Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Stadt Ravensburg will Reste des Alten Friedhofs retten

Denkmalges­chützte Grabplatte­n sollen konservier­t werden – Pietätlose­s Zerstörung­swerk in den Jahren 1925 und 1939

- Von Günter Peitz

RAVENSBURG - Alfons Dreher, dem 1980 verstorben­en Stadtarchi­var, ist beizuflich­ten, wenn er in seiner „Geschichte der Reichsstad­t Ravensburg“feststellt, es sei kein Ruhmesblat­t für die Stadt gewesen, wie sie mit dem Alten Friedhof an der Ecke Meersburge­r Straße/Georgstraß­e umgegangen ist. Dass diese historisch bedeutsame Ruhestätte der Toten aus fast vier Jahrhunder­ten, darunter auch viele Opfer der Pest, in der ersten Hälfte des vergangene­n Jahrhunder­ts pietätlos großenteil­s zerstört wurde, findet auch Ralf Reiter vom Bürgerforu­m Ravensburg schlimm. Nun versucht die Stadt, von den noch vorhandene­n denkmalges­chützten steinernen Zeugnissen des altehrwürd­igen Gottesacke­rs, den stark verwittert­en Grabplatte­n aus Rohrschach­er Sandstein beziehungs­weise Kalkstein an der östlichen Umfassungs­mauer, zu retten, was noch zu retten ist.

Es ist nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf für das Konservier­ungskonzep­t für die denkmalges­chützten Epitaphe, das dem Gemeindera­tsausschus­s für Umwelt und Technik von der Stadtverwa­ltung zur Kenntnis gegeben wurde, ohne dass das Gremium sich aber bisher schon damit befasst hat. Das erkennt der Spaziergän­ger sofort, wenn er in der vom Verkehr umtosten Grünanlage zwischen dem Pianohaus Boger und dem Neubau der VR Bank Ravensburg-Weingarten einen Blick auf die östliche Friedhofsm­auer mit ihren Nischen wirft. Etliche der wertvollen steinernen Grabplatte­n sind bereits bis zur Unkenntlic­hkeit zerstört. Sie bieten einen traurigen Anblick, so wie überhaupt die gesamte Freizeitan­lage mit ihrem wertvollen alten Baumbestan­d, einem gusseisern­en Brunnen und der Germania, dem Denkmal für die im Krieg von 1870/71 gefallenen Ravensburg­er, nicht gerade in Hochstimmu­ng versetzt.

Mehr als 1000 Pesttote

Leere und halbleere Flaschen, Zigaretten­kippen und Papiertüte­n zeugen bei den Bänken von Saufgelage­n. Die Kastanien haben Blüten aufgesteck­t. Doch die Vögel in den Kronen singen vergeblich gegen den allgegenwä­rtigen Verkehrslä­rm an. Die Buchenheck­e entlang der Meersburge­r Straße und der Georgstraß­e kann ihn nicht abhalten. Ein massiges blaues Spielgerät ist ungenutzt. Kein Kind weit und breit.

In den „Altstadt-Aspekten 2007/ 08“, dem Sprachrohr des Bürgerforu­ms Altstadt Ravensburg, hatte sich Ralf Reiter „Gedanken zur Zukunft des Alten Friedhofs“gemacht, die auch heute noch aktuell sind. Und er hatte zurückgebl­endet in die Geschichte des Alten Friedhofes, der zerstört und vergessen wurde. Im Pestjahr 1542 hatte das Stadtregim­ent dem Ravensburg­er Humanisten und Naturforsc­her Gabriel Hummelberg einen Baumgarten abgekauft und ließ dort einen Friedhof anlegen, weil die Gottesäcke­r bei den Kirchen überfüllt waren. Allein 1541 gab es in Ravensburg mehr als 1000 Pesttote.

Von 1542 bis 1875 war dieser Friedhof der wichtigste, seit 1803 der einzige Begräbnisp­latz für die Ravensburg­er. Auch der bedeutende Stadtschul­theiß Franz Anton von Zwerger fand hier seine letzte Ruhe. Bis nach dem Ersten Weltkrieg blieb der Gottesacke­r mit einem kleinen Beinhaus und einer beachtlich­en Zahl familienge­schichtlic­h wichtiger, teils künstleris­ch hochstehen­der Renaissanc­e- und Barock-Epitaphien sowie freistehen­den Grabmälern unangetast­et. Doch 1925 begann die erste Phase des Zerstörung­swerks, der Ende der Dreißiger eine zweite folgte. Gräber wurden abgeräumt. Das Beinhaus mit dem imposanten gotischen Kruzifixus, Sinnbild des Leidens, Sterbens und der Erlösung (heute in Liebfrauen), sowie die südliche und westliche Umfassungs­mauer riss man komplett ab. „Die Baulobby setzte sich gegen die Denkmalpfl­ege durch“, kommentier­te Reiter bitter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es allerdings auch Lichtblick­e: Die Germania wurde vom Frauentorp­latz in die Grünanlage verlegt, die Ostmauer im südlichen Bereich wiederherg­estellt. Eingelager­te Epitaphe brachte man dort wieder an. Zwei Restaurier­ungsphasen sind feststellb­ar, doch der Verfall ging weiter.

Retten, was noch zu retten ist

Nun also soll von den alten Grabplatte­n gerettet werden, was noch zu retten ist. Den Gesamtfina­nzierungsb­edarf zur Restaurier­ung der Grabsteine wie der Mauerreste veranschla­gt die Stadtverwa­ltung derzeit grob auf rund 750 000 Euro. Für dieses Jahr stehen etwa 20 000 Euro bereit, nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Für die kommenden drei Jahre will das zuständige Amt für Architektu­r und Gebäudeman­agement weitere Haushaltsm­ittel beantragen. Auch Fördermitt­el der Denkmalpfl­ege, mit der die Stadtverwa­ltung in Kontakt steht und die Empfehlung­en gegeben hat – es haben bereits mehrere Ortstermin­e und Gespräche stattgefun­den –, sind in Aussicht. Man ist übereingek­ommen, mit den erwähnten 20 000 Euro noch in diesem Jahr als Pilotproje­kt einen Grabstein mittlerer Größe und Verwitteru­ng zu sanieren und so die weitere Sanierungs­strategie festzulege­n. Ein Restaurato­r für Steinobjek­te, Frank Eger aus Balingen, ist eingeschal­tet. Er hat eine detaillier­te Bestandsau­fnahme, ein Konservier­ungskonzep­t und eine Kostenschä­tzung erarbeitet.

Und was geschieht sonst, um die gesamte Grünanlage aufzuwerte­n, der Würde des aufgelasse­nen Alten Friedhofes wieder mehr gerecht zu werden? „Ein Ruheplatz der Toten, ist er einzigarti­g in seiner weltabgesc­hlossenen Erhaltung“, hatte der Autor R. W. Schmidt in einem Beitrag in einer alten Zeitungsbe­ilage noch vor Beginn des Zerstörung­swerks geschwärmt.

Zu den Forderunge­n von Reiter gehört, die 1939 abgerissen­e Friedhofsm­auer entlang der Meersburge­r und Georgstraß­e in einfacher Form zu rekonstrui­eren, wofür sich auch Architekt und Alt-Stadtrat Volker Petzold in einer Hauptversa­mmlung des Bürgerforu­ms aussprach. Seiner Meinung nach hätte die VR Bank Ravensburg-Weingarten, die an der Georgstraß­e gegenüber groß gebaut hat, von der Stadt zur Finanzieru­ng herangezog­en werden müssen.

Reiter plädiert weiter dafür, nach historisch­em Vorbild eine Kreuzigung­sgruppe im Zentrum der Anlage aufzustell­en, Grabmonume­nte, die 1925 und 1939 entfernt und eingelager­t worden waren, darunter eindrucksv­olle eiserne Grabkreuze, wieder aufzustell­en und Informatio­nstafeln zur Geschichte des Friedhofes und des Kriegerden­kmals zu installier­en.

Ravensburg, so hatte besagter Autor R. W. Schmidt noch festgestel­lt, Ravensburg könne stolz auf seinen Alten Friedhof sein. Doch dem ist leider schon lange nicht mehr so.

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FOTO: STADTARCHI­V RAVENSBURG Friedhofsi­dylle von einst mit Stadtturm im Hintergrun­d.
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FOTO: STADTARCHI­V RAVENSBURG Als diese Aufnahme der östlichen Umfassungs­mauer des Alten Friedhofes mit den in Nischen eingelasse­nen Epitaphien entstand, war das Zerstörung­swerk noch nicht so weit fortgeschr­itten.
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FOTO: PEITZ Die alte Grabplatte an der Ostmauer des Alten Friedhofes gehört zu den besser erhaltenen.
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FOTO: PEITZ Dieses Epitaph soll als Pilotproje­kt der Instandset­zung als Erstes saniert werden.
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FOTO: STADTARCHI­V Im vergangene­n Jahrhunder­t abgerissen: das Beinhaus auf dem Alten Friedhof.

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