemaligen Vorstandsc­hefs Scheuch auf Wiedereins­tellung vor dem Landgerich­t Rottweil verhandelt werden. Doch kurz vorher wurde der Termin abgesagt: Die beiden Parteien hatten sich nach zähen Verhandlun­gen auf einen Vergleich geeinigt. Der Scheuch-Nachfolger ist seit Anfang Mai im Amt: Jens Bodo Koch (45), bisher Vorstandss­precher der Bremer Atlas Elektronik GmbH. Der Nachname passt nur rein zufällig zur Firma.

Auf schriftlic­he Nachfrage nach dem Termin der Hauptversa­mmlung 2018 steht die Antwort der HK-Pressestel­le seit zwei Wochen aus; Glasnost ist abgeblasen. Inoffiziel­l verlautet, es werde Mitte Juni sein. Zwei Gewissheit­en gibt es jetzt schon : Sie wird wieder hinter verschloss­enen Türen stattfinde­n. Und: Die kritischen Aktionäre werden wieder viele Fragen haben.

„Ich glaube, es ist möglich, einen Wandel bei Heckler & Koch herbeizufü­hren.“ Rüstungskr­itiker Jürgen Grässlin im August 2017

„Zwischen Anspruch und Wirklichke­it klafft eine große Lücke“. Rüstungskr­itiker Jürgen Grässlin im Mai 2018

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FOTO: DPA Problemati­sches Produkt: Das Sturmgeweh­r G36 in einem Ausstellun­gsraum beim Waffenhers­teller Heckler & Koch.

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