Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Geschichte einer Erfindung
Die Landesausstellung 2018 in Ettal spürt dem „Mythos Bayern“nach
ETTAL (epd) - „Wald, Gebirg und Königstraum – Mythos Bayern“ist der Titel der Landesausstellung 2018, die bis November in Ettal zu sehen ist. Die Schauen des Hauses der Bayerischen Geschichte zeigen ihre historischen Themen stets an „sprechenden“Orten im Freistaat. Auch die Benediktinerabtei Ettal ist so ein solcher. In fast 900 Metern Höhe gelegen, umgeben von den Felsschrofen des Ammergauer Gebirges, dazu Oberammergau mit seinen lüftlbemalten Häusern und dem Passionstheater, das Königsschlösschen Linderhof im Graswangtal, bayrisch sprechende Menschen, die ganz selbstverständlich Tracht tragen – das alles ist hier greifbar, anwesend.
Wobei: Das mit der „Urwüchsigkeit“und dem „Ursprünglichen“ist so eine Sache. Man sieht Gebirge und Wälder, Kloster und die Trachten mit anderen Augen, wenn man aus der Ettaler Ausstellung herauskommt. Es fängt schon an beim Ettaler Mythos vom „Rodungskloster in der Einsamkeit des Gebirges“. Die Benediktiner haben ab dem 8. Jahrhundert viel zur Urbarmachung Bayerns geleistet. Aber als Ettal 1330 gegründet wurde, gab es im Graswangtal längst Weideund Holzwirtschaft. Und dann war es auch noch ein „Zugereister“aus einer evangelischen Familie, der im Jahr 1900 die Wiedergründung des 1803 säkularisierten Klosters ermöglichte: Baron Theodor von CramerKlett aus Hohenaschau, Sohn des gleichnamigen Nürnberger Großindustriellen, war ein solcher Bayernund Katholizismus-Fan, dass er konvertierte, das Kloster kaufte und der Kirche schenkte.
Pfade entwirren
Die Ettaler Ausstellung versucht, die vielfachen Pfade zu entwirren, auf denen in den vergangenen 200 Jahren am „Mythos Bayern“gestrickt wurde. Sie will sichtbar machen, wie viel davon konstruiert, „erfunden“ist. Und doch kann sie gar nicht anders, als diesen Mythos zugleich selbst wieder ein Stück zu befördern. „Wald, Gebirg und Königstraum“– das alles kommt im Königshaus am Schachen im Wettersteingebirge zusammen, mit dem die Ausstellung beginnt. Das abgelegene Chalet ließ sich Ludwig II. 1872 bauen. Darin: ein orientalisch-schwülstiges „Türkisches Zimmer“, in dem der König gern seinen Geburts- und Namenstag (25. August) feierte.
Als Ludwig träumte, hatten die „schrecklichen Berge“seines Reichs bereits das meiste ihres Schreckens verloren. Sie waren bis in den letzten Winkel vermessen und kartiert. Doch die Entzauberung einer zunehmend industrialisierten Welt löste nicht nur beim König entgegengerichtete romantische Impulse aus. Die Wirklichkeit hinter den Postkar- tenansichten, die den Mythos befördern, ist stets grauer und härter als das imaginierte Idyll. Eine Videoinstallation in der Ausstellung zeigt, was für eine unmenschlich harte und gefährliche Arbeit das Holzmachen im Winter war, wenn das geschlagene Holz auf Schlitten oder durch den Schnee zu Tal gebracht wurde.
Bei der Entstehung des „Mythos Bayern“ist die Rolle der Wittelsbacher, seit 1806 Könige Bayerns von Napoleons Gnaden, kaum zu unterschätzen. Vor allem König Max II. Joseph, der nach der Revolution von 1848 den Thron unter schwierigen Umständen übernahm, hatte einiges zu tun, um sein Land zu einen. Wichtig war ihm nicht nur, Tradition und Fortschritt zu versöhnen, sondern auch, die Besonderheiten der Regionen seines Landes kennenzulernen: „Ich muss studieren, um zu regieren“, war sein Motto. In seinem Auftrag begann eine umfassende volkskundliche Erforschung Bayerns. Der König unternahm viele Reisen durch sein Reich. Im Sommer 1858 begab er sich auf eine mehrwöchige Fußreise durch die bayerischen Alpen. Sie führte ihn von Lindau bis nach Berchtesgaden, auf den Grünten und den Wendelstein. Mit dabei: der begeisterte Jäger Franz von Kobell, der in seinem Theaterstück vom „Brandner Kaspar“mitgeschrieben hat am Mythos Bayern – und mit seinem Blick ins Paradies diesen auch im Himmel und in der Ewigkeit verortete.
Erstmals wurde für eine bayerische Landesausstellung ein eigenes Gebäude gebaut: In einer verspiegel- ten Multimedia-Rotunde visualisieren 3-D-Projektoren, was aus dem Graswangtal geworden wäre, hätte Max’ Sohn, der Märchenkönig Ludwig II., alle seine Pläne und Projekte verwirklichen können. Von außen ähnelt das Gebäude einer Schneekugel mit „Kini-Kitsch“. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle von Ludwigs Mutter, Königin Marie. Die protestantische Prinzessin aus Preußen, 1825 in Berlin geboren, ist sozusagen der Archetyp des in Bayern verliebten Nichtbayern, der an der Entstehung der Bilder und Klischees vom Paradies am Rand des Gebirges mitstrickt. „Von den Bergen bin ich ganz weg!“, berichtete Marie kurz nach ihrer Hochzeit begeistert.
Aus Preußen in die Berge
Häufig und gern war die Königin in der Sommerresidenz Hohenschwangau. Und sie schaute nicht nur ins Gebirge, sie machte auch selber gerne Bergtouren. Weil die üblichen Roben dafür höchst unpraktisch waren, entwarf sie selbst eine weibliche Bergsteigertracht, zu der unter dem Lodenrock auch eine lange Hose gehörte, was ziemlich unerhört war. In Ettal zu sehen sind Maries feste, aber immer noch ziemlich feine Bergstiefel.
Und dann war da noch der Wittelsbacher Verwandte: Herzog Max in Bayern (1808-1888), der Vater von „Sissi“, der späteren österreichischen Kaiserin. Er verhalf dem „Lumpeninstrument“Zither (so der lutherische Kirchenkomponist Michael Praetorius 1619) zu neuen Ehren. Er sammelte nicht nur „Oberbayerische Volkslieder mit ihren Singweisen“, komponierte „Alpenklänge“für die Zither, schrieb historische Aufsätze und volkstümliche Dramen – er soll auch inkognito im Wirtshaus aufgespielt haben, weshalb man sich bis heute mit dem Ehrentitel „Zithermaxl“an ihn erinnert. „Jagerisch gehen“wurde hoffähig, zugleich gingen immer mehr bayerische Bürger „Miesbachisch“.
Als der König 1858 Miesbach besuchte, konnte er sehen, dass seine Bemühungen um ein von ihm erhofftes „National-Costüm“nicht erfolglos geblieben waren: Immer mehr Menschen im Oberland trugen die Tracht aus grauer Joppe mit grünem Kragen, Tegernseerhut, kurzer Lederhose mit grünen Strümpfen. Der „Mythos Bayern“erweist sich als Konstruktion, bei der alle mitmachten: Die Einheimischen profitierten von den Fremden und passten sich ihnen an, die Touristen brachten und bringen nicht nur ihren Blick auf „Wald, Gebirg und Königstraum“mit, sie nahmen und nehmen den „Mythos Bayern“auch mit nach Hause, tragen ihn in die Welt. Die Landesausstellung betreibt Heimatkunde im besten Sinn. Sie macht die Verklärungen Bayerns sichtbar und dadurch klarer, warum man im Umgang mit dem Begriff „Heimat“Vorsicht walten lassen sollte.
Bis 4. November im Kloster Ettal, täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Täglich finden um 11 Uhr und um 15 Uhr Führungen ohne Anmeldung statt.