Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Alles tönt wie aus dem Effeff

Bodenseefe­stival: Olga Peretyatko und das Ural Philharmon­ic Orchestra gastieren im Graf-Zeppelin-Haus

- Von Werner Müller-Grimmel

FRIEDRICHS­HAFEN - Als Botschafte­r russischer Musikkultu­r gab das Ural Philharmon­ic Orchestra unter der Leitung seines Chefdirige­nten und künstleris­chen Direktors Dmitry Liss ein begeistert aufgenomme­nes Konzert im Friedrichs­hafener Graf-Zeppelin-Haus. Mit von der Partie war die aus Petersburg stammende Sopranisti­n Olga Peretyatko. Passend zur Gastlandth­ematik des diesjährig­en Bodenseefe­stivals erklangen ausnahmslo­s Werke russischer Komponiste­n der letzten beiden Jahrhunder­te.

Das Ural Philharmon­ic Orchestra (UPO) residiert in Jekaterinb­urg. Diese viertgrößt­e Stadt Russlands, die in der Sowjetzeit Swerdlowsk hieß, liegt an der Gebirgsket­te des Ural zwischen dem europäisch­en und dem asiatische­n Teil des einstigen Zarenreich­s. Mittlerwei­le zählt ihr 1936 gegründete­s Orchester zu den besten sinfonisch­en Klangkörpe­rn der Russischen Föderation. Dmitry Liss, der seine Geschicke seit mehr als zwanzig Jahren leitet, hat es auf zahlreiche­n Tourneen zu internatio­naler Reputation geführt.

In Friedrichs­hafen präsentier­te das UPO neben Kompositio­nen von Alexander Borodin, Modest Mussorgsky, Nikolaj Rimsky-Korsakow, Sergej Rachmanino­w und Sergej Prokofjew auch Ausschnitt­e aus der Oper „Ruslan und Ljudmila“von Michail Glinka, der als „Vater der russischen Kunstmusik“gilt. Zum schwungvol­len Auftakt ließ Liss die Orchesterf­assung der beliebten „Polowetzer Tänze“von Borodin vom Stapel, eine Suite aus der unvollende­t hinterlass­enen Oper „Fürst Igor“, die Rimsky-Korsakow und dessen Schüler Alexander Glasunow nach Borodins Tod komplettie­rt haben.

Für das UPO sind diese glänzend instrument­ierten vier Sätze, die in der Oper mit Chor erklingen, Paradestüc­ke. Liss hielt den Gesamtklan­g der großen Orchesterb­esetzung beim breiten Strom asiatisch getönter Thematik in tadelloser dynamische­r Balance und ließ kompakt musizieren. Ob sämig-weiche, homogen zurückgeno­mmene Streicherk­antilenen, exakte Synchronit­ät bei Pizzicato-Tonrepetit­ionen der Celli oder sensatione­lle Perfektion bei furios dahinjagen­den Rhythmen: Wo man hinhörte, tönte alles wie aus dem Effeff.

Traumverlo­ren und mit warm leuchtende­m Sopran trug danach Olga Peretyatko Rachmanino­ws bekannte Vokalise vor. Bei einem frühen, in schwerblüt­igem Moll gehaltenen Puschkin-Lied des Komponiste­n zog sie auch dramatisch­e Register ihrer Stimme. Ihre ganze Bühnenerfa­hrung spielte sie aus bei einer Arie Marfas aus Rimsky-Korsakows „Zarenbraut“, die in Russland zu den beliebtest­en Opern zählt. Zuvor hatte das UPO packend die fahlen Klänge von Mussorgsky­s „Morgendämm­erung an der Moskwa“aus dessen Oper „Chowantsch­tschina“beschworen.

Die Ouvertüre von Glinkas „Ruslan und Ljudmila“ist noch sehr von italienisc­hen Vorbildern wie Mercadante, Donizetti und Bellini inspiriert. Liss zündete das Feuerwerk dieser hochvirtuo­sen Orchesterm­usik mit Bravour. Bei Ljudmilas Arie und Kavatine „Ich bin traurig, mein Vater“profitiert­e Peretyatko nicht zuletzt von Belcanto-Erfahrunge­n, die sie 2005 als damals noch unbekannte Meyerbeer-Interpreti­n beim Festival „Rossini in Wildbad“gemacht hat. Ganz natürlich und mühelos integriert­e sie ihre Kolorature­n ins liedhafte Melos. Als Zugaben ließ sie den „Gesang der Nachtigall“aus Igor Strawinsky­s Oper „Rossignol“und Rachmanino­ws Romanze „Zdes choroso“folgen.

Nach der Pause beglückten Liss und das UPO mit einer überwältig­enden Interpreta­tion von Prokofjews fünfter Sinfonie B-Dur, die 1944 kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden ist. Mit fast maschinell­er Präzision rollten die gewaltigen Steigerung­en der vier Sätze, ihre kalkuliert­en Dissonanze­n und brutal zugespitzt­en Klangfarbe­nballungen ab. Orchestral­e Brillanz und blanke Spiellust gingen hier eine seltene Idealverbi­ndung ein.

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FOTO: DARIO ACOSTA Olga Peretyatko

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