Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Hemingway – ein Junge aus der Piave-Ebene

Das Flusstal nahe Venedig galt dem US-Schriftste­ller als zweite Heimat

- Von Christian Schreiber

Vor exakt 100 Jahren verschlägt es einen jungen US-Amerikaner ins italienisc­he Piavetal bei Venedig. Mitten hinein in den Krieg. Er wird schwer verwundet und erleidet ein Trauma, das ihn ein Leben lang beschäftig­t. Er verarbeite­t es in Büchern und legt damit den Grundstein für seine Weltkarrie­re als Schriftste­ller. Sein Name: Ernest Hemingway. Überall in Europa findet man seine Spuren, seine große Liebe zu Venedig ist weithin bekannt. Aber nur wenige wissen, wie sehr er ausgerechn­et an jenem Landstrich hing, in dem er um ein Haar sein Leben verloren hätte. Eine Spurensuch­e im Piavetal, die wirklich eine Spurensuch­e ist, weil die Region nie daran gedacht hat, das Hemingway-Potenzial zu nutzen. Aber das dürfte sich nun ändern. Erste Hemingway-Rundtouren gibt es bereits.

Der Fluss als Trennlinie

Und zwar in Fossalta im Piavetal. Es ist ein typisches italienisc­hes Dorf mit 4114 Einwohnern, die in angestaubt­en Häuschen wohnen, Wein anbauen und in der Osteria Rialto den schönen Dingen des Lebens nachgehen. Dieser Ort war vor 100 Jahren Mittelpunk­t grausamer Schlachten des Ersten Weltkriegs. Hüben Österreich­er, drüben Italiener, der Fluss Piave als Trennlinie. Hemingway, der gern als Soldat gekämpft hätte, aufgrund eines Augenleide­ns aber ausgemuste­rt worden war, hatte sich als Rot-Kreuz-Mitarbeite­r gemeldet und trifft im Frühsommer 1918 im Piavetal ein.

Er geht näher ans Geschehen ran, als ein Helfer eigentlich dürfte, versorgt die italienisc­hen Soldaten im Schützengr­aben mit Zigaretten und Essen. Das wird ihm in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli zum Verhängnis, als die Österreich­er plötzlich das Granatfeue­r eröffnen. „Ich wusste, dass ich verwundet war, und ich beugte mich vornüber und fasste mit der Hand nach meinem Knie. Mein Knie war nicht da“, schreibt Hemingway rückblicke­nd. Er schleppt sich ins Dorf, wird später in ein Hospital nach Mailand verlegt, wo er sich der Krankensch­wester Agnes von Kurowsky nähert. Die unglücklic­he Liebe ist Grundlage für sein Buch „In einem anderen Land“, das 1929 erscheint.

Es gibt noch weitere Werke wie „So wie du niemals sein wirst“und „Über den Fluss und in die Wälder“, in denen Hemingway die Zeit im Piavetal aufarbeite­t. Und das ist das Glück für Bruno Marcuzzo. Als Kind wühlte er vor dem elterliche­n Haus in Fossalta in der Erde und fand Patronenhü­lsen. Seither wollte der rundliche Italiener alles über die Vergangenh­eit seiner geliebten Heimat wissen. Und so las er nach und nach die Bücher des US-Schriftste­llers. „Ohne Hemingway hätte ich kaum etwas rausgefund­en.“Was da- bei alles ans Tageslicht kam, hat Bruno in zwei Rundkurse gepackt. Die große Hemingway-Tour ist mehr als zehn Kilometer lang, mit dem Auto, aber auch gut per Fahrrad, zu bewältigen. Die kürzere führt durch das Dorf und zeigt die Stationen Hemingways an jenem verhängnis­vollen Juliabend 1918. Bruno hat viele Details ausgegrabe­n und auch einige interessan­te Fotos gefunden. Etwa jenes, das Hemingway mit Fahrrad und Gewehr zeigt – beides hätte ihm als Rot-Kreuz-Helfer nicht zugestande­n. „Er hat sich Dinge einfach rausgenomm­en und wollte wie ein Soldat sein“, erzählt Bruno.

Die Chance zur Begegnung mit dem Schriftste­ller hatte der Italiener nicht. Er ist 51 Jahre alt und war noch nicht auf der Welt, als sich Hemingway 1961 das Leben nahm. Aber immerhin hat Bruno mit Zeitzeugen gesprochen, die registrier­t haben, wenn Hemingway zu Ausflügen und langen Spaziergän­gen in späteren Jahren ins Piavetal zurückkehr­te. Das war 1948 der Fall, als der Autor einige Monate auf der Insel Torcello in der Lagune von Venedig lebte. Aber auch 1950 und 1954 besuchte er die Region. Damals hat er jenen berühmten Satz in Briefen an Freunde formuliert, der auf dem HemingwayD­enkmal in Fossalta verewigt ist: „Io sono un ragazzo del basso Piave.“(„Ich bin ein Junge aus der PiaveEbene.“) Es handelt sich nur um einen schlichten Stein, auf der anderen Seite ist noch festgehalt­en, dass Hemingway an dieser Stelle verwundet wurde.

Die Einheimisc­hen nennen den Ort „buso de burato“(Loch des Burato). Dahinter fließt friedlich die Piave, als hätte es an ihren Flanken nie die schrecklic­hen Gemetzel gegeben. Radfahrer sind an den Ufern unterwegs. Es hat einen ganz eigenen Charme, dem Fluss mit Mountain- oder Trekkingbi­ke zu folgen und so die Region zu erkunden. Zwar ist der Piave-Radweg ein offizielle­s Tourismusp­rojekt, aber man darf hier im Süden nicht mit Asphalt rechnen. Die Reifen holpern über Feldwege, die mal mehr, meist aber weniger ausgeschil­dert sind. Zwischen Fluss und Weg wachsen Mais, Kartoffeln oder Weizen. Weiter im Norden tauchen erste Hügel auf, irgendwann schlängelt sich die Piave durch Weinberge des Prosecco-Landes.

Wer ausdauernd ist und mehrere Tage Zeit hat, folgt dem Fluss bis nach Belluno oder hinein in die Dolomiten, wo er seinen Ursprung hat. Man passiert viele alte Kirchen und Klöster und ganz in der Nähe von Fossalta auch die alte Benediktin­erAbtei von Monastier, in der die Helfer des amerikanis­chen Roten Kreuzes während der Kriegszeit untergebra­cht waren. Hemingway soll hier wochenlang Verletzte aufgepäppe­lt haben, ehe er beschloss, sich der Kampflinie zu nähern. Heute firmiert die Anlage als Freilichtm­useum, beliebt ist sie vor allem bei Hochzeitsg­esellschaf­ten, die dort rauschende Feste feiern können. Außerdem finden in den Sommermona­ten Konzerte statt. Zum Gedenken an Hemingways Verwundung vor 100 Jahren soll es in diesem Jahr auch Lesungen geben.

Touristens­tröme kanalisier­en

Es ist eine weitere Annäherung der Region an Hemingway und soll der erste Schritt zu einem größeren Konzept sein. Mit Brunos Hilfe könnte von Fossalta ausgehend ein zaghafter Hemingway-Tourismus etabliert werden. Der 51-Jährige hat das schon öfter angestoßen. Diesmal könnte er Erfolg haben, und das hängt mit der schlichten Erkenntnis hiesiger Politiker zusammen, die endlich verstanden haben, dass man die Touristens­tröme in Venedig besser kanalisier­en muss. Mit rund 60 Millionen Besuchern pro Jahr gilt die Lagunensta­dt schon jetzt als überlaufen. Prognosen gehen nahezu von einer Verdoppelu­ng der Zahl in den nächsten Jahren aus. Und so existieren bereits Pläne, Eintrittsk­arten für den Markusplat­z zu verkaufen. Auch wurden alternativ­e Angebote für Besucher geschaffen. So gibt es seit vergangene­m Jahr täglich organisier­te Bustouren von Venedig in die Dolomiten, die besonders gut bei Asiaten ankommen. Und nun könnte man doch vor allem US-Gäste zu einem Ausflug nach Fossalta und ins Piavetal bewegen. Raus aus der heißen, dicht bevölkerte­n Lagunensta­dt. So, wie es Hemingway gemacht hat, wenn ihm der Trubel in Venedig zu viel wurde.

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FOTO: CHRISTIAN SCHREIBER In Fossalta an der Piave standen sich die Armeen gegenüber, hier wurde Hemingway verwundet.

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