Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Korruption, illegale deutsche Waffenexpo­rte und 43 Verschwund­ene in Mexiko

Der Prozess gegen Heckler & Koch vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t wird auch die Bestechlic­hkeit der mexikanisc­hen Streitkräf­te offenlegen

- Von Klaus Ehringfeld

MEXIKO-STADT - Wenn heute in Stuttgart der Prozess gegen Angeklagte der schwäbisch­en Waffenschm­iede Heckler & Koch beginnt, werden Anwälte und Angehörige von Opfern von Menschenre­chtsverlet­zungen in Mexiko das Verfahren aufmerksam verfolgen. In dem mittelamer­ikanischen Land haben hochrangig­e Militärs dafür gesorgt, dass Heckler-&-Koch-Waffen in Bundesstaa­ten gelangt sind, für die ein Exportverb­ot bestand. Dafür haben sie laut Zeugenauss­agen kräftig die Hand aufgehalte­n. Es traf also ein deutsches Unternehme­n, das bereit war, Gesetze zu brechen, auf mexikanisc­he Behörden, die gewohnt sind, Gesetze zu ignorieren. Eine Allianz, die möglicherw­eise viele Menschenle­ben gekostet hat.

Denn die G36-Gewehre des Rüstungsko­nzerns sind nachweisli­ch auch an die Polizei in Iguala geliefert worden, wo 2014 in einer Septembern­acht 43 junge Studenten spurlos verschwand­en. Dabei bestand ein Lieferverb­ot für den betreffend­en Bundesstaa­t Guerrero. Sind deutsche Waffen bei der mutmaßlich­en Ermordung der jungen Männer zum Einsatz gekommen? „Die Ermittlung­en hier in Mexiko haben ergeben, dass Hecker-&-Koch-Waffen in der Nacht abgefeuert wurden“, sagt der Anwalt Santiago Aguirre, zugleich Vizedirekt­or des Menschenre­chtszentru­ms Agustín Pro in MexikoStad­t. Ob dabei Menschen auch getötet wurden, ist noch unklar. Bewiesen ist, dass der Polizist, der Aldo Gutiérrez, einem der Studenten, in den Kopf schoss, ein G36-Gewehr in seinem Besitz hatte. Gutiérrez liegt noch immer im Wachkoma.

Acht Jahre nach Erstattung der Anzeige gegen Heckler & Koch müssen sich vor dem Landgerich­t Stuttgart zwei ehemalige Geschäftsf­ührer, zwei Ex-Vertriebsl­eiter, eine damalige Vertriebsm­itarbeiter­in sowie der frühere Mexiko-Vertreter des Unternehme­ns verantwort­en. Das Verfahren kläre damit zugleich, ob eine direkte Mitverantw­ortung eines deutschen Waffenhers­tellers sowie der zuständige­n bundesdeut­schen Behörden an schweren Menschenre­chtsverlet­zungen in Mexiko bestehe, sagte Carola Hausotter von der „Deutschen Menschenre­chtskoordi­nation Mexiko“der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der damaligen Bundesregi­erung sei die prekäre Menschenre­chtslage in ganz Mexiko bekannt gewesen. Daher sei das Exportverb­ot der G36-Schnellfeu­ergewehre lediglich für einige besonders konfliktbe­lastete Bundesstaa­ten „auch damals aus menschenre­chtlicher Sicht nicht haltbar“gewesen.

Zwischen 2005 und 2007 hatte die Bundesregi­erung für die Sturmgeweh­re des Typs G36 von Heckler & Koch Ausfuhrgen­ehmigungen erteilt, allerdings unter der Voraussetz­ung, dass die Gewehre nicht in Bundesstaa­ten geliefert werden, in denen die Menschrech­tslage prekär ist und Konflikte herrschen.

Nach Angaben des mexikanisc­hen Verteidigu­ngsministe­riums lieferte Heckler & Koch in dem fraglichen Zeitraum 9652 Gewehre nach Mexiko, wovon 4796 in die vier Staaten mit Exportverb­ot gingen. Es gilt als gesichert, dass knapp 2000 dieser Waffen nach Guerrero gelangt sind. Bei Ermittlung­en wurden rund drei Dutzend G36 bei der Polizei in Iguala gefunden. Einige der Verkaufsma­nager von Heckler & Koch sollen sich einig gewesen sein, dass das Geschäft trotz des Exportverb­ots unbedingt abgeschlos­sen werden soll. Koste es, was es wolle.

Offene Türen in Mexiko

Mit dieser Einstellun­g rannten sie in Mexiko offene Türen ein. Dort läuft der Import von Waffen zwingend über das Verteidigu­ngsministe­rium, selbst dann, wenn die Waffen eigentlich für Polizeiein­heiten bestimmt sind. Wohin die gekauften Pistolen und Gewehre geliefert werden, lässt sich kein mexikanisc­her General von deutschen Bürokraten oder Unternehme­rn vorschreib­en.

Menschenre­chtsanwalt Aguirre wirft den mexikanisc­hen Streitkräf­ten dabei ein doppeltes Spiel vor. „Auf der einen Seite haben sie sich nach außen verpflicht­et, die Waffen nicht in die verbotenen Staaten zu liefern. Auf der anderen Seite sagen sie nach innen, eine deutsche Endverblei­bserklärun­g sei für sie ohne jeglichen bindenden Wert. Da kann man nur von böser Absicht sprechen.“Vor allem, wenn man wisse, dass die Heckler-&-Koch-Gewehre an Lokalpoliz­isten verteilt wurden, die nicht nur wegen Menschenre­chtsverlet­zungen im Fokus standen, sondern die bekanntlic­h auch mit dem Organisier­ten Verbrechen zusammenar­beiteten. Nach Zeugenauss­agen sind 25 Dollar pro G36-Gewehr an den damaligen Chef der Beschaffun­gsstelle im Verteidigu­ngsministe­rium, Divisionsg­eneral Humberto Aguilar, geflossen. Gegen Aguilar wurde nie ermittelt. Im Gegenteil: 2009 wurde er zum Vizevertei­digungsmin­ister befördert. Inzwischen ist er pensionier­t.

Aguirre erhofft sich vom Prozess, dass er Klarheit bringt, wer auf mexikanisc­her Seite an dem illegalen Waffenverk­auf noch beteiligt war, und dass entspreche­nde Ermittlung­en eingeleite­t werden. „In Mexiko wird ja ohnehin kaum ermittelt, wenn es um Fälle von Korruption geht. Aber wenn das Militär beteiligt ist, gibt es so gut wie keine Chancen, Licht ins Dunkel zu bringen.“

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FOTO: AFP Trauer um die verlorenen Kinder: Der Vater eines der vermissten Studenten aus Iguala 2016 mit einem plakatiert­en Foto seines Sohnes.

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