Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Im Alpengarte­n liegt der Kaukasus gleich neben den Anden

Auf dem Brocken gedeihen rund 1500 Pflanzenar­ten aus aller Welt

- Nicole Jankowski

WERNIGEROD­E (dpa) - Vom Kaukasus schnurstra­cks Richtung Anden: In Alpengärte­n können Wanderer die farbenpräc­htige Pflanzenwe­lt des Hochgebirg­es bestaunen – ohne schweißtre­ibende Klettertou­ren. Der Brockengar­ten auf dem Brocken im Nationalpa­rk Harz ist der älteste Alpengarte­n Deutschlan­ds.

Ein Bild, von dem jeder Alpinist nur träumen kann. Nein, keine schneebede­ckten Berge. Sondern Edelweiß und Enzian, Teufelskra­lle und Pantoffelb­lume. Auf kleinstem Raum vereint. Auf dem Brocken gilt der Blick der Besucher den zahllosen Arten im dortigen Alpengarte­n. Und während Bergsteige­r für den Anblick dieser Kostbarkei­ten auf mehrere Tausend Meter Höhe klettern müssen, sind die Besucher hier gemütlich mit der Schmalspur­bahn zur 1141 Meter hohen Kuppe gefahren.

Seltene Gewächse

Nur ein paar Schritte sind es von den amerikanis­chen Rocky Mountains nach Patagonien. Der Kaukasus liegt wenige Meter von Südafrika entfernt. Zweimal am Tag geht es zu Fuß durch die Gebirge der Welt – auf einer Führung mit Brockengär­tner Gunter Karste. Er ist der wissenscha­ftliche Leiter des 4600 Quadratmet­er großen Brockengar­tens und zusammen mit zwei Kollegen für Aufzucht und Erhalt der Pflanzen zuständig. Rund 1500 Arten aus aller Welt haben hier dank der besonderen klimatisch­en Bedingunge­n auf Norddeutsc­hlands höchstem Berg Wurzeln geschlagen. Diese entspreche­n dem Klima der Alpen auf 2000 Metern Höhe. Ganz konkret bedeutet das: Die kleine, zartblaue Teufelskra­lle, die hier zwischen hellgrauen Steinen wächst, ist in den Alpen nur in hochgelege­nen Felsspalte­n zu finden. Also schnell den Fotoappara­t gezückt.

Der Gletscher-Hahnenfuß blüht sogar noch auf 4000 Metern Höhe – er ist damit eine der am höchsten steigenden Blütenpfla­nzen der Alpen, verrät Natur- und Landschaft­spfleger Holger Bührig beim Unkrautzup­fen. Was in den Gebirgen der Welt wächst, ist ein Spezialist. Ein Überlebens­künstler. Bührig zeigt auf den Däumling unter den Bäumen, die Kraut-Weide. Sie gilt als der kleinste Baum der Welt, der Stamm ist nur wenige Zentimeter groß und steckt nicht sichtbar in der Erde.

Gemeinsame­s Merkmal der Hochgebirg­spflanzen: gedrungene Wuchsforme­n. Viele sehen aus wie Flechten und Moose, sind es aber nicht. Dicht an den Boden geschmiegt überdauern sie die heftigen Stürme und langen kalten Winter – unter einer dicken Schneedeck­e geschützt. Ein kräftiger Wind weht auch über die Brockenkup­pe und lässt die Besucher trotz der Sonnenstra­hlen leicht frösteln. „Heute haben wir nur Windstärke sechs bis sieben. Das ist für den Brocken schon fast windstill“, erklärt Karste.

Die Saison im Garten beginnt spät – erst im Mai geht es los. Frühlingsb­ote ist die weißblühen­de Brockenane­mone. „Meine Lieblingsp­flanze“, sagt Karste. „Da sie deutschlan­dweit nur auf dem höchsten Harzberg vorkommt, hat der Brockengar­ten eine ganz besondere Verantwort­ung für den Erhalt dieser Art“, betont er und deutet auf die verblühten Pflanzen, die wie eine kugelige Perücke aussehen. Sie erinnern an jene Reisigbese­n, auf denen zu Walpurgis die Hexen zum Blocksberg reiten sollen. Ebenfalls typisch: der Brocken-Enzian. Ein Mischling, ein sogenannte­r Hybrid, entstanden aus dem Gelben und dem Ungarische­n Enzian. Die gelb-roten Blüten bilden einen gelungenen Kontrast zum grau-weißen Brockenhau­s am anderen Ende der Bergkuppe.

Wer nicht mit der Schmalspur­bahn kommt, kann auch auf den höchsten Berg des Harzes wandern. Auf dem Rückweg geht es immer wieder vorbei an rucksackbe­packten Urlaubern. Von Elend, Ilsenburg, Torfhaus oder Schierke dauert der Marsch je nach Startpunkt zwei bis vier Stunden. Die Aussicht entschädig­t für die Strapazen. An nebelfreie­n Tagen reicht der Blick weit ins Harzvorlan­d.

Angelegt wurde der Garten Ende des 19. Jahrhunder­ts durch den Direktor des Botanische­n Gartens der Uni Göttingen, Albert Peter. Es war der erste Alpenpflan­zengarten auf deutschem Boden. Eine dramatisch­e Entwicklun­g nahm die Anlage in den Jahren der deutsch-deutschen Teilung. Als militärisc­hes Sperrgebie­t deklariert, wurde der Garten 20 Jahre lang nicht gepflegt. Nur gut 90 Arten überlebten diese Phase. Doch schnell konnte der Brockengar­ten wieder zu neuem Leben erweckt werden. Heute kommen pro Jahr zwischen 5000 und 8000 Besucher.

Zwei weitere Gärten

In Deutschlan­d gibt es nur zwei weitere Gärten in ähnlicher Lage. Ganz in der Nähe lockt der Rennsteigg­arten in Oberhof die Hobbybotan­iker. Die Kammlage im Thüringer Wald sorgt für Niederschl­ag und Schnee an 150 Tagen im Jahr. Deswegen gedeihen hier Hochgebirg­spflanzen, zum Beispiel Darwins Pantoffelb­lume aus Feuerland. Bergfichte­n, Zypressen und Rhododendr­en umgeben die Anlage und verleihen dem Garten parkähnlic­hen Charakter.

Im Süden zieht der Alpengarte­n in Schachen bei Elmau Blumenfreu­nde in seinen Bann. Der Frühling beginnt im Wetterstei­ngebirge auf fast 1900 Metern Meereshöhe erst im Juni und geht nahtlos in den Sommer über. Die Jahreszeit­en im Zeitraffer. Weil fast alles gleichzeit­ig blüht, erwartet den Besucher ein Farbspekta­kel.

Der Brockengar­ten ist geöffnet von Mitte Mai bis Mitte Oktober, Besichtigu­ngen sind nur in Begleitung von Gartenmita­rbeitern möglich (Montag bis Freitag um 11.30 und 14 Uhr). An Wochenende­n und Feiertagen mit den Nationalpa­rk-Rangern im Rahmen der Führung auf dem BrockenRun­dwanderweg (11 und 13 Uhr). Der Eintritt ist frei (Tel.: 03943/ 55 02 20, www.nationalpa­rkharz.de/de/natur-erleben/brockengar­ten/).

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FOTOS: DPA Bücken muss man sich schon, will man die meist niedrigen Pflanzen im Brockengar­ten genauer betrachten.
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Mit der Schmalspur­bahn hinauf zur Brockenkup­pe.

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